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11.06.2004 10:03

Strahlentherapie in Zeiten der Gesundheitsreform: Wird Deutschland ein Entwicklungsland?

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    (Erfurt) Trotz rasanter technischer und medizinischer Fortschritte sorgen sich Strahlentherapeuten um die Zukunft ihres Faches. Zwar werden innovative Verfahren in Deutschland entwickelt und in alle Welt exportiert - doch ist ihr Einsatz hierzulande aus finanziellen Gründen nicht gesichert, klagen Experten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für für Radioonkologie, Medizinische Physik und Strahlenbiologie in Erfurt.

    In Deutschland erkranken jährlich ca. 340 000 Menschen an Krebs. Aufgrund demographischer Veränderungen werden diese Zahlen in den nächsten Jahren steigen. Zwischen 60 und 80 Prozent der Patienten, die neu an Krebs erkranken, sind älter als 65 Jahre. Während gegenwärtig jedoch nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt sind, werden es 2030 bereits ca. 30 Prozent sein. Fast 60 Prozent der Krebspatienten erhalten im Laufe ihrer Erkrankung eine Bestrahlung; d.h., dass im Jahr 2030 etwa jeder vierte Bürger damit rechnen muss, im Laufe seines Lebens mit einer Strahlentherapie konfrontiert zu werden.

    Angesichts dieser Entwicklung ist Deutschland schlechter für die Zukunft gerüstet als die meisten westeuropäischen Nachbarländer. Es existiert keine bundeseinheitliche Strukturplanung für die Bedarfsdeckung an modernen Bestrahlungsgeräten (sog. Linearbeschleunigern). Während beispielsweise in den Niederlanden in Kürze 7.8 Beschleuniger pro Million Einwohner zur Verfügung stehen, in Dänemark 10.4 und in Großbritannien 6.8, sind es in Deutschland derzeit nur 5.5 solcher Geräte pro Million Bürger.

    Dabei wäre es sinnvoll, die bestehenden Zentren aufzurüsten und auf den modernsten Stand der Technik zu bringen. "Sowohl unter ökonomischen Aspekten als auch bezüglich einer optimalen Patientenversorgung sollte die Strahlentherapie als Querschnittsfach eine räumliche Anbindung an ein interdisziplinäres Tumorzentrum haben. Je mehr Geräte an einem Zentrum in Betrieb sind, umso wirtschaftlicher können die zusätzlichen Anlagen zur Bestrahlungsplanung betrieben werden", erklärt Prof. Dr. Nikolaos Zamboglou, Präsident der DEGRO und Direktor der Strahlenklinik am Klinikum Offenbach.

    Finanzierung nicht gesichert
    Da die Investitionskosten bei der Strahlenherapie erheblich sind und zur Aufrechterhaltung einer entsprechenden Qualität auch laufende Kosten von über einer Million Euro jährlich anfallen, müsste den jeweiligen Institutionen Planungssicherheit durch eine entsprechende bundeseinheitliche Vergütung gewährleistet werden. Dies ist z.B. bei der Dialysebehandlung üblich.

    Im ambulanten Bereich erfolgt die Vergütung jedoch nach Kassenarztrecht und ist damit abhängig vom sogenannten Punktwert. Jeder vertragsärztlichen Leistung liegt eine Bewertungszahl zugrunde, die mit einer bestimmten Anzahl von Punkten beziffert wird. Wie viel man pro Punkt bezahlt bekommt, ist jedoch regional unterschiedlich. Die Summe kann in einem Bezirk - bei gleichen Kosten - nur ein Drittel dessen betragen, was andernorts bezahlt wird. Hier fordern die Radioonkologen dringend eine bundeseinheitliche Vergütung, um auch weiterhin eine den hohen medizinischen Standards entsprechende strahlentherapeutische Versorgung sicherstellen zu können. Dies umso mehr, als die Strahlentherapie im Vergleich zu vielen medikamentösen Behandlungsformen (z.B.Chemo-oder Hormontherapie) wesentlich kostengünstiger ist.

    Innovationen werden nicht bezahlt
    Ärzte und Physiker in Deutschland haben wesentlich zur Entwicklung einer innovativer Bestrahlungsplanung und -technik beigetragen. Im Ausland wurden diese Innovationen zügig übernommen, entsprechend kommerzialisiert und in die klinische Routine überführt. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT). Dabei handelt es sich um eine technisch hochkomplexe Variante der Bestrahlung, bei der sich die Konturen des Bestrahlungsfeldes während der Therapiesitzung verändern. Dies wird erreicht, indem sich Bleilamellen in genau vorberechneter Weise computergesteuert im Kopf des Gerätes in verschiedene Richtungen bewegen und so unterschiedliche Formungen des Bestrahlungsfeldes erlauben. Damit kann eine noch präzisere Anpassung an die individuelle Tumorregion erreicht und gesundes Gewebe besser geschont werden. Wesentlichen Anteil an der Entwicklung dieses Verfahrens hatten Physiker des Krebsforschungszentrums Heidelberg, die dafür im Jahre 2000 auch den Deutschen Krebspreis erhielten.
    Bei der Therapie von Tumorarten, die in der Nachbarschaft von Risikoorganen liegen, hat sich die IMRT inzwischen fest etabliert. In Deutschland wird sie jedoch noch immer nicht bezahlt. Der zeitliche, personelle und apparative Aufwand ist jedoch so hoch, dass die Methode ungefähr doppelt so viel kostet wie eine herkömmliche dreidimensionale Bestrahlungstechnik. Darum konnte das Verfahren bislang nur an wenigen Zentren für die Routine etabliert werden. Etwas Ähnliches wäre in der medikamentösen Therapie undenkbar: Wenn die Wirksamkeit einer Substanz in Studien bewiesen wurde, müssen die Kassen die entsprechenden Kosten übernehmen.

    Strahlenforschung In Deutschland: Opfer von Bürokratie und Sparzwang
    Ärzte, Physiker und Strahlenbiologen sorgen sich auch um die Zukunft der biologischen und klinischen Forschung. So schreibt die deutsche Gesetzgebung beispielsweise eine Versicherung mit einer Laufzeit von 30 Jahren für Patienten vor, die an einer strahlentherapeutischen Studie teilnehmen. Bislang hat noch nie ein Patient eine Versicherung nach derartig langen Zeiträumen in Anspruch genommen. Dennoch weigern sich die Versicherungsgesellschaften, eine solche Haftung zu übernehmen, bzw. erhöhen die Preise, so dass diese Versicherung unbezahlbar wird. Auch die Genehmigungsverfahren für den Einsatz neuer strahlentherapeutischer Methoden unterliegen einem so hohen bürokratischen Aufwand, dass die deutsche Strahlenforschung im internationalen Vergleich immer mehr ins Hintertreffen gerät. Lehrstühle für Strahlenbiologie und Strahlenphysik werden zunehmend aus Kostengründen geschlossen. Damit wandern auch talentierte junge Wissenschaftler häufig in andere Länder ab.

    Pressestelle:
    Prof.Dr. Marie-Luise Sautter-Bihl, Klinik für Strahlentherapie, Städt. Klinikum Karlsruhe
    Tel. (0721)974-4000, Fax (0721)974-4009

    während des Kongresses: Congress Center Erfurt, Meyer Saal, II. OG
    Tel. (0361)400-15 12, Fax (0361)400 15 13


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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