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Wissenschaft
Empirische Studie der Frankfurt UAS stellt Gestaltung und Rahmenbedingungen der Angehörigenpflege heraus
Rund vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause von Familienangehörigen versorgt. Die Pflege (Care) von älteren Familienangehörigen kann insbesondere Frauen vor große psychische und finanzielle Belastungen stellen. Auch die räumliche Distanz zu diesen zu pflegenden Menschen ist in vielen Fällen nicht zu bewerkstelligen und fordern teilweise enorme finanzielle Einbußen, die etwa mit einem erhöhten Armutsrisiko oder Einschränkungen in der sozialen Teilhabe einhergehen. Die empirische Studie „Care-Praxis zwischen Prekarität und Chance“ von Prof. Dr. Sabrina Schmitt, Professorin für Wissenschaft der Sozialen Arbeit mit den Schwerpunkten Gender und Care an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), untersucht häusliche Pflege mit einem multidisziplinären Ansatz und zeigt, welche Bedingungen die Care-Praxis pflegender Angehöriger beeinflussen. Ausgehend von Einzelfallstudien arbeitet sie die Relevanz sozio-ökonomischer und personaler Ressourcen sowie Sozialpolitik – auch aus einer Geschlechterperspektive – heraus.
„Mit Blick auf den demographischen Wandel wird sich die Zahl der Personen, die aufgrund ihres Alters Pflege benötigen, in den kommenden Jahren deutlich erhöhen. Gleichzeitig wird sich die Situation pflegender Angehöriger durch die zukünftigen ökonomischen Rahmenbedingungen weiter verschärfen. Vor dem Hintergrund dieser Prekarität stellt das Feld der Angehörigenpflege derzeit und zukünftig ein zentrales Aufgabengebiet der Sozialen Arbeit dar“, erklärt Schmitt. „Ziel der Studie war es, herauszustellen, wie pflegende Angehörige ihre Alltägliche Care-Praxis gestalten und welche Rahmenbedingungen für diese Gestaltung von Bedeutung sind. Zudem zeigt sie die Erweiterungs- und Begrenzungsdynamiken in den Handlungsspielräumen pflegender Angehöriger vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen auf.“
Insgesamt führte Schmitt qualitative Interviews mit sechs pflegenden Angehörigen, vier Frauen und zwei Männern im Alter zwischen 48 und 73 Jahren, durch. Sie alle waren zum Zeitpunkt des Interviews mit einer oder mehreren zu pflegenden Personen, den Care-Receivern, entweder verwandt, verheiratet oder verschwägert. Sie werden teils durch eine 24-Stunden Betreuung von sogenannten Live-In Pflegekräften, ambulante Pflegedienste und weitere Betreuende unterstützt. Trotz der eher kleinen Stichprobe spiegele die Studie, so die Wissenschaftlerin, eine große Bandbreite soziodemographischer Merkmale wider: Sie bildet unterschiedliche verwandtschaftliche Beziehungen zwischen pflegenden Angehörigen und Care-Receivern, unterschiedliche Bildungsabschlüsse, geringe und hohe Pflegebedarfe, städtische und ländliche Strukturen sowie erwerbstätige und verrentete Angehörige ab. Die Auswahl berücksichtigt zudem die regelmäßig unterrepräsentierte Gruppe der pflegenden Angehörigen mit Migrationshintergrund sowie pflegende Angehörige in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft.
Insbesondere professionelle Unterstützungsnetzwerke, etwa der Einsatz ambulanter Pflegedienste oder eine 24-Stunden Betreuung, können eine Entlastung für pflegende Angehörige darstellen und ihnen teilweise soziale Interaktionen und Rituale abseits des Pflege-Arrangements ermöglichen. Dies setze jedoch finanzielle Ressourcen voraus, auf die etwa Personen in prekären Lebenslagen nicht zugreifen können, so ein Ergebnis der Studie. „Zudem wurde deutlich, dass vor allem die befragten weiblichen Angehörigen in geringerem Umfang professionelle Pflegekräfte als Unterstützung hinzuziehen. Dies kann beispielsweise auf den Wunsch nach elterlicher Anerkennung zurückzuführen sein – sie sehen sich als unentbehrliche Hauptpflegeperson und werden auch so von den pflegebedürftigen Angehörigen wahrgenommen“, erklärt Schmitt. „Die befragten pflegenden Frauen grenzen sich nur durch die Zuschreibung Care-spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten von männlichen Pflegenden ab. Durch diesen vermeintlichen, subjektiv von den Frauen empfundenen ‚Kompetenzvorsprung‘ kommt es zu einer Verstärkung von Geschlechterleitbildern.“
Familialen Netzwerken komme in Pflege-Arrangements allgemein eine große Bedeutung zu, denn durch Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und emotionale Tiefe der Netzwerkmitglieder, vor allem der eigenen Kinder, können für die Care-Praxis der pflegenden Angehörigen unterschiedlichste Formen der Unterstützung darstellen. Partner/-innen stellten in Einzelfällen eher eine emotionale als eine fachliche Unterstützung dar, wohingegen Geschwister, sogar zur Belastung der pflegenden Angehörigen werden können.
Psychische Gesundheit sei für die Care-Praxis pflegender Angehörigen fallübergreifend eine wichtige Rahmenbedingung, da die Gestaltung des Pflegealltags in nahezu allen ausgewerteten Fällen unter großer psychischer Belastung erfolge. „Diese ergibt sich unter anderem aus dem Gesundheitszustand der zu pflegenden Person, einem starken Verpflichtungsgefühl dieser gegenüber sowie einer teils biografisch konflikthaften Beziehung zwischen Care-Receiver und pflegendem Angehörigen“, betont Schmitt. In diesem Zusammenhang führe das Fehlen psychischer Gesundheit in einigen Fällen zu Problemen in der Versorgung und Krisenerfahrungen auf Seiten der Angehörigen. Ebenso sei Zeit in der Care-Praxis pflegender Angehöriger nicht nur in Bezug auf den Umfang der Versorgung, sondern auch hinsichtlich der Terminierung und Synchronisation von Care mit anderen Lebensbereichen bedeutsam. Sie sei besonders für die Befragten, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und kaum Unterstützungsstrukturen nutzen, ein wichtiges Entscheidungsmerkmal in der Organisation der alltäglichen Care-Praxis und stelle ebenso eine hohe Belastung dar.
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Die vollständige Studie „Care-Praxis zwischen Prekariat und Chance. Eine empirische Studie über die Rahmenbedingungen der Care-Praxis pflegender Angehöriger in einer entgrenzten Gesellschaft“ von Prof. Dr. Sabrina Schmitt ist im Beltz-Verlag erschienen. Weitere Informationen unter https://www.beltz.de/fachmedien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/produkte/details....
Zur Person Prof. Dr. Sabrina Schmitt
Prof. Dr. Sabrina Schmitt ist Professorin für Wissenschaft der Sozialen Arbeit mit den Schwerpunkten Gender und Care an der Frankfurt UAS. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Theorien der Sozialen Arbeit aus einer Gender- und Care-Perspektive, Sozialpolitik, Wohlfahrtsstaat und Lebenslagen von Adressatinnen und Adressaten sowie Feministische Soziale Arbeit.
Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit, Prof. Dr. Sabrina Schmitt, Telefon: +49 176 84066172, E-Mail: sabrina.schmitt@fb4.fra-uas.de
Prof. Dr. Sabrina Schmitt, Professorin für Wissenschaft der Sozialen Arbeit an der Frankfurt UAS.
Benjamin Schmidt
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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