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Wissenschaft
Ein Team aus dem Institut für Medienforschung der Universität Siegen hat die Krisenkommunikation während des Hochwassers 2021 analysiert, bei dem mehr als 180 Menschen gestorben sind.
„Beim Hochwasser im Juli 2021 gab es ein multiples Systemversagen des Warn- und Katastrophenschutzsystems in Bund, Ländern und Kommunen.“ So fasst Prof. Dr. Gebhard Rusch von der Universität Siegen den Zwischenstand seiner Studie zusammen. Er und sein Team vom Institut für Medienforschung der Uni Siegen haben die Kommunikation rund um das Hochwasser im Juli 2021 von Behörden, Medien und Bevölkerung analysiert. Ziel ist es, Missstände aufzudecken, Warnung und Evakuierung in den Gebieten zu verbessern sowie Konzepte zu entwickeln, um deutlich robustere Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen zu schaffen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.
Eine Ursache für das Kommunikationsversage sieht Rusch darin, dass die Fachexpertise und die Medienverfügbarkeit zu lose gekoppelt sind. Die Fachbehörden hätten keinen Zugang zu eigenen Informations- und Warnkanäle mit ausreichend hoher Reichweite. Um Warnmeldungen zu übermitteln, benötigten FachexpertInnen deshalb die öffentlich-rechtlichen und privaten Medienveranstalter. Dort würden Warnungen oft nur verlesen, nicht aber fachlich mit Blick auf die konkreten Gefährdungen interpretiert und veranschaulicht. Deshalb fordert der Medienwissenschaftler anschauliche Beschreibungen und Illustrationen der Gefahren, die mit extremen Wetterlagen möglicherweise drohen. „Die Warnungen müssen besser veranschaulicht werden.“ Hinzu käme das Problem, dass die Warnstufen überkomplex und die Mobilisierungswirkungen zu mangelhaft seien. „Wenn Bürger nur gewarnt werden, reicht das nicht aus. Es muss unmissverständlich gefordert werden, dass die Menschen umgehend handeln müssen oder dass sonst Gefahr für Leib und Leben besteht“, fordert Rusch.
„Das neue Cell Broadcast System kann nicht die finale Lösung sein“
Auch die Warn-Apps NINA, Katwarn oder Biwapp können laut Rusch solche Lücken nicht wirksam schließen. Sie seien in der Bevölkerung noch immer in viel zu geringem Umfang und teils nur regional verbreitet, die nutzerspezifischen Konfigurationen seien außerdem oft fehlerhaft oder unvollständig. Im November 2022 wurde das Cell Broadcast System ausgerollt. Darüber sollen künftig BürgerInnen per SMS über Notfälle informiert werden. Beim bundesweiten Warntag am 8. Dezember wird das System zum ersten Mal in der Praxis getestet. Rusch sieht in Cell Broadcast eine deutliche Verbesserung zur bisherigen Situation. „Es ist löblich, dass das umgesetzt wurde. Aber auch das neue Cell Broadcast System kann nicht die finale Lösung sein“, sagt Rusch. Zwar könne die Einführung von Cell Broadcast die Mängel der Warn-Apps kompensieren, das System bleibe aber auf die Mobilfunk-Infrastruktur und intensive Stromversorgung mit den bekannten Ausfallrisiken angewiesen. Der weit verbreitete Mangel an Notstrom-Technik in Mobilfunksystemen, vor allem aber in Unternehmen und Privathaushalten, schränke die Resilienz der Kommunikationssysteme und Versorgungsinfrastrukturen in Krisenlagen ganz erheblich ein.
Von diesem Problem sei auch das Mobile Warnsystem des Bundes (MOWAS) betroffen. „Das Hochwasser 2021 hat gezeigt, dass Zugänge zum MOWAS-Portal wegen der Stromausfälle vor Ort in den Leitstellen nicht mehr möglich waren“, berichtet Rusch. Auch die Bedienung des MOWAS-Systems sei für das Leitstellenpersonal kompliziert. Widersprüchliche Inhalte in einer Warnung oder in den Warnungen der Leitstellen in einer Region müssten dann von den Multiplikatoren (z.B. den Reaktionen der Medienanstalten) aufwendig nachrecherchiert werden und führten zu einer gewissen Warnskepsis, die kontraproduktive Folgen haben könne.
Bessere Qualifizierung für EntscheidungsträgerInnen und für die Bevölkerung gefordert
Nicht zuletzt müsse aber auch die Frage nach der Qualifizierung der Verantwortungs- und EntscheidungsträgerInnen im Bevölkerungsschutz gestellt werden. „Scheinbar haben diese Personen teils Sorge, durch Warnungen oder Alarmierungen Panik auszulösen“, sagt Rusch. „Außerdem befürchten manche, für Schäden durch im Nachhinein als unnötig erachtete Warnungen haftbar gemacht zu werden. Dadurch zögern viele Verantwortliche zu lange oder weichen einer Entscheidung aus.“ Nicht nur die Qualifizierung der EntscheidungsträgerInnen, sondern auch eine Qualifizierung der Bevölkerung sei wichtig. „Es ist sinnvoll, wenn die Bevölkerung ein Verständnis für Naturgefahren, für die Verletzlichkeit und Risiken kritischer Infrastruktur hat. Außerdem ist es definitiv sinnvoll, die Selbsthilfefähigkeit und Resilienz der Bevölkerung zu stärken.“
Für das Verbundprojekt „Governance und Kommunikation im Krisenfall des Hochwasserereignisses im Juli 2021 - HoWas2021“ stellt das BMBF rund 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das Projekt hat eine Laufzeit von 18 Monaten. Ziel ist es, Risikovorhersagen, Krisenkommunikation und Katastrophenmanagement bei der Bewältigung von Extremwetterlagen zu verbessern. In dem Verbund unter Leitung des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen arbeiten ForscherInnen sowie Anwender aus unterschiedlichsten Fachdisziplinen und Organisationen zusammen. Die Universität Siegen ist am Projekt beteiligt.
Kontakt
Prof. Dr. Gebhard Rusch, Universität Siegen
iSchool - Institut für Medienforschung
E-Mail: rusch@ifm.uni-siegen.de
Prof. Dr. Gebhard Rusch, Universität Siegen
iSchool - Institut für Medienforschung
E-Mail: rusch@ifm.uni-siegen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Informationstechnik, Medien- und Kommunikationswissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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