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Wissenschaft
Was Menschen zu sich nehmen, wird vom Organismus im Stoffwechsel biochemisch zerlegt: wertvolle Stoffe werden verdaut, weniger essentielle verworfen und ausgeschieden. Bei Medikamenten beginnt dieser Abbau zuweilen, noch bevor sie ihre heilende Wirkung voll entfalten können. Chemiker versuchen das zu verhindern, indem sie im Arznei-Molekül Atome des Wasserstoffs (H) durch Deuterium (D), ein Isotop des Wasserstoffs, ersetzen. Wie sich dieser Isotopenaustausch einfacher, ressourcenschonender und kostengünstiger als bisher durchführen lässt, das erkundete eine Nachwuchsforscherin in ihrer Dissertation am Leibniz-Institut für Katalyse, LIKAT, Rostock.
2017: erstes deuteriertes Medikament
Chemisch gesehen sind Wasserstoff und Deuterium identisch. Deuterium besitzt nur einen schwereren Atomkern. „Deshalb reagiert es langsamer als Wasserstoff“, erläutert Dr. Sara Kopf vom LIKAT. „Und genau mit dieser ‚Trägheit‘ stabilisiert es z.B. Arzneimittel. Das heißt, der Abbau durch den Organismus wird verzögert.“ Patienten könnten künftig mit geringeren Dosen als bisher behandelt werden und riskierten weniger Nebenwirkungen.
Das erste deuterierte Medikament wurde 2017 von der US-amerikanischen Food- and Drug-Administration (FDA) zugelassen. Es lindert Bewegungsstörungen bei der Behandlung der Nervenkrankheit Chorea Huntington. Seither versuchen Labore weltweit, durch Wasserstoffisotopenaustausch stabilere medizinische Wirkstoffe hinzubekommen. Auch Sara Kopf wählte das Thema, und zwar 2020 für ihre Dissertation, die sie im November verteidigte.
Ziel dieser Arbeit, die von LIKAT-Direktor Prof. Dr. Matthias Beller betreut wurde: den chemischen Prozess der Deuterierung stark zu vereinfachen. Das umfasste zum einen den Katalysator, zum anderen die Quelle für das Deuterium.
Quelle: deuteriertes Wasser
Als neue Quelle wählte die Promovendin deuteriertes Wasser. Es lässt sich im Unterschied zum Deuterium-Gas, das üblicherweise verwendet wird, unter Normaldruck verarbeiten und ist billiger.
Bei der Deuterierung besteht die Kunst u.a. darin, nicht etwa sämtliche H-Atome im Molekül zu ersetzen, sondern nur ausgewählte, erläutert die Chemikerin. Geeignete Orte wären vor allem sogenannte C-H-Gruppen. Die bestehen aus einem Kohlenstoff-Atom (C) und bis zu drei Wasserstoff-Atomen (H) und kommen sehr häufig in Pharmazeutika vor. Für Chemiker sind sie bevorzugter Reaktionsort im Molekül: mit der sogenannten C-H-Aktivierung lassen sich Wirkstoffe gezielt mit Funktionen versehen.
Diese C-H-Aktivierung zählt in der organischen Chemie zu den Dream Reactions, wie Dr. Kopf sagt: „Sehr attraktiv, doch schwer zu meistern. Damit spalten wir die C-H-Gruppe und ersetzen das H-Atom durch andere Elemente. Und natürlich bietet sich dieser Ort auch für den Austausch von Wasserstoff durch Deuterium an.“
Katalysatoren: Mangan und Ruthenium
Diese C-H-Aktivierung benötigt einen Katalysator, üblicherweise ist das Iridium, ein teures Edelmetall, seltener als Gold und Platin. Auch dafür wollte Sara Kopf Alternativen finden. Sie experimentierte mit Ruthenium und Mangan. „Ruthenium kommt häufiger als Iridium vor, ist gut erforscht und bietet in Sachen C-H-Aktivierung viel Literatur“, sagt die Chemikerin. Mangan gibt es in großen Vorkommen, es ähnelt in seinen Eigenschaften dem Eisen, ist ähnlich kostengünstig, nicht-toxisch, und gerate in der Fachwelt immer stärker in den Fokus, weil es einen Weg in Richtung „grüne Chemie“ öffne.
Die Experimente liefen zäh an, erinnert sich Sara Kopf. Was mit Iridium mühelos gelingt, funktionierte weder mit Ruthenium noch mit Mangan. Erst mit einem Co-Katalysator kam der Durchbruch. In mechanistischen Analysen erkannte sie, was molekular in der Reaktion abläuft. Als Knackpunkt erwies sich, dass jene C-H-Gruppen, die die Chemikerin für den Isotopenaustausch vorgesehen hatte, nicht dicht genug an den Katalysator herankamen, um reagieren zu können.
Universelle Methode
„Der Trick besteht darin, weitere Strukturen im Molekül sozusagen als Dirigenten zu verwenden, welche die entsprechenden C-H-Gruppen und den Katalysator zusammenbringen.“ In ihrer Dissertation beschreibt Sara Kopf, wie sich typische Strukturen in Molekülen der organischen Chemie zu dirigierenden Gruppen umwandeln lassen. Wer einst gut war in Chemie, wird die Namen noch aus dem Unterricht kennen: z.B. Ketone (C-O), die aus einem Kohlenstoff- und einem Sauerstoff-Atom bestehen, oder Aldehyd-Gruppen (C-H-O) aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff.
Dr. Kopf: „Je mehr Gruppen ich als Dirigenten in den Molekülen zugänglich machen kann, desto mehr Pharmazeutika kann ich dann mittels Deuterium ‚labeln‘.“ Damit eignet sich die neue Isotopenaustausch-Methode für breite Anwendungsfelder. Für die Praxisreife sei aber noch weitere Forschung nötig. So beanspruche die Methode von Dr. Kopf noch Temperaturen zwischen 100 und 120 Grad Celsius. „Es gibt Strukturen im Molekül, die diese Wärme nicht überstehen. Für die Reaktion wären 40 Grad oder gar Raumtemperaturen ideal.“
Nach zweieinhalb Jahren Forschungsarbeit verteidigte Sara Kopf ihre Dissertation mit dem höchstmöglichen Prädikat: summa cum laude. Einen Überblicksartikel über ihren Forschungsgegenstand publizierte sie im renommierten Fachmagazin CHEMICAL REVIEWS der American Chemical Society.
Sara Kopf
(research group „Homogeneous Catalysis for Life Sciences“)
Sara.Kopf@catalysis.de
0381 1281-178
Kopf, Sara; Bourriquen, Florian; Li, Wu; Neumann, Helfried; Junge, Kathrin; Beller, Matthias Chemical Reviews, 2022, 122, 6634-6718. Recent Developments for the Deuterium and Tritium Labeling of Organic Molecules.
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.chemrev.1c00795
https://www.catalysis.de/forschung/angewandte-homogenkatalyse/homogene-katalyse-...
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Sara Kopf
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Chemie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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