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Wissenschaft
Heilpflanzen könnten die medizinische Versorgung der Menschheit sichern – dazu müssten sie umfassend erforscht und geschützt werden, fordert ein Wissenschaftler*innen-Team.
In „The Lancet Planetary Health“ plädieren sie dafür, die Erforschung von Heilpflanzen systematisch voranzutreiben, um ihr Potenzial für die globale Gesundheitsversorgung nachhaltig zu nutzen. Dabei zeigen sie die Möglichkeiten auf, die der wissenschaftliche und technische Fortschritt für das Verständnis der ökologischen Funktionen bioaktiver Pflanzenstoffe und ihren Einsatz in der Medizin eröffnet und weisen auf die Gefahren hin, welche die Klima- und Biodiversitätskrise für diese wichtige Naturressource darstellen.
Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen plädiert im renommierten Fachjournal „The Lancet Planetary Health“ dafür, die Erforschung von Heilpflanzen systematisch voranzutreiben, um ihr Potenzial für die globale Gesundheitsversorgung nachhaltig zu nutzen. Gemeinsam mit anderen zeigen Dr. Spyros Theodoridis vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und Prof. David Nogués Bravo vom Center for Macroecology, Evolution and Climate der Universität Kopenhagen die Möglichkeiten auf, die der wissenschaftliche und technische Fortschritt für das Verständnis der ökologischen Funktionen bioaktiver Pflanzenstoffe und ihren Einsatz in der Medizin eröffnet. Gleichzeitig weisen sie auf die Gefahren hin, welche insbesondere die Klima- und Biodiversitätskrise für diese wichtige Naturressource darstellen.
Seit Jahrtausenden vertrauen Menschen auf die heilende Wirkung von Pflanzen – an manchen Orten sind sie noch heute das einzige frei verfügbare Heilmittel. Die Hälfte der in den letzten vier Jahrzehnten weltweit zugelassenen Medikamente basiert auf den Inhaltsstoffen medizinischer Pflanzen oder wurde nach ihrem Vorbild entwickelt. Das traditionelle Schmerzmittel Morphium wird aus Schlafmohn gewonnen, die Salicylsäure für Aspirin kommt als Pflanzenhormon in der Rinde von Weidenbäumen vor. Zuletzt hat das Interesse an Heilpflanzen durch neue, hochentwickelte Verfahren zur Analyse ihrer bioaktiven Stoffe erneut zugenommen.
„Heilpflanzen und ihre bioaktiven Stoffe bieten enorme Möglichkeiten für die zukünftige medizinische Versorgung der Menschheit – als eine naturbasierte, kostengünstige und effiziente Gesundheitsressource. Aber unser Wissen über sie ist immer noch ausschnitthaft“, erläutert Spyros Theodoridis vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und fährt fort: „Von etwa 374.000 bekannten Pflanzenarten sind bislang nur 15 Prozent chemisch analysiert – und gerade einmal 6 Prozent wurden unter pharmakologischen Gesichtspunkten untersucht.“ Die rasanten Entwicklungen auf den Gebieten der Metabolomik – der Erforschung von Stoffwechselprodukten – und Genomik eröffnen nun neue Möglichkeiten für die systematische Analyse bioaktiver Pflanzenstoffe und ihrer Einbettung in komplexe Ökosysteme. So konnten zum Beispiel im Genom der Eibe diejenigen Gene identifiziert werden, die für die Synthese des in der Krebstherapie eingesetzten Stoffs Paclitaxel verantwortlich sind.
Gleichzeitig sind hergebrachte – und noch unbekannte – Heilpflanzen durch den Einfluss des Menschen bedroht. Bewährte Gewächse wie der Sideritis, als Griechischer Bergtee unter anderem bei Erkältungen angewendet, stehen durch übermäßiges Sammeln vor dem Aussterben. Für Tausende Menschen in den Ländern des Balkans stellt Sideritis-Sammeln derzeit allerdings die einzige Lebensgrundlage dar. Hier müsste die lokale Bevölkerung in die Entwicklung nachhaltiger, natürlichen Ökosystemen nachempfundener Anbaukonzepte einbezogen werden, regen die Forschenden an.
Die Klima- und Biodiversitätskrise bedroht zudem ganze Ökosysteme. „Die bioaktiven Pflanzenstoffe, die wir als Heilmittel einsetzen, erfüllen in der Natur spezifische Aufgaben in der Interaktion von Pflanze und Ökosystem – von der Bestäubung bis zur Bodenqualität“, erklärt David Nogués Bravo vom Center for Macroecology, Evolution and Climate der Universität Kopenhagen und weiter: „Extreme Temperaturen, Dürreperioden und eine erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre können dieses komplexe Zusammenspiel stören. Hier müssen die Klima- und Biodiversitätsforschung zusammenarbeiten – auf allen Ebenen, von der genetischen und molekularen bis zu Artengemeinschaften und Ökosystemen –, um Grundlagen für geeignete Schutzkonzepte zu schaffen.“
Am Beispiel von Europa haben die Forschenden eine Reihe von Indikatoren entwickelt, um das medizinische und sozioökonomische Potenzial von Ökosystemen sowie deren mögliche Gefährdung für verschiedene Gebiete zu erfassen. Hier stechen die Mittelmeerregion und polarnahe Gebiete besonders hervor. „Unser Ziel ist es, Anstöße für die transdisziplinäre globale Erforschung von medizinischen Pflanzen zu geben. So können wir in der Zukunft nicht weniger als eine nachhaltige Transformation der weltweiten Gesundheitsversorgung erreichen und die ‚medizinische Biodiversität‘ für kommende Generationen sichern,“ fasst Theodoridis zusammen.
Dr. Spyros Theodoridis
Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
Tel. +49 69 7542 1853
spyros.theodoridis@senckenberg.de
Prof. Dr. David Nogués Bravo
Center for Macroecology, Evolution and Climate
Universität Kopenhagen
Tel. +45 3532 1258
dnogues@sund.ku.dk
Theodoridis S, Drakou EG, Hickler T, Thines M, Nogues-Bravo D. Evaluating natural medicinal resources and their exposure to global change. Lancet Planet Health 2023; 7: e155–63.
www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(22)00317-5/fulltext
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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