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21.09.2023 12:00

DVR Pressemitteilung zum 10. DVR-Kongress, 20.-24.09.2023, Trotz Endometriose den Kinderwunsch erfüllen

Dr. med. Andreas Tandler-Schneider Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dachverband Reproduktionsbiologie und -medizin e.V.

    Bei jeder zweiten Frau mit einem unerfülltem Kinderwunsch könnte eine Endometriose die Ursache sein. Denn sowohl die Erkrankung als solche und auch therapeutische Massnahmen, insbesondere die operative Therapie der Endometriose am Eierstock, vermindern die Anzahl der Eizellen, beeinträchtigen die Funktion der Eierstöcke und beeinflussen so die Fruchtbarkeit.

    Durch frühzeitige Diagnose, Einleitung einer auf die Lebensphase und Bedürfnissen der Frau abgestimmte medikamentöse oder operative Therapie und die Möglichkeiten der modernen Kinderwunschbehandlung inklusive des Einfrierens von Eizellen zum Schutz der Fruchtbarkeit kann der Kinderwunsch auch bei Endometriose heute immer häufiger erfüllt werden.

    Eine Untersuchung aus Skandinavien hat soeben gezeigt, dass Frauen mit einer Endometriose schon zu einer Zeit Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden, zu dem die Erkrankung noch gar nicht diagnostiziert ist (1). Umso wichtiger ist es, sobald die Erkrankung erkannt ist, auch schon junge Frauen entsprechen den im Jahr 2022 aktualisierten internationalen Leitlinien (2) darüber zu informieren, welche Möglichkeiten es zum Schutz ihrer Fruchtbarkeit gibt (3). Eine wichtige Maßnahme kann es sein gesunde Eizellen durch Entnahme und Kältekonservierung zu retten. Das in der Krebsbehandlung genutzte Verfahren des Einfrierens und der Kältekonservierens der Eizellen vor der Strahlen- und Chemotherapie, das sogenannte Medical freezing, stellt auch bei Endometriose des Eierstocks eine Option dar, wie Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner, Klinik für Gynäkologie der Charité Berlin und Vorsitzende der AG Endometriose der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. betont. Aktuelle Daten zeigen, dass bei Frauen unter 35 Jahren die Entnahme von Eizellen aus dem Eierstock VOR der operativen Entfernung der Endomtriose am Eierstock, dazu führt, dass mehr Eizellen entnommen werden können und die nachfolgende Kinderwunschbehandlung mit einer höheren Schwangerschaftsrate einhergeht (3).

    Die Frauenärztin und Expertin für Kinderwunschbehandlung Dr. Anja Mutz, Berlin, wird zu diesem Thema auf dem 10. Kongress des Dachverbandes der Reproduktionsmedizinischen Zentren in Deutschland referieren, dem größten deutschsprachigen Kongress zu allen Themen der Kinderwunschmedizin (21.09.2023, 10.30-12.00, wissenschaftliche Sitzung „Endometriose und Kinderwunsch: Mit vereinten Kräften zum Erfolg“ unter Leitung von Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner).
    Unter einer Endometriose werden (Absiedelungen der Gebärmutterschleimhaut verstanden, die sich an anderen Stellen ansiedeln, als dies von der Natur vorgesehen ist. In mehr als der Hälfte der Fälle passiert das auf dem Bauchfell im kleinen Becken, etwa an der Außenseite der Harnblase, der Gebärmutter oder des Darms oder auf den Eierstöcken (Ovarien). Diese Zellnester an Schleimhautzellen breiten sich aus und verändern sich im Verlauf des hormonellen Zyklus. Das bedeutet, dass sich zur Zeit der Menstruationsblutung aus den Endometriosenestern ebenfalls unter Blutverlust Gewebe ablöst. Dieser Prozess kann unauffällig ablaufen, er kann aber auch sehr schmerzhaft sein, wobei es sich neben stärksten Menstruationsschmerzen im Unterbauch, oft auch um sehr starke Rücken- oder Bauchschmerzen handelt. Die Schmerzen halten aber so wie die Menstruation selbst nur wenige Tage an und verschwinden dann wieder. Deshalb kann es für die Mädchen und Frauen ebenso wie für die Ärztinnen und Ärzte schwierig sein, einen Zusammenhang herzustellen, vor allem dann, wenn die Schmerzen nicht im Unterbauch sitzen, wie bei der Menstruation üblich.
    Außerdem sind die kleinen Gewebenester zum Beginn der Erkrankung über lange Zeit auch bei gründlicher Suche nicht im Ultraschall sichtbar. Erst später können Verwachsungen und Zysten auch mit einem modernen, hochauflösenden Ultraschall diagnostiziert werden. Aus diesen Gründen kann es mehrere Jahre dauern, bis die Diagnose „Endometriose“ tatsächlich gestellt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die befallenen Regionen oft schon sehr angegriffen. Auf natürlichem Weg kommt eine Endometriose erst zum Stillstand, wenn in den Wechseljahren der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut nicht mehr durch den hormonellen Zyklus gefördert wird und das Abbluten des Gewebes am Ende des Zyklus wegfällt.
    Diese Faktoren beeinträchtigen die Fruchtbarkeit
    Bei 40.000 Mädchen und Frauen wird jedes Jahr in Deutschland die Diagnose „Endometriose“ neu gestellt. Bei jeder dritten bis zweiten von ihnen ist die Fruchtbarkeit bereits zum Zeitpunkt der Diagnose gestört. Hierfür gibt es mehrere Ursachen, wie Prof. Mechsner betont:
    1. Die Endometrioseherde können sich in den Eileitern (Tuben) ansiedeln und sie verkleben und die Durchlässigkeit für Eizellen und Spermien stören.
    2. Die Endometrioseherde können sich in den Eierstöcken, den Ovarien ansiedeln, in denen die Eizellen reifen. Die Endometriose kann im Lauf der Zeit dazu führen, dass gesundes Gewebe des Eierstocks, dass voll unreifer Eizellen ist, in Bindegewebe umgewandelt wird, so dass die Eizellen zerstört werden.
    3. Die Endometriosezellen können in den Eierstock einwandern. Dort können durch die minimalen monatlichen Blutungen im Lauf der Zeit abgeschlossene, mit Blut gefüllte Zysten entstehen, sogenannte Schokoladenzysten, die sehr groß werden können und das umgebende Gewebe mit den unreifen Eizellen durch ihre Größe und durch häufige Entzündungsreaktionen schädigen. Treten solche Prozesse in beiden Eierstöcken auf, so kann das zu einem weitreichenden Verlust aller in den Eierstöcken schlummernden Eizellen führen.
    4. Die schleichende Zerstörung der Eierstöcke kann dazu führen, dass die hormonelle Steuerung für den Zyklus gestört wird.
    5. Wenn die blutgefüllten Zysten (sogenannte „Schokoladenzysten“) in den Eierstöcken entfernt werden, wird dabei immer auch gesundes Gewebe entfernt, was die Reserve an funktionsfähigen unreifen Eizellen weiter schmälert. Endometrioseherde können auch in die Tiefe der Muskulatur der Gebärmutter hineinwachsen, die Funktion der Gebärmutter stören und schwere Schmerzen verursachen.
    6. Langfristig können sich in der Umgebung von Endometrioseherden – zum Beispiel in der Umgebung der Eileiter – Verwachsungen bilden, die je nach ihrer Lokalisation die Fruchtbarkeit ebenfalls beeinträchtigen können.

    7. in den Endometrioseherden werden Entzündungsproteine ausgeschüttet, die das zuvor gesunde Gewebe schädigen.
    8. Wenn Endometrioseherde in den Eileitern sitzen, wird durch Entzündungs- und Immunzellen die Beweglichkeit der Spermien vermindert.

    Je ausgedehnter Verwachsungen, je komplexer die Endometriose mit tief ins Gewebe eindringenden Herden oder Zysten, desto schwerwiegender und komplexer sind die Einschränkungen der Fruchtbarkeit auf unterschiedlichsten Ebenen.

    Therapie stoppt die Endometriose, heilt sie aber nicht
    Zur Therapie der Endometriose gehören medikamentöse und chirurgische Maßnahmen.
    Eine medikamentöse Therapie – vor allem mit dem Gestagen „Dienogest“ oder mit einem anderen hormonellen Blocker des Gewebewachstums – hilft, das Wachstum und die Aktivität der Endometrioseherde zu begrenzen und zum Stillstand zu bringen. Auch wenn in frühen Stadien der Erkrankung zunächst nur die typischen, schweren Schmerzen im zeitlichen Zusammenhang mit der Menstruation auftreten und im Ultraschall noch keine Endometrioseherde zu finden sind, wird in aller Regel bereits mit dieser medikamentösen Therapie begonnen. Dadurch lassen häufig auch die Schmerzen nach. Zerstörungen des Gewebes können jedoch nicht rückgängig gemacht werden; es findet keine Heilung statt.
    Einer chirurgischen Therapie geht außer einer gründlichen Ultraschalluntersuchung immer eine Untersuchung des ganzen Bauchraums mit einer Schlüsselloch-Diagnostik voraus, um alle Endometrioseherde zu finden. Chirurgisch werden vor allem Läsionen auf dem Bauchfell, blutgefüllte Zysten in den Eierstöcken oder tief infiltrierende Herde am Darm oder Blase entfernt. Gegebenenfalls werden auch Verwachsungen gelöst. Werden Eingriffe an den Eierstöcken vorgenommen, so lässt es sich allerdings nicht vermeiden, dass dabei auch gesundes Gewebe entfernt wird.
    Fruchtbarkeit retten oder wiederherstellen
    Wenn es keine ausreichende Reserve mehr gibt an unreifen Eizellen in den Eierstöcken, dann ist es nicht mehr möglich, eigene Kinder zu bekommen. Das Deutsche IVF Register (D.I.R.) beschreibt, dass Endometriose immer häufiger als Indikation für eine künstliche Befruchtung angesehen wird: 9,8 % aller IVF-Maßnahmen (IVF=In-vitro-Fertilisation) und 2,6 % aller ICSI-Prozeduren ( ICSI = Intrazytoplasmatische Spermieninjektion) erfolgten im Jahr 2021 wegen einer Endometriose. Es ist denkbar, so Prof. Mechsner, dass unerkannte Endometrioseerkrankungen eigentlich noch sehr viel häufiger die eigentliche Ursache für Unfruchtbarkeit und für eine Kinderwunschbehandlung sind.
    Wenn allerdings das Gewebe der Eierstöcke durch die Erkrankung oder die Therapie weitgehend verlorengegangen ist, dann sind die Erfolgsaussichten auch trotz einer Kinderwunschbehandlung außerordentlich gering.
    „Deshalb sollte bei jeder Endometriose eine frühzeitige Beratung der Patientin stattfinden“, stellt Prof. Mechsner fest, die die 1. Vorsitzende der AG Endometriose ist. „In vielen Fällen wäre es sinnvoll, so früh wie möglich unreife Eizellen zu entnehmen und sachgerecht durch Kälte zu konservieren.“. Die Kosten für die Entnahme und auch für die langfristige sachgerechte Aufbewahrung des Materials bei -190°C werden von den gesetzlichen Krankenkassen in ausgewählten Situationen übernommen, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, deren Behandlung die Fruchtbarkeit bedroht oder durch die sie verloren geht (4). Dies trifft auch in vielen Fällen auf die notwendigen Therapiemaßnahmen bei einer Endometriose des Eierstocks (Schokoladenzysten; Endometriome) zu, solange die Entnahme vor und nicht nach der Operation stattfindet.
    Allerdings müsste die Entnahme von Eizellen viel früher stattfinden als dies allgemein angenommen wird: „Die Eizellen altern in den Eierstöcken. Wenn wir Eizellen von einer 30- bis 34jährigen Frau entnehmen und für eine Schwangerschaft später wieder einsetzen, so liegt die Erfolgsrate, also die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines gesunden Kindes, gerade einmal bei 8,2 %“, so Mechsner.
    Eigentlich, so die Schlussfolgerung, muss das Thema Fruchtbarkeit und deren Erhalt bei Endometriose IMMER mitgedacht und alterskonform bei Diagnosenstellung kommuniziert werden. Eizellen einzufrieren kann bei Endometriose des Eierstocks eine Option sein. Es gilt: Erst Einfrieren, dann operieren.

    Literatur:
    1. Tuominen A, Saavalainen L, Niinimäki M, Gissler M, But A, Härkki P, Heikinheimo O: First live birth before surgical verification of endometriosis—a nationwide register study of 18 324 women. Human Reproduction, Volume 38, Issue 8, August 2023, Pages 1520–1528. DOI: 10.1093/humrep/dead120. Published: 04 July 2023

    2. ESHRE guideline: Endometriosis. ESHRE Endometriosis Guideline Group. Hum Reprod Open 2022. DOI: 10.1093/hropen/hoac009. Siehe auch Weblink: https://www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Endometriosis-guideline
    3. . Cobo A, Giles J, Paolelli S, Pellicer A, Remohi J, Garcia-Velasco JR: Oocyte vitrification for fertility preservation in women with endometriosis: an observational study, FertilSteril 2020. DOI: 10.1016/j.fertnstert.2019.11.017

    4. Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinischeMaßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie (Kryo-RL), in Kraft getreten November 2022. Siehe auch Weblink: Richtlinie zur Kryokonservierung - Gemeinsamer Bundesausschuss (g-ba.de)


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Sylvia Mechsner
    1. Vorsitzende der AG Endometriose in der DGGG
    c/o Geschäftsstelle Arbeitsgemeinschaft Endometriose (AGEM)
    Augustenburger Platz 1
    13353 Berlin
    E-Mail: geschaeftsstelle@ag-endometriose.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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