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12.12.2022 17:15

Antihelium-Kerne als Boten aus den Tiefen der Galaxis

Stefan Waldenmaier Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Exzellenzcluster Origins

    Wie entstehen Galaxien und was hält sie zusammen? Astronominnen und Astronomen gehen davon aus, dass die Dunkle Materie dabei eine essentielle Rolle spielt, nachgewiesen werden konnte ihre Existenz jedoch noch nicht. Einem Forschungsteam unter Beteiligung der Technischen Universität München (TUM) ist es nun gelungen, die Überlebensrate von Antihelium-Kernen aus den Tiefen der Galaxis zu bestimmen – eine notwendige Voraussetzung für die indirekte Suche nach Dunkler Materie.

    Hinweise auf Dunkle Materie gibt es viele. Daraus, wie sich Galaxien in Galaxienhaufen bewegen, oder wie schnell Sterne um das Zentrum einer Galaxie kreisen, lässt sich errechnen, dass sehr viel mehr Masse vorhanden sein muss als jene, die sichtbar ist. Unser Milchstraßensystem beispielsweise besteht zu rund 85 Prozent aus einer Substanz, die nicht sichtbar ist und sich nur durch ihre Gravitationswirkung bemerkbar macht. Ein direkter Nachweis dieser Materie ist bis heute noch nicht gelungen.

    Mehrere theoretische Modelle für Dunkle Materie gehen davon aus, dass sie aus Teilchen bestehen könnte, die schwach untereinander wechselwirken. Dabei entstehen Antihelium-3- Kerne, die aus zwei Antiprotonen und einem Antineutron bestehen. Auch bei hochenergetischen Kollisionen zwischen kosmischer Strahlung und gewöhnlicher Materie wie Wasserstoff und Helium entstehen diese Kerne – allerdings mit anderen Energien, als es bei der Wechselwirkung Dunkler-Materie-Teilchen der Fall sein müsste.

    Bei beiden Prozessen haben die Antiteilchen ihren Ursprung in den Tiefen der Galaxis, mehrere 10.000 Lichtjahre entfernt von uns. Nach ihrer Entstehung macht sich ein Teil von ihnen auf den Weg zu uns. Wie viele der Teilchen diese Reise unbeschadet überstehen und als Boten ihres Entstehungsprozesses in die Nähe der Erde gelangen, wird über die Durchlässigkeit oder Transparenz der Milchstraße für Antihelium-Kerne bestimmt. Bislang konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Wert nur grob abschätzen. Eine bessere Eingrenzung der Transparenz, ein Maß für die Anzahl und Energien von Antikernen, ist allerdings wichtig für die Interpretation zukünftiger Antihelium-Messungen.

    Teilchenbeschleuniger LHC als Antimateriefabrik

    Forschende der ALICE-Kollaboration führten nun Messungen durch, mit denen sie die Transparenz erstmals genauer festlegen konnten. ALICE steht für A Large Ion Collider Experiment und ist eines der größten Experimente der Welt, um die Physik auf den kleinsten Längenskalen zu erforschen. ALICE ist Teil des Large Hadron Colliders (LHC) am CERN.

    Am LHC lassen sich große Mengen an leichten Antikernen wie Antihelium erzeugen. Zu diesem Zweck werden jeweils Protonen und Blei-Atome auf Kollisionskurs gebracht. Bei den Zusammenstößen entstehen Teilchenschauer, die der Detektor des ALICE-Experiments aufzeichnet. Dank mehrerer Teilsysteme des Detektors können die Forschenden dann die entstandenen Antihelium-3-Kerne nachweisen und ihre Spur im Detektormaterial verfolgen. So lässt sich quantifizieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Antihelium-3-Kern mit dem Detektormaterial wechselwirkt und verschwindet. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der TUM und des Exzellenzclusters ORIGINS haben maßgeblich zur Analyse der experimentellen Daten beigetragen.

    Galaxis durchlässig für Antikerne

    Mithilfe von Simulationen konnten die Forschenden die Ergebnisse aus dem ALICE-Experiment auf die gesamte Galaxis übertragen. Das Resultat: Etwa die Hälfte der Antihelium-3-Kerne, die bei der Wechselwirkung von Teilchen der Dunklen Materie entstehen soll, würde die erdnahe Umgebung erreichen. Unsere Milchstraße ist somit zu 50 Prozent durchlässig für diese Antikerne. Für Antikerne, die durch Kollisionen von kosmischer Strahlung mit dem interstellaren Medium entstehen, variiert die erhaltene Transparenz von 25 bis 90 Prozent mit zunehmendem Antihelium-3-Impuls. Diese Antikerne lassen sich jedoch von jenen, die aus Dunkler Materie entstehen, aufgrund ihrer höheren Energie unterscheiden.

    „Dies ist ein hervorragendes Beispiel für eine interdisziplinäre Analyse, die zeigt, wie Messungen an Beschleunigern direkt mit der Untersuchung der kosmischen Strahlung im Weltraum verbunden werden können“, sagt ORIGINS Wissenschaftlerin Prof. Laura Fabbietti von der TUM School of Natural Sciences. Die Ergebnisse vom ALICE Experiment am LHC sind von großer Bedeutung für die Suche nach Antimaterie im Weltraum mit dem AMS-02 Modul (Alpha Magnetic Spectrometer) auf der internationalen Raumstation ISS. Ab 2025 wird dann das GAPS-Ballonexperiment über der Arktis die ankommende kosmische Strahlung auf Antihelium-3 untersuchen.

    Weitere Informationen:
    An den Arbeiten zur Antihelium-3-Wechselwirkung unter der Leitung von Prof. Dr. Laura Fabbietti waren Arbeitsgruppen um Prof. Dr. Alejandro Ibarra an der TUM sowie Dr. Andrew Strong am Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik beteiligt. Die Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über den Exzellenzcluster ORIGINS, EXC 2094 - 390783311 und den Sonderforschungsbereich SFB1258 gefördert sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Laura Fabbietti
    Technische Universität München, Exzellenzcluster ORIGINS
    E-Mail: laura.fabbietti@ph.tum.de


    Originalpublikation:

    ALICE Collaboration: Measurement of anti-3He nuclei absorption in matter and impact on their propagation in the Galaxy, Nature Physics.
    https://www.nature.com/articles/s41567-022-01804-8


    Bilder

    Schematische Darstellung der Antihelium-Vernichtung im Material des ALICE-Detektors am CERN sowie im Universum.
    Schematische Darstellung der Antihelium-Vernichtung im Material des ALICE-Detektors am CERN sowie im ...

    ORIGINS Cluster / S. Kwauka

    Prof. Dr. Laura Fabbietti (rechts) diskutiert mit Laura Šerkšnytė (Mitte) und Stephan Königstorfer über die Experimente zur Antihelium-3-Wechselwirkung.
    Prof. Dr. Laura Fabbietti (rechts) diskutiert mit Laura Šerkšnytė (Mitte) und Stephan Königstorfer ü ...

    Astrid Eckert / TUM


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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