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16.12.2022 09:00

Größte interdisziplinäre Fachtagung zur Mukoviszidose in Deutschland diskutierte Paradigmenwechsel in der Versorgung

Carola Wetzstein Pressestelle
Mukoviszidose Institut – gemeinnützige Gesellschaft für Forschung und Therapieentwicklung mbH

    Die jährlich vom Mukoviszidose e.V. organisierte Fachtagung war in 2022 wieder gut besucht: 658 Teilnehmende aus allen an der Mukoviszidose-Behandlung beteiligten ärztlichen und nicht-ärztlichen Berufsgruppen informierten und diskutierten über aktuelle Forschungs- und Therapieansätze. Übergeordnetes Schlagwort der Tagung war Paradigmenwechsel. So widmeten sich die Plenarveranstaltungen u.a. dem Umgang mit ethischen Dilemmata sowie Pro/Con-Debatten zur Frage, wie viel Begleittherapie ergänzend zu CFTR-Modulatoren noch notwendig ist. In allen Therapiefeldern wurde bilanziert, wo Altbewährtes weiter Bestand hat und wo neue Wege beschritten werden müssen. (Mukoviszidose: Cystische Fibrose, CF)

    Rück-/Ausblick auf Entwicklungen in Therapie und Forschung

    Was haben wir bislang erreicht? Was bringt die Zukunft? – diesen Fragen widmete sich das erste Plenum. Die Modulator-Therapien haben einen Paradigmenwechsel in der CF-Versorgung gebracht, aber keine Heilung. Denn auch unter Modulatoren wird eine geschädigte Lunge nicht wieder zu einer gesunden Lunge. Chronische Infektionen und Entzündungen führen zu Veränderungen im Gewebe, die bakterielle Besiedelung ist in Richtung reduzierter Diversität verschoben, und die natürliche, gesunde Keimflora wurde verdrängt. Bisher ist noch nicht geklärt, welche dieser Vorgänge reversibel sind und wie die Lungengesundheit wiederhergestellt werden könnte.

    Auch die Eliminierung krankmachender Keime ist in Zeiten von zunehmenden Antibiotika-Resistenzen ein wichtiges Thema. Erste Studien zu Modulatoren und chronischen Lungenbesiedelungen zeigten, dass die krankmachenden, CF-typischen Keime oft nur vorübergehend verschwinden. Demnach sind neue anti-mikrobielle Ansätze und anti-entzündliche Therapien auch in Zukunft noch dringend notwendig, um Mukoviszidose umfassend behandeln zu können. Und auch neue Ansätze für die mikrobielle Diagnostik werden entwickelt, um schneller und zielgerichteter therapieren zu können.

    Schließlich war es ein dringendes Anliegen des Plenums zu beleuchten, welche Therapieoptionen jenseits der aktuell verfügbaren Modulatoren entwickelt werden. Für Menschen mit Mukoviszidose und seltenen Mutationen werden derzeit neue Modulatoren-Kombinationen ebenso wie Therapien mit alternativen Chloridkanälen getestet. Außerdem wurden erste Ergebnisse zu Gentherapien vorgestellt.

    Wie umgehen mit ethischen Dilemmata?

    Das zweite Plenum befasste sich mit den Themen „Nicht-invasive Pränataldiagnostik (NIPD)“ und „Arzneimittelpreise“. Einen vorgeburtlichen Test auf Mukoviszidose können werdende Eltern bereits in Auftrag geben, müssen für die Kosten aber selbst aufkommen (ca. 500 Euro). Doch was ist die Konsequenz aus dem Wissen, dass das werdende Kind Mukoviszidose hat? Verbesserte Therapien und eine höhere Lebenserwartung auf der einen Seite, aber auch mutationsabhängig unterschiedliche Prognosen führen zu einer sehr komplexen Situation. Eltern dürften deshalb nicht mit einer solchen Diagnose alleine gelassen werden. Der große Beratungsbedarf sollte, auch unter Einbeziehung von CF-Behandlern, adressiert werden, sodass werdende Eltern schließlich eine informierte Entscheidung treffen können – so das Fazit.

    Im zweiten Vortrag ging es um die Kosten der aktuellen CFTR-Modulatoren, die z.T. vom G-BA einen erheblichen Zusatznutzen attestiert bekamen. Für viele Menschen mit Mukoviszidose sind die neuen Medikamente entsprechend „unbezahlbar“ – in zweifacher Hinsicht. Etwa 700 Euro pro Tag kostet die Therapie, lebenslang. Dies wirft die Frage auf, ob diese Preise für eine solidarische Krankenversicherung auf Dauer tragbar sind. Derzeit müssten 78 gesunde Versicherte für einen Patienten mit CFTR-Modulator einzahlen, rechnete der Referent Stephan Kruip, Bundesvorsitzender des Mukoviszidose e.V., vor. Ein dauerhafter Zugang zu den neuen Medikamenten könne aber nur durch tragbare, nachhaltige und faire Preise gesichert werden.

    Pro/Con: Wie viel Begleittherapie braucht es noch bei CFTR-Modulatoren?

    Die Frage, wie viel der CF-Basistherapie noch durchgeführt werden sollte, wenn Betroffene CFTR-Modulatoren einnehmen, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beantworten. Erste Studien zu einer Reduktion der Therapielast werden durchgeführt, aber die Ergebnisse lassen sich nicht einfach auf alle Patienten übertragen. Die medikamentöse Basistherapie beispielsweise ist sehr stark davon abhängig, wie die Mukoviszidose bislang verlaufen ist und ob und wie lange chronische Lungen-Infektionen oder Komorbiditäten vorliegen. Dabei sind nicht nur die eventuell schon entstandenen irreversiblen Schäden zu beachten, die sich bereits vor der Modulator-Therapie manifestiert haben, sondern auch die individuell unterschiedliche Wirksamkeit der Modulatoren. Vergleichbar verhält es sich mit den nicht-medikamentösen Therapien. Die Physiotherapie sollte durch sportliche Aktivität ergänzt werden, wie schon seit einigen Jahren empfohlen wird. Sport kann aber die Physiotherapie nicht einfach ersetzen. Bei akuten Exazerbationen beispielsweise muss weiterhin die Atemphysiotherapie im Vordergrund stehen.

    Durch die Erkrankung teilweise über viele Jahre anerzogene Essgewohnheiten erfordern ein Umlernen, das nur mit Ernährungstherapie, manchmal auch in Verbindung mit psychologischer Hilfe, möglich ist. Die Anpassung an die neue Lebenssituation kann außerdem zu ernsthaften Identitätskrisen führen, die psychologische Intervention benötigen.

    Beobachtet wird von allen CF-Behandlergruppen, dass viele Patienten Anpassungen ihrer Basistherapien vornehmen. Da über die langfristigen Folgen der Therapieveränderungen noch nicht viel bekannt ist, müssen Patienten und Behandler nun gemeinsam umlernen, so ein Resümee des Abschlussplenums.

    Die Deutsche Mukoviszidose Tagung

    Die Deutsche Mukoviszidose Tagung ist eine Veranstaltung der Forschungsgemeinschaft Mukoviszidose im Mukoviszidose e.V. Ärzte, Physiotherapeuten, Ernährungsberater, Pflegekräfte, Psychosoziale Fachkräfte, Rehabilitations-Spezialisten und alle weiteren an der Behandlung von Mukoviszidose-Patienten beteiligten Berufsgruppen diskutieren jährlich bei der Fachtagung in Würzburg aktuelle Ansätze aus Mukoviszidose-Forschung und -Therapie. Die nächste Deutsche Mukoviszidose Tagung findet vom 23. bis 25. November 2023 in Würzburg statt.

    Hintergrund-Informationen

    Über Mukoviszidose
    In Deutschland sind mehr als 8.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene von der unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose betroffen. Durch eine Störung des Salz- und Wasserhaushalts im Körper bildet sich bei Mukoviszidose-Betroffenen ein zähflüssiges Sekret, das Organe wie die Lunge und die Bauchspeicheldrüse irreparabel schädigt. Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 150 bis 200 Kinder mit der seltenen Krankheit geboren.

    Über den Mukoviszidose e.V.
    Der Mukoviszidose e.V. vernetzt die Patienten, ihre Angehörigen, Ärzte, Therapeuten und Forscher. Er bündelt unterschiedliche Erfahrungen, Kompetenzen sowie Perspektiven mit dem Ziel, jedem Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes Leben mit Mukoviszidose ermöglichen zu können. Damit die gemeinsamen Aufgaben und Ziele erreicht werden, ist der gemeinnützige Verein auf die Unterstützung engagierter Spender und Förderer angewiesen.

    Pressekontakt:
    Mukoviszidose e.V.
    Carola Wetzstein
    Telefon: +49 (0)228 9 87 80-22
    Mobil: +49 (0)171 958 23 82
    E-Mail: CWetzstein@muko.info


    Bilder

    Nach zwei Jahren im virtuellen Modus war die DMT in Präsenz in 2022 sehr gut besucht.
    Nach zwei Jahren im virtuellen Modus war die DMT in Präsenz in 2022 sehr gut besucht.

    Foto: Mukoviszidose e.V.


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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