idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Verstehen Menschen, die lesen und schreiben können, mündliche Sprache besser als An-alphabeten? UZH-Forschende untersuchten diese Frage in Indien und kamen zum Schluss, dass nicht nur das Lesen, sondern auch das handschriftliche Schreiben und das dafür ver-wendete Schriftsystem einen Einfluss darauf hat, wie unser Hirn Sprache verarbeitet.
Wenn wir lesen lernen, entwickelt unser Gehirn Verbindungen zwischen unserem visuellen Sys-tem und dem Sprachsystem. Die Symbole, die wir sehen, werden mit Lauten und Bedeutungen verknüpft. Beeinflusst unsere Lese- und Schreibfähigkeit also unsere Fähigkeit, Sprache zu ver-arbeiten? Dieser Frage ging eine internationale Studie unter Mitwirkung der Universität Zürich nach. Während bisherige Studien auf alphabetische Schriftsysteme fokussierten, in denen ein-zelnen Symbole für Konsonanten und Vokale stehen, konzentrierten sich die Forschenden be-wusst auf nicht-alphabetische Schriftsysteme.
«Im Nahen Osten, in Ostafrika oder Süd- und Ostasien lesen und schreiben viele Menschen Sprachen, in denen die einzelnen Symbole Silben oder sogar ganze Wörter darstellen», sagt Alexis Hervais-Adelman, Professor für Neurolinguistik an der Universität Zürich. «Wir wollten wis-sen, ob das Erlernen einer nicht-alphabetischen Schrift die gleichen Auswirkungen auf das Ge-hirn hat wie bei alphabetischen Sprachen.»
Analphabeten hören Sprache gleich gut wie Nicht-Analphabeten
Zusammen dem Max Planck Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nimwegen und ei-nem Team in Uttar Pradesh in Nordindien haben die Zürcher Forschenden einerseits Analphabe-ten und andererseits Menschen, die lesen und schreiben konnten, Sätze in Hindi vorgespielt und dabei mittels MRI ihre Gehirnreaktionen untersucht. Hindi wird in einer nicht-alphabetischen Schrift namens Devanagari geschrieben. Sie stellten fest, dass das auditive System der Lese- und Schreibkundigen nicht anders reagierte als dasjenige von Analphabeten.
Dieses Resultat widerspricht bisherigen Studienergebnissen, die auf alphabetisches Lesen fo-kussierten und zum Schluss kamen, dass Lesefähigkeit zu verstärkten Aktivitäten in denjenigen Hirnarealen führte, die für die Sprachverarbeitung zuständig sind. «Unser Ergebnis ist insofern von Bedeutung, als es die bisherigen Annahmen über die Auswirkungen des Lesens und Schreibens auf unser Gehirn und unsere Sprachwahrnehmung in Frage stellt», sagt Erstautor Hervais-Adelman. «Das Schriftsystem, in dem wir lesen lernen, beeinflusst möglicherweise unsere Fähigkeit, Sprache zu verarbeiten.
Schrift hat Einfluss auf Sprachverarbeitung
Darüber hinaus finden die Forschenden Hinweise darauf, dass Lesen und Schreiben von De-vanagari die funktionale Verbindung zwischen den graphomotorischen Hirnarealen, die für Hand-schrift zuständig sind, und den akustisch-phonetischen Hirnarealen, die Sprachlaute verarbeiten, besonders fördert. Diese Verbindung wird aktiv, wenn Devanagari-Lesende Hindi hören.
Gemäss den Forschenden könnte also nicht nur das Lesen, sondern auch das Schreiben einen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie unser Gehirn Sprache verarbeitet. Wird dieser Zusam-menhang zukünftig noch intensiver untersucht, lassen sich daraus möglicherweise auch neue Ansätze für die Behandlung von Legasthenie ableiten. Gemäss den Forschungsergebnissen sollte dann der Schwerpunkt auf der Förderung zwischen Schreiben und Hören liegen.
Kontakt:
Prof. Dr. Alexis Hervais-Adelman
Psychologisches Institut
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 74 41
E-Mail: alexis.hervais-adelman@psychologie.uzh.ch
Literatur:
Alexis Hervais-Adelman et al. How does literacy affect speech processing? Not by enhancing cortical responses to speech, but by promoting connectivity of acoustic-phonetic and graphomo-tor cortices. Journal of Neuroscience, 17. Oct. 2022. DOI: 10.1523/JNEUROSCI.1125-21.2022
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2022/Sprachverstaendnis.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).