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06.10.2022 18:00

Das Geheimnis des Swing – im Labor untersucht

Dr. Manuel Maidorn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

    Jazz muss Swingen – da sind sich Jazzmusiker*innen einig. Uneinig ist man sich jedoch auch nach 100 Jahren noch immer, was genau das Swing Feeling ausmacht. Mit einem gezielten Experiment und Datenanalysen an über 450 berühmten Jazz Soli haben Physiker des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) zusammen mit Psycholog*innen der Universität Göttingen ein Geheimnis des Swing entschlüsselt. Sie konnten nachweisen, dass bestimmte systematische Abweichungen im Timing entscheidend zum Swing Feeling beitragen. Diese zeitlichen Abweichungen sind so gering, dass sie auch von professionellen Jazzmusiker*innen nicht explizit wahrgenommen, sondern nur unbewusst eingesetzt werden

    “What is this thing called Swing?” fragte bereits Louis Armstrong in einem seiner Songs. Der Begriff wurde von Jazzmusikern eingeführt, um eine spezifische Spielweise zu bezeichnen, die sie für wesentlich halten. Obwohl das Swing Feeling eines der wichtigsten Merkmale des Jazz ist, wurde lange Zeit geglaubt, man könne Swing zwar fühlen, aber nicht erklären. Lediglich die Abfolge von verschieden lang gespielten Achtelnoten, „Downbeats“ und „Offbeats“, ist ein leicht hörbarer Bestandteil des Swing. Diese Eigenschaft alleine ist aber nicht ausreichend für den Swing, wie Jazzmusiker*innen wissen; sie kann sogar am Computer generiert werden. So stellt sich die Frage, welche weiteren Bestandteile den Swing ausmachen.

    Minimale zeitliche Abweichungen als Ursache des Swing?

    Seit den 1980er Jahren wurde in der Wissenschaft vermutet, dass das Swing Feeling durch minimale zeitliche Abweichungen, sogenannte Microtiming Deviations, zwischen den Instrumenten erzeugt wird. Dem gegenüber betonten andere Wissenschaftler*innen hingegen die Notwendigkeit der rhythmischen Präzision. Zur Klärung dieser Frage entwarf das Forschungsteam ein Experiment, in welchem es das Timing in Originalaufnahmen von Pianisten auf verschiedene Weise am Computer manipulierte. In diesen manipulierten Aufnahmen wurde anschließend die Stärke des Swing Feelings von professionellen und semiprofessionellen Jazzmusiker*innen bewertet. In einer ersten Studie konnte das Team so nachweisen, dass zufällige zeitliche Abweichungen von Solisten nicht zum Swing-Feeling beitragen, sondern es sogar vermindern können.

    Die Verzögerung im Downbeat ist entscheidend

    In ihrer neuen Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen nun den Einfluss verschiedener systematischer Abweichungen zwischen Solisten und Rhythmusgruppe auf das Swing Feeling. Sie fanden beispielsweise heraus, dass eine gleichmäßige Verzögerung von Downbeats und Offbeats der Solisten das Swing Feeling nicht verstärkt. Dagegen wurde es erheblich verstärkt, wenn lediglich die Downbeats gleichmäßig um etwa 30 Millisekunden verzögert wurden, während die Offbeats der Solisten synchron zur Rhythmusgruppe blieben. Somit wurden Downbeat Verzögerungen als eine Ursache des Swing Feelings identifiziert.

    "Die professionellen Jazzmusiker und -musikerinnen, die wir am Ende des Experiments explizit danach gefragt haben, konnten zwar Unterschiede hören, aber diese minimalen Abweichungen nicht identifizieren" erklärt Theo Geisel, Leiter des Projektes und emeritierter Direktor am MPI-DS. „Es stellte sich somit die Frage, ob der von verzögerten Downbeats erzeugte Effekt überhaupt von Jazzmusikern genutzt wird“, ergänzen Thorsten Albrecht und York Hagmayer, an der Studie beteiligte Psychologen der Universität Göttingen.

    Um dies zu überprüfen führte das Team Datenanalysen an mehr als 450 Soli berühmter Jazzmusiker*innen durch. Es stellte sich heraus, dass Downbeat-Verzögerungen tatsächlich in fast allen Fällen eingesetzt wurden. „Diese subtile Methode das Swing Feeling zu erzeugen wird offenbar von Jazzmusikern nur unbewusst genutzt; der Effekt selbst war ihnen nicht bekannt" fasst Theo Geisel zusammen.

    Ein Jahrhundert nachdem Musiker wie Louis Armstrong und Duke Ellington die Bühne betraten, wird so ein Stück weit klarer, was genau das Swing Feeling ausmacht.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Theo Geisel
    Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
    geisel@ds.mpg.de


    Originalpublikation:

    https://www.nature.com/articles/s42005-022-00995-z


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Musik / Theater, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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