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23.11.2023 09:45

Vorstandsvergütung durch Geschlechter-Stereotype beeinflusst

Antje Karbe Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    „Männliche“ Ressorts werden deutlich besser bezahlt als „weibliche“ – Es sei denn, eine Frau steht dem Ressort vor – Forscherteam wertet Daten über europäische Konzerne aus

    Frauen verdienen auf Vorstandsebene in großen europäischen Konzernen durchschnittlich 1,2 Milli-onen Euro weniger im Jahr als ihre männlichen Kollegen. Die Bezahlung der Vorstände hängt au-ßerdem davon ab, ob ein Ressort als „typisch männlich“ oder eher „weiblich“ wahrgenommen wird. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Tübingen, der Universität Paderborn und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, die kürzlich in der Fachzeitschrift The International Journal of Human Resource Management erschienen ist.

    Untersucht wurden 84 Unternehmen, darunter auch 16 deutsche, die im Euro Stoxx 50 und/oder im Stoxx Europe 50 gelistet sind. In den beiden Indizes wird die Wertentwicklung der größten europäi-schen Konzerne innerhalb und außerhalb des Euro-Währungsraums abgebildet. Die durchschnittliche Gesamtvergütung für männliche Vorstände in den untersuchten Konzernen liegt bei vier Millionen Euro im Jahr, die für weibliche Vorstände dagegen nur bei 2,8 Millionen Euro.

    Auf der Suche nach den Ursachen für den sogenannten „Gender Pay Gap“ stießen die Forschenden auf unterschiedliche Effekte. „Frauen stehen vergleichsweise häufig Ressorts vor, die als „eher weiblich“ wahrgenommen werden und die im Durchschnitt weniger gut bezahlt sind“, sagte Professo-rin Kerstin Pull vom Lehrstuhl für Personal & Organisation der Universität Tübingen. Zu den „eher weiblich“ wahrgenommenen Ressorts gehörten zum Beispiel der Bereich Personal oder die Unter-nehmenskommunikation. Als „männlich“ gelten hingegen Ressorts wie IT. Als „weiblich“ wahrgenommene Ressorts werden schlechter bezahlt und häufiger von Frauen besetzt.

    Ob die Tätigkeit in einem Vorstandsressort als „männlich“ wahrgenommen wird, wurde im Rahmen der Studie anhand einer Befragung ermittelt. Die Umfrage zeigt, dass stereotype Vorstellungen in der Gesellschaft stark ausgeprägt sind und dass sie mit den tatsächlichen Gehältern korrelieren: Je stär-ker ein Ressort als „typisch männlich“ wahrgenommen wird, desto höher die Bezahlung für dieses Ressort. Allerdings können Frauen selbst dann keine höheren Einkünfte erzielen, wenn sie „typisch männlichen“ Ressorts vorstehen – dieses Privileg bleibt Männern vorbehalten.

    „Frauen in ‚männlichen‘ Ressorts werden als nicht passende Besetzung wahrgenommen. Der klare Gehaltsnachteil ist überraschend, weil Frauen für Vorstandspositionen eigentlich händeringend gesucht werden“, sagte Professor Martin Schneider, Professor für Personalwirtschaft an der Universität Paderborn.

    „Alle Konzerne haben sich Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben und berufen zunehmend Frauen in ihre Vorstände. Dass Geschlechterstereotype die Bezahlung von Vorständen so deutlich beeinflussen, wird bislang übersehen“, sagte Professorin Anja Iseke von der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. “Dabei ähneln sich auf Vorstandsebene die Aufgaben der verschiedenen Ressorts stark: alle Vorstände müssen gleichermaßen strategisch denken und in das Unternehmen hinein kommunizieren.“

    Das Autorenteam hat eine Reihe möglicher anderer Ursachen für die Einkommensunterschiede untersucht und ausschließen können. Die Qualifikation der Vorstände beispielsweise – im Fachjargon „human capital“ genannt – kann die Unterschiede nicht erklären, denn die Qualifikation von Frauen in den Vorständen europäischer Konzerne ist mindestens ebenso hoch wie die der Männer. Das ergab die Auswertung von LinkedIn-Profilen und Jahresberichten der Firmen.

    Das Team der Autorinnen und Autoren vermutet negative Effekte von Gehaltsunterschieden auf die Entwicklung von Unternehmen. „Die Bereitschaft zur Kooperation im Top-Management ist bei großen Gehaltsunterschieden sicher geringer. Das kann nicht gut für das Unternehmen sein“, resümier-te Sarah Diederich von der Universität Tübingen. Die Empfehlung der Forschenden lautet deshalb, die Bezahlung zwischen Ressorts und einzelnen Vorständen anzugleichen.

    Die Bedeutung der Gender Pay Gap-Forschung wurde dieses Jahr durch die Verleihung des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften an die Ökonomin Claudia Goldin von der Harvard University unterstrichen. Goldin ist erst die dritte Preisträgerin in der Geschichte dieses Preises.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Kerstin Pull
    Universität Tübingen
    Lehrstuhl für Personal & Organisation
    kerstin.pull@uni-tuebingen.de

    Sarah Diederich, M.Sc. M.A.
    Universität Tübingen
    Lehrstuhl für Personal & Organisation
    sarah.diederich@uni-tuebingen.de

    Prof. Dr. Anja Iseke
    Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe
    Professur für Personalmanagement
    anja.iseke@th-owl.de

    Prof. Dr. Martin Schneider
    Universität Paderborn
    Professur für Personalwirtschaft
    martin.schneider@uni-paderborn.de


    Originalpublikation:

    Diederich, Sarah; Anja Iseke; Kerstin Pull; Martin Schneider: Role (in-) congruity and the Catch 22 for female executives: how stereotyping contributes to the gender pay gap at top executive level. The International Journal of Human Resource Management.
    www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09585192.2023.2273331


    Weitere Informationen:

    http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09585192.2023.2273331


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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