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Rettungskräfte im Notfall-Einsatz stehen massiv unter Stress, genauso wie Opfer von Naturkatastrophen und Gewalttaten. Im Falle einer schweren Verletzung bleibt dies nicht ohne Folgen. Denn mittlerweile gilt es als erwiesen, dass massive Stresserfahrungen und posttraumatische Belastungen die Wund- und Knochenheilung verzögern. Eine Studie der Ulmer Universitätsmedizin hat nun die molekularen Mechanismen identifiziert, über die psychische Traumen und andere massive Stresserfahrungen die Heilung von Knochenbrüchen verzögern.
„Eine kontinuierliche Stressbelastung führt dazu, dass Immunzellen ein bestimmtes Enzym produzieren, das wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen bewirkt, die die Knochenbildung hemmen“, bringt Studienkoordinator Professor Stefan Reber das Ergebnis der Untersuchung auf einen einfachen Nenner. Der Neurobiologe leitet an der Ulmer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Sektion für Molekulare Psychosomatik und hat gemeinsam mit Professorin Melanie Haffner-Luntzer vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik die Studie koordiniert. Veröffentlicht wurde die Arbeit in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Bei den Immunzellen handelt es sich um sogenannte Neutrophile Granulozyten. Diese Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen und damit zum unspezifischen, angeborenen Immunsystem. Starker Stress veranlasst diese Immunzellen dazu, das Enzym Tyrosinhydroxylase (TH) zu produzieren, und dieses Enzym wiederum sorgt dafür, dass bestimmte Stresshormone (Katecholamine) freigesetzt werden. Zur Gruppe der Katecholamine gehört beispielsweise Adrenalin, sowie die Vorläufer Noradrenalin und Dopamin. Im Frakturhämatom wirken diese Stresshormone lokal auf die Zonen, in denen Knochenmaterial neu gebildet wird. Die Neubildung geschieht normalerweise, indem Knorpelzellen in Knochen umgebaut werden. „Durch den Einfluss der Stresshormone wird der Umbau von Knorpel- in Knochenzellen gehemmt. Die Knochenbildung und damit die Frakturheilung verlangsamt sich“, erklärt Dr. Miriam Tschaffon-Müller. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik gehört wie Elena Kempter, Doktorandin aus Rebers Sektion, zu den beiden Erstautorinnen der Studie.
Mit zelltyp-spezifischen Knockout-Mäusen, bei denen einerseits die TH-Expression unterbunden und andererseits der Adrenorezeptor geblockt war, konnten die Forschenden den Nachweis für diesen stressinduzierten Wirkmechanismus auf molekulargenetischer Ebene erbringen. Die Knockout-Mäuse zeigten keine stressbedingte Verzögerung der Knochenheilung. Im klinischen Teil der Studie wurden in Zusammenarbeit mit der Unfallchirurgischen Klinik und der Klinik für Psychosomatik Patientinnen und Patienten mit Sprunggelenksfraktur untersucht. „Das Ergebnis der klinischen Teilstudie zeigte: Wurde der Grad der psychischen Belastung durch Stress, traumatische Belastungen oder Depressionen als hoch eingeschätzt, war auch ein hoher Level an Tyrosinhydroxylase (TH) im Frakturhämatom zu finden und die Frakturheilung verlangsamt“, so Haffner-Luntzer. Erstaunlich: Ausschlaggebend für diese messbaren Effekte war dabei die subjektive Einschätzung der Belastung und auch das Schmerzempfinden.
Die Studie hat bereits eine gewisse praktische Relevanz. Schon jetzt lassen sich aus den Befunden Empfehlungen für die klinische Praxis ableiten. So könnte es ratsam sein, bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Knochenbrüchen und anderen massiven Verletzungen die persönliche Stresshistorie zu berücksichtigen. Unter Umständen macht es Sinn, Beta-Blocker einzusetzen, um den negativen Einfluss von Stresshormonen bzw. Katecholaminen auf die Knochenheilung zu dämpfen.
Gefördert wurde das Projekt, an dem auch Forscher aus Montréal und Yokohama beteiligt waren, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1149 „Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma“.
Prof. Dr. Stefan Reber, Leiter der Sektion für Molekulare Psychosomatik an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikum Ulm, E-Mail: stefan.reber@uni-ulm.de
Prof. Dr. Melanie Haffner-Luntzer, Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm, E-Mail: melanie.haffner-luntzer@uni-ulm.de
Neutrophil-derived catecholamines mediate negative stress effects on bone. Miriam E. A. Tschaffon-Müller, Elena Kempter, Lena Steppe, Sandra Kupfer, Melanie R. Kuhn, Florian Gebhard, Carlos Pankratz, Miriam Kalbitz, Konrad Schütze, Harald Gündel, Nele Kaleck, Gudrun Strauß, Jean Vacher, Hiroshi Ichinose, Katja Weimer, Anita Ignatius, Melanie Haffner-Luntzer & Stefan O. Reber; in: Nature Communications volume 14, Article number: 3262, 5 June 2023
https://doi.org/10.1038/s41467-023-38616-0
Oberschenkelknochen einer Maus
Melanie Haffner-Luntzer
Uniklinikum Ulm
v.l. Prof. Melanie Haffner-Luntzer und Prof. Stefan Reber
Uniklinikum Ulm
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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