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22.03.2023 16:00

Beethovens Genom gibt Aufschluss über Gesundheit und Familiengeschichte des Komponisten

Sandra Jacob Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

    Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, Ludwig van Beethovens Genom anhand von fünf genetisch übereinstimmenden Haarlocken des weltberühmten Komponisten zu entschlüsseln. Die neue Studie zeigt, dass Beethoven eine erbliche Veranlagung für eine Leberzirrhose hatte und mit Hepatitis B infiziert war, was - in Verbindung mit seinem Alkoholkonsum - wohl zu seiner schweren Lebererkrankung und damit zum Tod führte. Das Erbgut von heute lebenden Verwandten deutet zudem auf eine außereheliche Beziehung in Beethovens väterlicher Linie hin.

    Die von der Universität Cambridge, dem Beethoven Center San Jose und der American Beethoven Society, der KU Leuven, der Firma FamilyTreeDNA, dem Universitätsklinikum Bonn und der Universität Bonn, dem Beethoven-Haus Bonn und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie geleitete Studie bringt neue Erkenntnisse über die Krankheiten des Komponisten zu Tage und wirft Fragen über seine jüngste Abstammung und Todesursache auf.

    Bisher bekannt war, dass Beethoven seine Brüder in einem 1802 verfassten Brief bat, seine Krankheit nach seinem Tod durch seinen Arzt untersuchen zu lassen und das Ergebnis zu veröffentlichen. Seitdem herrscht Unklarheit über den Gesundheitszustand und die Todesursache des Bonner Komponisten, denn die Aufzeichnungen von Beethovens Arzt wurden nie gefunden. Um mehr über seine Krankheiten und die Todesursache herauszufinden, hat das internationale Forschungsteam nun moderne archäogenetische Untersuchungsmethoden genutzt.

    Die in der Zeitschrift Current Biology veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen, dass die DNA von fünf Haarsträhnen - die alle aus den letzten sieben Lebensjahren Beethovens stammen - einer einzigen Person zugeordnet werden können. Die genetischen Daten dieser Person weisen auf eine Herkunft hin, die mit der historisch gut erforschten Herkunft Beethovens übereinstimmt. Auf dieser Grundlage kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass diese fünf Locken "mit ziemlicher Sicherheit authentisch" sind.

    Das Hauptziel der internationalen Studie ist es, neue Erkenntnisse über Beethovens Gesundheitsprobleme zu erlangen. Dazu zählte bekanntlich ein fortschreitender Hörverlust, der in einem Alter von etwa 25 bis 29 Jahren einsetzte und schließlich dazu führte, dass der Komponist im Jahr 1818 de facto taub war. Das Team untersuchte auch mögliche genetische Ursachen für Beethovens chronische Magen-Darm-Beschwerden und eine schwere Lebererkrankung, die 1827 zu seinem Tod führte.

    Schon in seinen Bonner Jahren litt der Komponist unter "elenden" Magen-Darm-Beschwerden, die sich in Wien fortsetzten und verschlimmerten. Im Sommer 1821 erlitt Beethoven das erste Mal eine Gelbsucht, an der er mindestens ein weiteres Mal in seinem Leben erkrankte und die als ein Symptom seiner Lebererkrankung bekannt ist. Leberzirrhose gilt seit langem als die wahrscheinlichste Ursache für seinen Tod im Alter von 56 Jahren.

    Genetische Hinweise zu Beethovens Gesundheit

    Das Forschungsteam konnte keine genetische Ursache für Beethovens Taubheit oder seine Magen-Darm-Probleme feststellen. Sie entdeckten jedoch eine Reihe von bedeutenden genetischen Risikofaktoren für eine Lebererkrankung. Außerdem fanden sie Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus, die spätestens in den Monaten vor seiner zum Tode führenden Erkrankung stattgefunden hat.

    Der Hauptautor der Studie, Tristan Begg von der Universität Cambridge, sagt: "Beethovens 'Konversationshefte‘, die er im letzten Jahrzehnt seines Lebens benutzte, legen die Vermutung nahe, dass er sehr regelmäßig Alkohol konsumierte. Die genauen Mengen einzuschätzen, bleibt aber schwierig. Auch wenn die meisten seiner Zeitgenossen behaupten, sein Alkoholkonsum sei für Wiener Verhältnisse des frühen 19. Jahrhunderts mäßig gewesen, gibt es auch Quellen, in denen sich andere Aussagen dazu finden. Unserer Einschätzung nach dürfte es sich immer noch um Alkoholmengen gehandelt haben, von denen man heute weiß, dass sie für die Leber schädlich sind. Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar."

    Das Forschungsteam vermutet auch, dass Beethovens Hepatitis-B-Infektion eine Mitursache für die schwere Lebererkrankung des Komponisten gewesen sein könnte, die im Zusammenspiel mit dem Alkoholkonsum und seiner genetischen Veranlagung zum fortschreitenden Leberversagen und damit zum Tode führte. Die Forschenden weisen jedoch darauf hin, dass derzeit nicht bestimmt werden kann, wie sich Beethoven mit dem Hepatitis-B-Virus infizierte und wie lange diese Infektion schon bestand.

    Beethovens Schwerhörigkeit wurde mit mehreren möglichen Ursachen in Verbindung gebracht, darunter auch Krankheiten, die in unterschiedlichem Maße genetisch bedingt sind. Die Untersuchung der als authentisch geltenden Haarproben ergab keine einfache genetische Ursache für den Hörverlust. Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn sagt: "Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen. Die Referenzdaten, die für die Interpretation individueller Genome notwendig sind, werden stetig besser. Es ist daher möglich, dass Beethovens Genom in Zukunft Hinweise auf den Ursprung seiner Schwerhörigkeit liefern wird."

    Eine genetische Erklärung für Beethovens Magen-Darm-Beschwerden konnte ebenfalls nicht gefunden werden, aber anhand der genomischen Daten kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass Gluten- und Laktoseintoleranz höchstwahrscheinlich als Ursachen ausgeschlossen werden können. Ebenso das Reizdarmsyndrom (IBS) gegen das bei Beethoven sogar ein gewisser genetischer Schutz festgestellt werden konnte.

    "Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist, aber wir können jetzt zumindest das Vorhandensein eines erheblichen erblichen Risikos für eine Leberzirrhose und eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus belegen", sagt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Wir können auch mehrere andere, weniger plausible genetische Ursachen ausschließen."

    "In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass im Zusammenspiel genetische Veranlagung, Hepatitis-B-Infektion und Alkoholkonsum zu Beethovens Tod geführt haben. Künftig muss noch erforscht werden, in welchem genauen Umfang jeder einzelne Faktor beteiligt war", fügt Tristan Begg hinzu.

    Authentifizierung von Beethovens Haaren

    Insgesamt führte das Team Authentifizierungstests an acht Haarproben durch, die aus öffentlichen und privaten Sammlungen im Vereinigten Königreich, Kontinentaleuropa und den USA stammen. Dabei entdeckten die Forschenden, dass mindestens zwei der Haarlocken nicht von Beethoven stammten, darunter eine berühmte Locke, die der 15-jährige Musiker Ferdinand Hiller vom Kopf des damals kürzlich verstorbenen Komponisten abgeschnitten haben soll.

    Frühere Analysen der "Hiller-Locke" unterstützten die Vermutung, dass Beethoven an einer Bleivergiftung litt, die zu seinen gesundheitlichen Beschwerden, einschließlich seines Hörverlusts, beigetragen haben könnte. William Meredith, der zu einem Team gehörte, das an früheren wissenschaftlichen Analysen von Beethovens sterblichen Überresten beteiligt war und zusammen mit Tristan Begg die vorliegende Studie initiiert hat, sagt: "Da wir jetzt wissen, dass die 'Hiller-Locke' von einer Frau und nicht von Beethoven stammt, trifft keine der früheren Analysen, die ausschließlich auf dieser Haarprobe basieren, auf Beethoven zu. Künftige Studien zur Untersuchung auf Blei, Opiate und Quecksilber müssen auf authentischen Proben basieren."

    Die fünf Proben, die als authentisch identifiziert wurden und von ein und derselben Person stammen, gehören dem Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies in San Jose, Kalifornien, einem privaten Sammler, dem Mitglied der American Beethoven Society, Kevin Brown, und dem Beethoven-Haus in Bonn. Beethoven übergab eine der Locken (jetzt in Browns Sammlung) im April 1826 an den Pianisten Anton Halm mit den Worten "Das ist mein Haar!". Beethovens gesamtes Genom wurde anhand einer weiteren Probe aus Browns Sammlung, der "Stumpff-Locke", sequenziert, die sich als die am besten erhaltene Probe erwies. Das Team fand zwischen der aus der Stumpff-Locke extrahierten DNA und Menschen, die im heutigen Nordrhein-Westfalen leben, die stärkste Verbindung, was auch mit Beethovens bekannter Herkunft seiner Vorfahren übereinstimmt.

    Ein Familiengeheimnis

    Das Team analysierte das Erbgut von lebenden Verwandten Beethovens in Belgien, konnte aber bei keinem von ihnen eine Übereinstimmung mit dem Erbgut des Komponisten finden. Einige von ihnen haben laut genealogischen Studien einen gemeinsamen väterlichen Vorfahren mit Beethoven aus den späten 1500er und frühen 1600er Jahren, doch ihr Y-chromosomales Erbgut stimmte nicht mit dem Y-Chromosom überein, das in den authentischen Haarproben gefunden wurde. Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich das Ergebnis von mindestens einem außerehelichen Ereignis - ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung - in Beethovens direkter väterlicher Linie war. Der genetische Genealoge Maarten Larmuseau von der KU Leuven sagt: "Durch die Kombination von DNA-Daten und Archivdokumenten konnten wir eine Diskrepanz zwischen Ludwig van Beethovens rechtlicher und biologischer Genealogie feststellen."

    Die Studie legt nahe, dass dieses Ereignis in der direkten väterlichen Linie zwischen der Zeugung von Hendrik van Beethoven in Kampenhout, Belgien, um 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven sieben Generationen später, 1770, in Bonn, Deutschland, stattgefunden hat. Obwohl zuvor Zweifel an der Vaterschaft von Beethovens Vater geäußert worden waren, weil es keinen Taufeintrag gab, konnten die Forschenden nicht feststellen, in welcher Generation dieses Ereignis stattfand.

    Begg sagt: "Indem wir Beethovens Genom der Öffentlichkeit zugänglich machen und es uns zukünftig vielleicht gelingen wird, der ursprünglichen chronologischen Abfolge weitere authentische Haarproben hinzuzufügen, hoffen wir, eines Tages die noch offenen Fragen zu Beethovens Krankheiten und Genealogie beantworten zu können.“

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    Cell Press wird am Dienstag, den 21. März 2023 um 16:00 CET / 11:00 Uhr US ET eine virtuelle Pressekonferenz veranstalten. Um teilzunehmen, registrieren Sie sich bitte hier:
    https://elsevier.zoom.us/webinar/register/5716788039931/WN_i0-0TxcGTP-ray2eF-s_O...

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    Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind 8.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,5 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 580 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking sowie in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW und weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf.

    Zur Universität Bonn: Die Universität Bonn zählt mit rund 35.000 Studierenden, 6.000 Promovierenden, knapp 550 Professuren und 6.000 Beschäftigten zu den größten und forschungsstärksten Universitäten in Deutschland. Zahlreiche von den rund 200 Fächern nehmen im internationalen Wettbewerb eine Spitzenstellung ein. Die Universität Bonn ist eine von elf deutschen Exzellenzuniversitäten und –verbünden mit sechs Exzellenzclustern – mehr als an jeder anderen geförderten Hochschule.

    Zum Beethoven-Haus Bonn: Der 1889 gegründete Verein Beethoven-Haus Bonn gilt als das international führende Beethoven-Zentrum. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Beethovens Leben, Werk und Wirken lebendig zu halten. Zu der kulturellen Einrichtung gehört die weltweit bedeutendste Beethoven-Sammlung, das Museum in Beethovens Geburtshaus mit über 100.000 Besuchern (stand vor Corona) pro Jahr, eine musikwissenschaftliche Forschungsabteilung nebst Bibliothek und Verlag sowie der Kammermusiksaal Hermann J. Abs. Getragen von über 700 Freunden, Förderern und Mitgliedern aus über 20 Ländern, unterstützt von Bund, Land NRW, Landschaftsverband Rheinland und Bundesstadt Bonn, erfüllt das Beethoven-Haus einen kulturellen Auftrag von nationaler und internationaler Bedeutung. Präsident ist seit März 2020 der Geiger Daniel Hope.

    Zum Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie: Am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig arbeiten in derzeit sieben Abteilungen Forschende aus mehr als 30 Ländern und aus verschiedenen Fachrichtungen. Ihr gemeinsames Ziel ist die Erforschung der Menschheitsgeschichte aus interdisziplinärer Perspektive. Dafür werden vergleichende Analysen von Genen, Kulturen, kognitiven Fähigkeiten und Sozialsystemen zu vergangenen und gegenwärtigen menschlichen Populationen sowie zu Gruppen von dem Menschen nahe verwandten Primaten durchgeführt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Universitätsklinikum Bonn
    Viola Röser
    Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
    Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
    Tel. +49 (0)228 287- 10469
    E-Mail: viola.roeser@ukbonn.de

    Beethoven-Haus Bonn
    Michael Forst
    Europressedienst
    Tel. +49 (0)228 91254840
    E-Mail: m.forst@europressedienst.com

    Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
    Sandra Jacob
    Tel. +49 (0)341 3550-122
    E-Mail: jacob@eva.mpg.de


    Originalpublikation:

    Tristan James Alexander Begg et al.
    Genomic analyses of hair from Ludwig van Beethoven
    Current Biology, 22 March 2023, https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.02.041


    Bilder

    Die "Stumpff-Locke", aus der Beethovens gesamtes Genom sequenziert wurde, mit einer Inschrift des früheren Besitzers Patrick Stirling.
    Die "Stumpff-Locke", aus der Beethovens gesamtes Genom sequenziert wurde, mit einer Inschrift des fr ...

    © Kevin Brown

    Die "Stumpff-Locke" zur Untersuchung in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte.
    Die "Stumpff-Locke" zur Untersuchung in einem Labor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschich ...

    © Anthi Tiliakou


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Medizin, Musik / Theater
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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