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Wissenschaft
Jena. (08.12.98) Die mißbräuchliche Einnahme von Abführmitteln erhöht das Risiko einer Krebserkrankung der Niere oder der Harnwege. Zu diesem überraschenden Ergebnis kam eine Arbeitsgruppe vom Institut für Klinische Pharmakologie am Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Leitung von Professor Dr. med. habil. Annemarie Hoffmann. Bei der Auswertung von Patientendaten fanden die Wissenschaftler zudem einige weitere Risikofaktoren, wie das Zigarettenrauchen oder die Einnahme der mittlerweile nicht mehr gebräuchlichen phenacetinhaltigen Schmerzmittel.
Für die Multizentrische Nieren- und Urothel-Carcinom-Studie waren in Bremen, Halle, Jena, Leverkusen und Westberlin fünf Jahre lang Menschen ausführlich nach ihren Lebensgewohnheiten befragt worden, berichtet Projektverantwortliche Dr. Katrin Farker. Dabei ging es allerdings nicht nur um das Rauchen und den Alkoholkonsum. "Mit der Erhebung von Daten aus unterschiedlichen Industriezentren wollten wir auch berufliche Risiken erfassen", erläutert Farker. Das Ziel der Studie war es herauszufinden, welche biographischen Faktoren - wie Vorerkrankungen, Einnahme von Arzneimitteln oder der Kontakt zu gefährlichen Stoffen am Arbeitsplatz - das Krebsrisiko erhöhen.
Durch die Studie, sagt Farker, wurden alle Neuerkrankungen in den betreffenden Gebieten erfaßt. Die Wissenschaftler arbeiteten mit einem standardisierten, sehr ausführlichen Fragebogen. Ganz besonders interessierten sich die Jenenser Forscher für die Medikamente, die von den Erkrankten genutzt wurden. Sie bemühten sich darum, eine möglichst vollständige Aufzählung zu erhalten, betont Farker - "alles, was im bisherigen Leben eingenommen worden ist." Die Interviewer wurden zentral geschult, um mögliche Verzerrungen durch eine uneinheitliche Fragetechnik auszuschließen. Sowohl für das Nierenzellkarzinom als auch für die sogenannten Urothelkarzinome, das sind Tumore von Nierenbecken, Harnleiter und Harnblase, kamen je etwa tausend Fälle zusammen. Zum Vergleich wurden zudem mehr als 4000 gesunde Kontrollpersonen befragt. Das Datenmaterial wurde von sechs namhaften Forschungseinrichtungen nach einheitlichen Kriterien ausgewertet.
Die Klinischen Pharmakologen der FSU Jena suchten gemeinsam mit dem Institut für Nieren- und Hochdruckforschung Berlin nach den Spuren von Medikamentenkonsum und -mißbrauch. Sie wurden gleich mehrfach fündig, erklärt Farker. So führt die Einnahme bestimmter Analgetika zu einem erhöhten Krebsrisiko. Als besonders gefährlich erwies sich das Phenacetin, ein klassischer schmerzstillender und fiebersenkender Wirkstoff, der eine Zeitlang in fast allen Mischanalgetika enthalten war. Als sich herausstellte, daß die Substanz Krebs auslösen kann, wurde sie vom Markt genommen, sagt die Ärztin - von den Altbundesländern Mitte der 80er Jahre, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR mit der Wiedervereinigung. "Dieses Ergebnis kam nicht überraschend; es hat andere Studien bestätigt."
Beim Abbau von Phenacetin im Körper entsteht Paracetamol. Diese Verbindung ist gleichzeitig ein eigenständiger Wirkstoff, und sie hat Phenacetin in den Präparaten ersetzt. Für Paracetamol konnten die Jenenser Pharmakologen kein klar erhöhtes Krebsrisiko nachweisen. Farker weist allerdings darauf hin, daß viele Substanzen über einen langen Zeitraum auf Körperzellen einwirken müssen, um Krebs zu verursachen. "Die Latenzzeiten betragen 15 bis 20 Jahre", erklärt die Wissenschaftlerin, "solange ist aber die Substanz noch gar nicht auf dem Markt." Aus diesem Grunde sollte man die Patienten auch in Zukunft beobachten und sorgfältig überprüfen, ob Paracetamol wirklich unbedenklich ist.
Blutdrucksenkende Medikamente, sogenannte Antihypertensiva, und harntreibende Arzneimittel, die Diuretika, lösen offenbar keinen Krebs von Niere und Harnwegen aus, stellen die Wissenschaftler fest. Überaus bedenklich allerdings erscheint das Ergebnis der Studie bei einer anderen Gruppe von Medikamenten, den Abführmittel, insbesondere den Kontaktlaxantien. Dazu gehören auch Abführmittel mit pflanzlichen Inhaltsstoffen, die von vielen noch als harmlos angesehen werden, weil sie "natürlich" sind.
Diese Präparate werden vor allem von Frauen über einen längeren Zeitraum mißbräuchlich regelmäßig eingenommen, um das Körpergewicht zu reduzieren. Der Schlankheitswahn kann schlimme Folgen haben: Tumore von Niere, Nierenbecken und Harnleiter, fanden die Forscher heraus. "Jetzt müssen die Ursachen dafür geklärt werden", meint Farker. "Solche Präparate sollten nicht der Schönheit wegen eingenommen werden, sondern nur aus medizinischen Gründen und auf Anweisung des Arztes." Die Pharmakologen fordern daher, diese Medikamente nicht länger rezeptfrei abzugeben. Nur so lasse sich Mißbrauch verhindern.
Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Annemarie Hoffmann, Tel.: 03641/937774
e-mail: ahoffmann@landgraf.med.uni-jena.de
Dr. Karin Farker, Tel. 937784
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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