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Nicht jede Kultur kennt Psychotherapie als Hilfe für Menschen mit seelischen Problemen: Nicht-europäische Kulturen sind weit weniger auf ein individuelles Ich zentriert. Ist eine psychoanalytische Behandlung von traumatisierten Geflüchteten zum Beispiel aus Afghanistan oder Syrien überhaupt möglich? Diese Frage unter anderem diskutieren über 600 Psychoanalytiker*innen auf der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V., die vom 22. bis 24. September 2023 in Weimar stattfindet. Letztlich geht es darum, was Psychotherapie zur Integration beitragen kann.
Seelische Schmerzen werden körperlich zum Ausdruck gebracht: So fallen zum Beispiel afghanische Frauen häufiger in Ohnmacht oder werfen sich auch während einer Therapie zu Boden. Islamische Männer legen sich im Therapieraum von weiblichen Therapeutinnen nicht auf die Couch, weil das für sie Unterwerfung bedeutet. Symptome und Empfindungen von Menschen aus nicht-europäischen Kulturen finden so einen anderen Ausdruck. Wie kann Psychoanalyse, die ihre Wurzeln in Europa hat, mit traumatisierten Geflüchteten gelingen? „Tatsächlich ist die Psychoanalyse eurozentriert“, sagt die Psychoanalytikerin Sieglinde Eva Tömmel, die seit der ersten Flüchtlingswelle 2015/16 afghanische Geflüchtete in der Nähe von München psychotherapeutisch behandelt. „Menschen aus Afghanistan haben kaum einen Begriff für eine individuelle Psyche. Sie verorten sich wesentlich in der Mitte der Familie.“ Über ihre Erfahrungen spricht die Psychoanalytikerin auf der 74. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V., die vom 22. bis 25. September in Weimar stattfindet. Die Tagung steht unter dem Motto „Thinking under Fire“ oder anders gesagt: Wie ist Denken und Analysieren unter extremen Bedingungen möglich?
Etwa 400.000 Menschen aus Afghanistan leben inzwischen in Deutschland – Deutschland steht damit auf Platz drei der Aufnahmeländer, hinter Iran und Pakistan. In ihrem Heimatland waren sie der Gewalt der Taliban ausgesetzt, auch auf der Flucht haben sie teilweise Schreckliches erlebt und Familienmitglieder verloren. Viele sind deshalb schwer traumatisiert. „Wer traumatisiert ist, kann zunächst nicht denken und nicht lernen – Voraussetzungen für eine Integration“, sagt Tömmel. „Je besser unsere Psychotherapien greifen, desto eher gelingt es den Zugewanderten, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden.“ Doch Psychotherapeutinnen und -therapeuten sollten sich mit der Kultur des jeweiligen Herkunftslandes beschäftigen, so Tömmel, „sonst wird kaum verständlich, was die Klientinnen und Klienten sagen oder wie sie sich verhalten“. Zudem müssten die Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker bereit sein, ihre Behandlungsmethoden anzupassen. Nach Tömmel kann die Arbeit mit Träumen den Zugang zu analphabetischen Mitmenschen sehr erleichtern – für die Psychoanalytikerin hat sich damit die Traumdeutung nach Sigmund Freud und deren moderne Weiterentwicklung durch die Hirnforschung einmal mehr bestätigt.
Mit transkultureller Psychoanalyse beschäftigt sich auch die Schweizer Psychoanalytikerin Nasim Ghaffari, die auf der Jahrestagung der DGPT über die feministische Revolutionsbewegung 2022/23 im Iran aus psychoanalytischer Sicht berichtet. Sie schlüsselt dabei die psychosozialen Aspekte der iranischen Diktatur auf, sodass ein psychodynamisches Verständnis für die gesellschaftlichen Ereignisse entstehen kann.
Medienvertreter:
Journalistinnen und Journalisten können gerne nach vorheriger Anmeldung kostenlos teilnehmen.
Anmeldung und weitere Informationen:
Mandy Zenkner, Tel. 030 887163930, mandy.zenkner@dgpt.de
Während des Kongresses ist die DGPT erreichbar unter Tel. 030 887163950
Sieglinde Eva Tömmel, s.toemmel@gmx.de
https://dgpt.de/dgpt-jahrestagung-2023
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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