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28.08.2023 12:07

Rheuma mit Nervenstimulation behandeln – braucht ein gezielt trainiertes Immunsystem weniger Medikamente?

Janina Wetzstein Kongress-Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V.

    Klinische Untersuchungen zeigen, dass die Stimulation des Vagusnervs, also die Reizung eines wichtigen Gehirnnervs, Rheumatoide Arthritis (RA) lindern kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Menschen mit Rheuma auf die üblichen Medikamente vermindert ansprechen. Welche Mechanismen dabei wirken, ob sich diese gezielt aktivieren oder deaktivieren lassen und welches Potenzial in der Neurostimulation für die Therapie entzündlich rheumatischer Erkrankungen liegt – diese Fragen diskutieren Expert:innen auf der hybriden Kongresspressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongress am Donnerstag, den 31. August 2023 online und vor Ort in Leipzig.

    Immunsystem und Nervensystem galten lange Zeit als voneinander unabhängige Akteure im menschlichen Körper. Mittlerweile weiß man jedoch, dass es zwischen diesen beiden wichtigen Systemen vielfältige und in beide Richtungen wirksame Verflechtungen gibt. Die Zahl von Zellen und Botenstoffen, die sich wechselseitig beeinflussen, ist bereits innerhalb des Immunsystems enorm – ein komplexes Gefüge, von dem längst noch nicht jedes Detail verstanden ist. „Vielleicht auch deshalb wurden zusätzliche Einflussfaktoren lange Zeit nicht berücksichtigt“, sagt Professor Dr. med. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der DGRh und emeritierter Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Hinzu komme, dass das Immunsystem so individuell sei wie die Menschen selbst, so dass kontrollierte Studien mit standardisierten Bedingungen nur sehr schwer zu realisieren seien. Ein wichtiger Schritt für die neuroimmunologische Forschung war es daher, biochemische Mechanismen zu identifizieren, die einen direkten neuronalen Einfluss auf das Immungeschehen überhaupt plausibel erscheinen lassen. „Dies ist in den vergangenen zwanzig Jahren immer besser gelungen“, sagt Baerwald, der das Thema auf der Pressekonferenz vorstellen wird. Mittlerweile gebe es überzeugende wissenschaftliche Daten dazu, wie eng besonders das so genannte autonome Nervensystem (ANS) mit verschiedenen Immunzellen im Austausch steht.

    Neuroimmunologische Stimulation kann entzündungshemmend wirken

    In einer Vielzahl von Studien wurde mittlerweile nachgewiesen, dass Immunzellen auf ihrer Oberfläche über Rezeptoren verfügen, die sie für die Signale von neuronalen Botenstoffen empfänglich machen. „Es gibt zudem etliche – auch klinische – Hinweise darauf, dass der Parasympathikus das immunologische Gleichgewicht in Richtung einer Entzündungshemmung verschiebt, und dass chronisch entzündliche Erkrankungen wie Rheuma mit einer verringerten parasympathischen und einer verstärkten sympathischen Aktivität einhergehen“, so Baerwald. Wie komplex diese Interaktionen sind, wird bei einer genaueren Betrachtung der Sympathikus-Wirkung deutlich, die neueren Untersuchungen zufolge in der Frühphase der Immunaktivierung entzündungsfördernd wirkt, in der chronischen Phase jedoch auch entzündungshemmend wirken kann.

    Das Immunsystem trainieren – und auf Medikamente verzichten

    Neben dem ANS steht auch das Gehirn in Kontakt mit dem Immunsystem, und auch hier werden über bislang noch wenig charakterisierte Kanäle Informationen ausgetauscht. „Darauf basiert ein weiteres faszinierendes Konzept der Neuromodulation“, erklärt Baerwald und verweist auf Studien, nach denen Immunfunktionen auch über Lern- und Konditionierungsvorgänge steuerbar sind. In Tierversuchen und auch bei ersten Studien an gesunden Proband:innen sei es gelungen, die Wirkung eines immunmodulierenden Medikaments, das zunächst mit einem Geruchs- oder Geschmacksreiz gekoppelt gegeben wurde, auch dann hervorzurufen, wenn nur der gekoppelte Reiz zugegen war. Daraus könnte sich die Möglichkeit ergeben, Medikamentendosierungen und damit Nebenwirkungen zu reduzieren.

    In ersten klinischen Untersuchungen zeichnet sich ab, dass all diese Ansätze – von der Konditionierung über eine medikamentöse Beeinflussung von Sympathikus-Rezeptoren bis hin zur elektrischen Stimulation des zum Parasympathikus zählenden Vagusnervs – auch bei menschlichen Proband:innen funktionieren. „Bisherige Ergebnisse sind vielversprechend, das Potenzial der Neuromodulation ist sicherlich hoch“, resümiert Baerwald. Es seien jedoch noch weiterführende Forschungen notwendig, um sichere Behandlungsregime auch für eine breite Anwendung in der Klinik zu entwickeln. Bei der Kongresspressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses stellt er die Ergebnisse vor und diskutiert mögliche Perspektiven.

    Quelle:

    O. Seifert; C. Baerwald: Stimulation des Nervus vagus als therapeutisches Prinzip
    Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages462–471 (2023)

    G. Pongratz; R. H. Straub: Rolle des sympathischen Nervensystems bei chronischen Entzündungen
    Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages451–461 (2023)

    M. Jakobs et al.: Konditionierung des Immunsystems – Schon klinisch nutzbar?
    Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages472–478 (2023)

    Kontakt für Journalist:innen:
    Janina Wetzstein, Katrin Hammer
    Postfach 30 11 20, 70451 Stuttgart
    Fon +49[0]711/8931-457
    Fax +49[0]711/8931-330599
    wetzstein@medizinkommunikation.org; hammer@medizinkommunikation.org
    www.dgrh-kongress.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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