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22.09.2023 20:00

Studie zur genetischen Geschichte Afrikas

Sandra Jacob Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

    Mithilfe von Erbgutanalysen moderner Populationen ist es einem internationalen Forschungsteam der Universität Bern (Schweiz), der Universität Porto (Portugal) und des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie gelungen, die komplexen Abstammungsverhältnisse verschiedener in der angolanischen Namib-Wüste ansässiger Bevölkerungsgruppen besser zu erforschen. Deren einzigartiges genetisches Erbe verrät wertvolle Details zur genetischen Variation im südlichen Afrika vor der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht.

    Afrika ist die Wiege des modernen Menschen und der Kontinent mit der größten genetischen Vielfalt. Doch Studien zu alter DNA konnten aufgrund der schlechten Konservierung des Erbguts auf dem Kontinent nur einige Aspekte der genetischen Struktur Afrikas vor der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht erforschen. In der Hoffnung, in heute lebenden Populationen Spuren der früheren Vielfalt zu finden, begaben sich Forschende eines portugiesisch-angolanischen TwinLabs in die angolanische Namib-Wüste – eine abgelegene, multiethnische Region, in der verschiedene kulturelle Traditionen aufeinandertreffen. "Wir konnten Gruppen ausfindig machen, von denen man annahm, sie wären vor mehr als 50 Jahren verschwunden", erklärt Jorge Rocha, Populationsgenetiker am Centro de Investigação em Biodiversidade e Recursos Genéticos (CIBIO, Universität Porto), der die Feldforschungsarbeit zusammen mit dem angolanischen Anthropologenteam Samuel und Teresa Aço vom Centro de Estudos do Deserto (CEDO) leitete.

    Zu den ethnischen Gruppen, auf die die Forschenden trafen, gehören die Kwepe – Viehzüchter, die früher eine Sprache namens Kwadi sprachen. "Kwadi war eine Klicksprache, die einen gemeinsamen Vorfahren mit den Khoe-Sprachen teilt, welche von Jäger-Sammlern und Hirten im südlichen Afrika gesprochen werden", erklärt Anne-Maria Fehn, eine Linguistin von CIBIO, die an der Feldforschungsarbeit teilgenommen und die möglicherweise letzten beiden Kwadi-Sprecher interviewt hat. "Die Khoe-Kwadi-Sprachen werden mit einer prähistorischen Migration ostafrikanischer Viehzüchter in Verbindung gebracht", fügt Rocha hinzu, der schwerpunktmäßig die Bevölkerungsgeschichte des südlichen Afrikas erforscht. Darüber hinaus nahm das Team Kontakt zu Bantu-sprachigen Viehzüchtern sowie zu marginalisierten Bevölkerungsgruppen mit Jäger- und Sammler-Abstammung auf, die sich von den benachbarten Kalahari-Populationen unterscheiden und deren ursprüngliche Sprache vermutlich verloren gegangen ist.

    Studien zu moderner DNA können Studien zu alter DNA ergänzen

    Die neue Studie zeigt, dass sich die Bewohner der angolanischen Namib-Wüste stark von anderen modernen Populationen unterscheiden, aber auch interne Differenziertheit aufweisen. "In Übereinstimmung mit unseren früheren Studien zur mütterlicherseits vererbten DNA ist der Großteil der genomweiten Vielfalt nach sozioökonomischem Status strukturiert. Dabei war es uns besonders wichtig zu verstehen, ob die lokale Variation und globale Einzigartigkeit durch Gendrift – einen Zufallsprozess, der kleine Populationen unverhältnismäßig stark betrifft – oder durch eine Vermischung mit bereits verschwundenen Populationen entstanden ist", sagt Sandra Oliveira, Forscherin an der Universität Bern (Schweiz), die diese Populationen während ihrer Promotion und als Postdoc mit Rocha und Mark Stoneking am CIBIO und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) erforscht hat. Das Team wies einen starken Einfluss von Gendrift nach, der zu Unterschieden zwischen benachbarten Gruppen mit unterschiedlichem sozioökonomischen Status beigetragen hat. Sie zeigten allerdings auch, dass die Nachkommen der Kwadi-Sprecher und der marginalisierten Bevölkerungsgruppen der Namib-Wüste eine einzigartige genetische Abstammung bewahrt haben, die nur in Populationen der Namib-Wüste zu finden ist.

    Mark Stoneking, der bei der frühesten genomweiten Forschung zu Jäger- und Sammler-Gruppen im südlichen Afrika mitgewirkt hat und auch an dieser Studie beteiligt war, sagt: "Frühere Studien haben gezeigt, dass Jäger- und Sammler aus der Kalahari-Wüste von einer Urbevölkerung abstammen, die sich als erste von allen anderen heute lebenden Menschen abspaltete. Unsere Ergebnisse ordnen die neu identifizierte Abstammung derselben Abstammungslinie zu, deuten aber darauf hin, dass sich die Namib-bezogene Abstammung schon vor der Trennung der nördlichen und südlichen Kalahari Gruppen von den anderen Abstammungslinien des südlichen Afrika abgespalten hat". Mithilfe dieser neuen Informationen konnten die Forschenden eine komplexe Kontakthistorie rekonstruieren, die eine Migration Khoe-Kwadi-sprachiger Viehzüchter, sowie Bantu-sprachiger Bauern mit einschließt. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Forschung zu moderner DNA aus bisher wenig untersuchten Regionen mit hoher ethnolinguistischer Vielfalt Studien zu alter DNA ergänzen und damit dazu beitragen kann, die genetische Tiefenstruktur des afrikanischen Kontinents im Detail zu erforschen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Sandra Oliveira
    Universität Bern, Schweiz
    sandra.dasilvaoliveira@unibe.ch

    Prof. Dr. Mark Stoneking
    Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology, Leipzig &
    Universität Lyon 1, Frankreich
    mark.stoneking@univ-lyon1.fr

    Prof. Dr. Jorge Rocha
    CIBIO, Universität Porto, Portugal
    jrocha@cibio.up.pt


    Originalpublikation:

    S. Oliveira, A.-M. Fehn, B. Amorim, M. Stoneking, J. Rocha
    Genome wide variation in the Angolan Namib desert reveals unique Pre-Bantu ancestry
    Science Advances, 22 September 2023, https://doi.org/10.1126/sciadv.adh3822


    Bilder

    Siedlung der Kuvale Viehzüchter in Virei, Namibe-Provinz, Angola.
    Siedlung der Kuvale Viehzüchter in Virei, Namibe-Provinz, Angola.

    © Sandra Oliveira

    Die letzten beiden Kwadi-Sprecher.
    Die letzten beiden Kwadi-Sprecher.

    © Jorge Rocha


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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