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Wüstenameisen finden während einer frühen Lernphase mithilfe des Magnetfelds der Erde ihren Weg. Der damit verbundene Lernprozess hinterlässt in ihrem Nervensystem deutliche Spuren. Das zeigt eine neue Studie eines Würzburger Forschungsteams.
Sie sind nur wenige Zentimeter groß, und ihr Gehirn ist mit weniger als einer Million Neuronen vergleichsweise einfach strukturiert. Dennoch besitzen Wüstenameisen vom Typ Cataglyphis Fähigkeiten, die sie von vielen anderen Lebewesen unterscheiden: Die Tiere sind dazu in der Lage, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren.
Sichtbare Veränderungen im Nervensystem
Das hat ein Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg bereits vor einigen Jahren herausgefunden. Unbekannt war bislang allerdings, wo im Gehirn der Ameisen die Magnet-Informationen verarbeitet werden. Das hat sich nun geändert: In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift PNAS – Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde, zeigt das Team, dass Informationen über das Erdmagnetfeld in erster Linie im internen Kompass der Ameisen, dem sogenannten zentralen Komplex, und in den Pilzkörpern, den Lern- und Gedächtniszentren der Tiere, verarbeitet werden.
Verantwortlich für diese Studie waren Professor Wolfgang Rössler, Inhaber des Lehrstuhls für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), Dr. Pauline Fleischmann, ehemalige Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie und jetzt Mitglied der Arbeitsgruppe Neurosensorik / Animal Navigation der Universität Oldenburg, sowie Dr. Robin Grob, der von Rösslers Lehrstuhl mittlerweile an die Norwegian University of Science and Technology in Trondheim gewechselt ist.
Erste Erkundungsgänge zum Kalibrieren
„Bevor eine Ameise zum ersten Mal ihr unterirdisches Nest verlässt und sich auf Futtersuche begibt, muss sie ihr Navigationssystem kalibrieren“, erklärt Pauline Fleischmann den Hintergrund der Arbeit. Bei sogenannten Lernläufen erkunden die Tiere dann die nähere Umgebung rund um den Nesteingang und drehen wiederholt Pirouetten um die eigene Körperachse mit kurzen Zwischenstopps. Während dieser Pausen blicken sie immer exakt in Richtung des Nesteingangs zurück, obwohl sie diesen – ein winziges Loch im Boden – nicht sehen können.
Dank ihrer Feldstudien in Südgriechenland, wo Cataglyphis-Ameisen heimisch sind, konnte Fleischmann zusammen mit ihren Kollegen damals nachweisen, dass sich Wüstenameisen in der Phase der Lernläufe am Magnetfeld der Erde orientieren. Auch jetzt waren Pauline Fleischmann und Robin Grob wieder vor Ort in Griechenland. Diesmal untersuchten sie allerdings nicht nur das Orientierungsverhalten der Ameisen, während das Magnetfeld manipuliert wurde, sondern suchten parallel nach Veränderungen im Nervensystem von Cataglyphis als Ausdruck des neu erlernten Wissens.
Ein fehlerhaftes Magnetfeld stört den Lernprozess
Dabei konzentrierten sich die Zoologen auf junge Arbeiterinnen, die noch keine Lernläufe unternommen hatten. Erst im Rahmen der präzise durchgeplanten Experimente durften sich die Tiere auf den Weg machen – mal unter natürlichen Bedingungen, mal in einem permanent manipulierten Magnetfeld, das zum Beispiel chaotische Richtungen anzeigte oder keine horizontale Orientierung ermöglichte. Mit diesen fehlerhaften Richtungsinformationen war es nicht als zuverlässiges Referenzsystem für das Verhalten der Ameisen geeignet, während der Lernläufe zum Nesteingang zurückzublicken.
Das Ergebnis: „Unsere neuroanatomischen Gehirnanalysen zeigen, dass Ameisen, die einem veränderten Magnetfeld ausgesetzt waren, ein geringeres Volumen und weniger synaptische Komplexe in einem Gehirnareal aufweisen, das für die Integration visueller Informationen und das Lernen zuständig ist, dem sogenannten Pilzkörper“, erklären Fleischmann und Grob. Im Zentralkomplex, der Region des Ameisenhirns, in der die räumliche Orientierung verankert ist, zeigte sich unter bestimmten Bedingungen derselbe Befund.
Die Zahl der synaptischen Verbindungen steigt
Wüstenameisen, die ihre ersten Ausflüge unter natürlichen Bedingungen machen durften, unterschieden sich davon deutlich. Ihre sensorischen Erfahrungen, eine Kombination aus Informationen über das Magnetfeld, den Verlauf des Sonnenstands und die visuelle Umgebung, stießen einen Lernprozess an, der mit strukturellen Veränderungen der Neuronen und einer Zunahme der synaptischen Verbindungen in den erwähnten Gehirnregionen einherging.
Dies lässt nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Schluss zu, dass die magnetische Information nicht nur als Kompass für die Navigation dient, sondern auch als globales Referenzsystem, das für die Bildung des räumlichen Gedächtnisses entscheidend ist.
Auf der Suche nach dem Sinnesorgan
Die Ergebnisse ihrer Experimente beweisen, „dass Ameisen einen funktionsfähigen Magnetkompass während ihrer Lernläufe brauchen, um ihren visuellen Kompass zu kalibrieren und gleichzeitig Bilder der Nestumgebung im Langzeitgedächtnis abzuspeichern“, wie Pauline Fleischmann und Robin Grob sagen. Zugleich strahlen sie weit über das Gebiet der Kompass-Kalibrierung bei Ameisen hinaus. Wolfgang Rössler betont, „dass die Ergebnisse wertvolle Hinweise liefern, wie multisensorische Reize neuronale Plastizität von Gehirnschaltkreisen für Navigation in einer kritischen Phase der Gehirnreifung beeinflussen können.“
In einem nächsten Schritt will das Team nun untersuchen, in welchem Sinnesorgan die Wüstenameise die Magnetinformation empfängt und über welche Sinnesbahnen diese weitergeleitet und verarbeitet werden. Dies sei bis jetzt bei noch keiner Tierart gelungen, die sich am Magnetfeld der Erde orientiert. Aufgrund ihres überschaubaren und relativ kleinen Nervensystems bieten Insekten, zu denen Cataglyphis gehört, eine einzigartige Gelegenheit, die neuronalen Grundlagen der magnetischen Orientierung auf allen Ebenen zu erforschen.
Prof. Dr. Wolfgang Rössler, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Zoologie II, T: +49 931 31-84306, roessler@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Dr. Pauline N. Fleischmann, Universität Oldenburg, AG Neurosensorik / Animal Navigation, T: +49 441 798-3743, pauline.fleischmann@uni-oldenburg.de
Dr. Robin Grob, Norwegian University of Science and Technology Trondheim, Department of Biology, T: +47 406 27932, robin.grob@ntnu.no
Importance of Magnetic Information for Neuronal Plasticity in Desert Ants. Robin Grob, Valentin L. Müller, Kornelia Grübel, Wolfgang Rössler, Pauline N. Fleischmann. PNAS Online-Publikation vom 12.02.2024, https://doi.org/10.1073/pnas.2320764121
Die Wüstenameise Cataglyphis nodus an ihrem Nesteingang – einem unscheinbaren Loch im Boden, das aus ...
Robin Grob
Universität Würzburg
Mit Hilfe einer 3D-Helmholtzspule hat das Forschungsteam das Erdmagnetfeld rund um den Nesteingang m ...
Robin Grob
Universität Würzburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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