idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
04.04.2023 10:00

Demenzrisiko bei Profi-Fußballspielern

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Seit Jahren gibt es zunehmend mehr Studien zum Risiko für neurodegenerative Erkrankungen (wie Demenzen) bei Sportarten mit wiederholten Schädelprellungen wie dem Fußballsport. Eine neue Kohortenstudie aus Schweden verglich über 6.000 ehemalige Fußballspieler der höchsten Liga hinsichtlich des Auftretens neurodegenerativer Erkrankungen mit einer Kontrollpopulation (>50.000) aus der Allgemeinbevölkerung [1]. Im Ergebnis hatten insbesondere Feldspieler ein um 50% erhöhtes Risiko für M. Alzheimer und andere Demenzen, Torhüter dagegen nicht.

    Fußball steht von allen Sportarten in der Beliebtheit auf der ganzen Welt an oberster Stelle. Verschiedene Beobachtungstudien geben jedoch schon seit Jahren Anlass zur Sorge hinsichtlich der späteren Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen. Zwar sind schwere Kopfverletzungen im Fußballsport selten (in den meisten Studien <0,1 Ereignisse pro 1.000 Spielerstunden [1]), jedoch vermutet man, dass wiederholte, subklinische Verletzungen bzw. Prellungen des Kopfes (v.a. durch Kopfbälle) im Sinne einer „chronisch traumatischen Enzephalopathie“ zu einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen führen könnten (z.B. M. Alzheimer, andere Demenzen, M. Parkinson und Motoneuronerkrankungen, d.h. Erkrankungen des motorischen Nervensystems). Abschließende Evidenz ist noch nicht vorhanden, manche Studien werden kontrovers diskutiert, sind widersprüchlich, im Studiendesign limitiert oder aus anderen Gründen wie Fehlen einer Kontrollgruppe oder unvollständiger Ergebniserfassung nur schwer miteinander vergleichbar.

    Nachdem Untersuchungen aus Schottland 2019 zeigten, dass Profifußballspieler gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein mindestens 3,5-mal höheres Risiko haben, an einer neurodegenerativen Erkrankung zu versterben ([2, 3]), haben UEFA und die Britischen Fußballverbände ihre Richtlinien überarbeitet, um die Sportlerinnen und Sportler bestmöglich zu schützen (z.B. Verbot von Kopfballtraining unter 12 Jahren). 2022 beschloss auch der DFB Änderungen im Kinder- und Jugendfußball im Sinne eines „altersgerechten Umgangs mit dem Kopfballspiel“ [4]; dies beinhaltet z.B. neue Wettbewerbsformen, kleinere Tore und Spielfelder oder das Erlernen der richtigen Kopfballtechnik mit geringem Übungsumfang und leichteren Bällen. Es gibt jedoch auch Rufe aus der medizinischen Fachwelt, das so genannte Köpfen wie in anderen Ländern vor dem Jugendalter ganz zu verbieten.

    Nun wurde eine weitere Studie zur Kopfball-Problematik in „Lancet Public Health“ veröffentlicht [1]. Die Kohortenstudie aus Schweden bewertete das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen bei 6.007 Fußballspielern durch Hinzuziehen einer ausgesprochen großen Vergleichsgruppe von 56.168 Männern aus der Allgemeinbevölkerung. Analysiert wurden Daten von Profi- und Amateurspielern (darunter 510 Torhüter), die zwischen 1924 und 2019 in der höchsten schwedischen Fußball-Liga gespielt hatten. Der Vergleich mit der Kontrollpopulation (bis zu 10 Kontrollen pro Spieler) erfolgte gematcht nach Alter und Wohnregion. Das Follow-up erfolgte bis Ende 2020. Verwendet wurden landesweite Sterbe-, Krankenhaus- und ambulante Patientenregister; dabei wurden Demenzen (M. Alzheimer und andere), Motoneuronerkrankungen und M. Parkinson separat erfasst.

    Bei 537 der 6.007 Fußballspieler (8,9%) wurde die Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung gestellt – gegenüber 3.485 (6,2%) der Kontrollpersonen. Das Erkrankungsrisiko der Fußballer insgesamt (Feldspieler und Torhüter) war somit signifikant um fast 50% höher (Hazard Ratio/HR 1,46) als in der Allgemeinbevölkerung. Betroffen waren vor allem Profifußballer, die Mitte des 20. Jahrhunderts spielten. Gegenüber den Kontrollen hatten Feldspieler eine HR von 1,50; Torhüter dagegen keine signifikante Erhöhung (HR 1,07). Speziell das Demenz-Risiko der Feldspieler war hoch (HR 1,67). Bei Motoneuronenerkrankungen gab es keine signifikanten Unterschiede. Parkinson-Erkrankungen waren sogar bei Fußballspielern seltener als in der Kontrollgruppe (HR 0,68, ohne signifikanten Unterschied zwischen Feldspielern und Torhütern). Die Gesamtmortalität der Fußballspieler war insgesamt etwas niedriger als in der Allgemeinbevölkerung (HR 0,95); die Sterblichkeit an Lungenerkrankungen (Bronchialkarzinom, chronisch obstruktive Lungenerkrankung) war sogar deutlich niedriger (HR 0,82). Die Sterblichkeit an/mit neurodegenerativen Erkrankungen war bei den Fußballern dagegen signifikant höher als bei den Kontrollen (HR 1,54 und HR 1,69 für Tod mit/an Demenz). Die Publizierenden weisen darauf hin, dass eine Übertragbarkeit z.B. auf den Fußballsport dieses Jahrhunderts, Frauenfußball oder Freizeitfußball nicht ohne Weiteres möglich ist. Dennoch bewerten sie die Ergebnisse als relevant für das grundsätzliche Risikomanagement in diesem Sport.

    „Auch in dieser Studie bestätigte sich ein erhöhtes Demenz-Risiko bei ehemaligen Fußballern. Anders als in der Studie aus Schottland war das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen allerdings nicht ganz so ausgeprägt (1,5-fach versus 3,5-bis 5-fach), und es bestand auch nur für Demenzen, nicht aber für M. Parkinson“, kommentiert Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Sport ist für alle Altersgruppen zweifellos wichtiger Bestandteil eines gesunden Lebensstils und regelmäßige Bewegung ist auch eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fußball diesen Effekt jedoch umzukehren. Ob es für die Gesunderhaltung der kognitiven Fähigkeiten reicht, nur auf das ‚Köpfen‘ im Kindes- und Jugendalter zu verzichten, müssen weitere Studien klären.“

    [1] Ueda P, Pasternak B, Lim CE et al. Neurodegenerative disease among male elite football (soccer) players in Sweden: a cohort study. Lancet Public Health 2023 Apr; 8 (4): e256-e265 doi: 10.1016/S2468-2667(23)00027-0. Epub 2023 Mar 16.
    [2] Mackay DF, Russell ER, Stewart K, MacLean JA, Pell JP, Stewart W. Neurodegenerative disease mortality among former professional soccer players. N Engl J Med 2019; 381: 1801–08.
    [3] Russell ER, Mackay DF, Stewart K et al. Association of Field Position and Career Length With Risk of Neurodegenerative Disease in Male Former Professional Soccer Players. JAMA Neurol 2021; 78 (9): 1057-1063 doi: 10.1001/jamaneurol.2021.2403. https://dgn.org/artikel/2338
    [4] https://www.dfb.de/news/detail/nachwuchs-und-kopfball-dfb-beschliesst-altersgema...

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    doi: 10.1016/S2468-2667(23)00027-0


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).