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31.07.2023 00:01

Ungeregelter Betrieb alter Windenergieanlagen tötet viele Fledermäuse – wirksamer Schutz wäre einfach umzusetzen

Dipl. Soz. Steven Seet Wissenschaftskommunikation
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.

    Fledermäuse lassen sich an Windenergieanlagen (WEA) wirksam schützen, wenn die Anlagen bei hoher Fledermausaktivität zeitweise abgestellt werden. Über eine derartige Betriebssteuerung lässt sich ein Fledermaus-freundlicher Betrieb der Anlagen erreichen. Dennoch laufen rund drei Viertel der WEA in Deutschland ohne diese Regulierung, da darauf abgestimmte Leitlinien erst nach deren Inbetriebnahme verabschiedet wurden. Ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) ermittelte nun exemplarisch, dass an derartigen alten WEA in zwei Monaten mehrere Hundert Tiere zu Tode kommen können.

    An Anlagen mit Betriebssteuerung, die vergleichend untersucht wurden, starb im selben Zeitraum keine einzige Fledermaus. . In einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ schließt das Autorenteam, dass der Betrieb alter WEA dringend dem aktuellen Regelwerk angepasst werden müsse, um bedrohte Fledermäuse wirksam zu schützen und drohenden Bestandsrückgängen entgegen zu wirken.
    In einer aktuellen Untersuchung zeigt ein Team um PD Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW, dass an alten WEA mitunter erhebliche Schlagopferzahlen zu verzeichnen sind, eine Fledermaus-freundliche Betriebssteuerung aber eine wirksame Maßnahme darstellt, um Schlagopfer zu vermeiden. Das Autorenteam suchte in zwei Monaten während der Zugzeit von Fledermäusen regelmäßig an WEA zweier Windparks nach Schlagopfern. Die WEA des einen Windparks standen auf der offenen Feldflur und wurden ohne eine an Fledermaus-Aktivität angepasste Betriebssteuerung betrieben. An diesen alten WEA fand das Autorenteam 37 Schlagopfer. Die WEA des zweiten, neueren Windparks standen in einem Kiefernforst und wurden in Zeiten hoher Fledermausaktivität abgestellt. Dort fand das Team keine Fledermausschlagopfer. Da Kadaver in der Natur von Krähen und Füchsen abgesammelt werden und selbst erfahrene Teams nur etwa ein Drittel aller toten Fledermäuse auch finden, korrigierte das Team die Zahlen entsprechend und rechnete hoch, dass im zweimonatigen Untersuchungszeitraum mehrere Hundert Fledermäuse an einer einzelnen WEA ohne angepasste Betriebssteuerung sterben können.
    „Unsere Gesellschaft ist mit zwei großen Umweltkrisen konfrontiert, der globalen Klimaerwärmung und dem Schwund der biologischen Vielfalt“, erläutert Voigt. „Manchmal verstärken Maßnahmen zur Bekämpfung der einen Umweltkrise das Ausmaß der zweiten Umweltkrise – so verhält es sich beim Ausbau der Windenergieproduktion, wenn durch Kollision an WEA Fledermäuse und Greifvögel versterben.“ Für Fledermäuse gäbe es jedoch eine praktikable Lösung, um dies zu vermeiden. Der Betrieb der Anlagen ließe sich so steuern, dass nur in Zeiten geringer Fledermausaktivität Windenergie produziert wird. Der Ertragsverlust der WEA würde lediglich 1-4 % der jährlichen Energieproduktion betragen, der Nutzen für die Natur wäre jedoch immens.
    Fledermäuse sind in Deutschland nach nationalem und internationalem Recht streng geschützt. Fledermausarten mit hohem Kollisionsrisiko an WEA sind vielerorts im Bestand rückgängig. Das Verschwinden dieser Arten führt nicht nur zu einer Verarmung der Lebensräume, sondern auch zum Verlust von nützlichen Dienstleistungen dieser Fledermausarten für den gesamten Lebensraum. Gerade Fledermausarten mit hohem Kollisionsrisiko an WEA jagen im offenen Luftraum regelmäßig die Schadinsekten der Land- und Forstwirtschaft. Seit 2010 existieren entsprechende Länderleitfäden, die den naturschonenden Betrieb der WEA regeln und das Risiko für Kollisionen erheblich verringern sollen. „Es wäre ein logischer Schritt, wenn der Betrieb alter Anlagen, die vor der Erstellung der Länderleitfäden in Betrieb genommen wurden, dem aktuellen Wissensstand angepasst und dadurch Schlagopfer vermieden würden. Immerhin sprechen wir über mehr als 20.000 Windenergieanlagen, die auf dem deutschen Festland ohne Auflagen für den Fledermausschutz in Betrieb sind“, sagt Voigt.
    „Nahezu jede der 37 toten Fledermäuse, die wir im Rahmen unserer Untersuchung an den zwei alten Windenergieanlage gefunden haben, wäre ein vermeidbares Opfer gewesen“, sagt die Erstautorin des Aufsatzes, Dr. Carolin Scholz vom Leibniz-IZW. „Wir müssen zudem davon ausgehen, dass die 37 Schlagopfer nur ein Teil der tatsächlich getöteten Fledermäuse sind.“ Um die Effizienz des Suchteams und die „Abtragrate“ von Kadavern durch Krähen und Füchse zu ermitteln, führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Experimente durch. Um die Sucheffizienz zu ermitteln, wurden Mäusekadaver auf den Flächen ausgelegt, die vom Suchteam dann gesucht werden mussten. Darüber hinaus ermittelten sie, wie lange Mäusekadaver, die zufällig unter den Anlagen verteilt wurden, vor Ort verbleiben. „Wir stellten fest, dass selbst erfahrene Sucher nur ungefähr ein Drittel der Schlagopfer fanden. Außerdem verschwanden an den Windenergieanlagen, die auf der offenen Feldflur standen, nahezu alle Kadaver innerhalb von 24 Stunden“, erläuterte Scholz. „Möglicherweise führen die hohen Schlagopferzahlen an den untersuchten alten Windenergieanlagen dazu, dass Krähen und Füchse die Flächen relativ häufig absuchen. Dadurch kann sich die Zahl der vom Suchteam gefundenen Fledermausschlagopfer drastisch reduzieren.“
    Wenn man die Sucheffizienz und die Kadaver-„Abtragsrate“ berücksichtigt, ergab sich für die alten WEA eine geschätzte Schlagopferzahl von mehreren Hundert Tieren im zweimonatigen Zeitraum. An den neueren WEA, die mit Betriebssteuerung zum Fledermausschutz liefen, ergab die Auswertung, dass keine Fledermäuse zu Tode kamen. „Die von uns ermittelten hohen Verluste für Fledermäuse an alten Windenergieanlagen sind alarmierend; auch wenn die Werte nicht notwendigerweise auf alle alten Windenergieanlagen übertragen werden können. Unsere Untersuchung zeigt auf, dass durch alte Windenergieanlagen potenziell großer ökologischer Schaden angerichtet wird“, so Voigt. Dieser ökologische Schaden ließe sich auf einfache Weise vermeiden, indem der Betrieb alter WEA dem aktuellen Regelwerk angepasst wird. Dies würde nicht nur die Zahl der Schlagopfer reduzieren, sondern auch die Akzeptanz des Windenergieausbaus in Naturschutzkreisen erheblich verbessern, so die Autorinnen und Autoren. Sie plädieren daher dafür, dass der Betrieb alter Anlagen rasch dem aktuellen Regelwerk – beispielsweise im Hinblick auf verpflichtende Abschaltungen in Zeiten hoher Fledermausaktivität – angepasst wird.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
    im Forschungsverbund Berlin e.V.
    Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin, Deutschland

    > PD Dr. Christian Voigt
    Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
    Telefon: +49(0)30 5168 511
    E-Mail: voigt@izw-berlin.de

    > Dr. Carolin Scholz
    Wissenschaftlerin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
    Telefon: +49(0)30 5168 342
    E-Mail: scholz@izw-berlin.de


    Originalpublikation:

    Scholz C, Ittermann L, Brunkow N Voigt CC (2023): Fehlende Betriebssteuerungen zum Fledermausschutz können an alten Windenergieanlagen hohe Schlagopferzahlen verursachen. Naturschutz und Landschaftsplanung.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Energie, Politik, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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