idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
21.02.2024 11:01

Morbus Niemann-Pick - Energieschub für ausgelaugte Nervenzellen

Philipp Kressirer Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

    Mediziner des LMU Klinikums um Prof. Dr. Michael Strupp haben zusammen mit Kollegen der Universitäten Oxford und Bern und anderen Zentren eine wirksame neue Therapie entwickelt. In einer hochwertigen klinischen Studie konnten sie zeigen: Das Medikament N-Acetyl-L-Leucin, kurz NALL genannt, „verbessert deutlich die Symptome der Erkrankung Morbus Niemann-Pick Typ C bei ausgezeichneter Verträglichkeit“, sagt Strupp. Die Ergebnisse – bisheriger Höhepunkt zwölfjähriger systematischer Forschungsarbeit – wurden im weltweit renommiertesten medizinischen Fachjournal, dem „New England Journal of Medicine“, am 1. Februar 2024 veröffentlicht.

    Gangunsicherheit, verwaschene Sprache, Ungeschicklichkeit der Arme und Hände, Augenbewegungsstörungen, epileptische Anfälle, Einschränkung des Denkvermögens bis hin zu Psychosen – alles Symptome einer seltenen Stoffwechselerkrankung namens Niemann-Pick Typ C. Nervenzellen und andere Zellen können beispielsweise Cholesterin und andere Lipide nicht abbauen. Grund ist ein angeborener genetischer Defekt, durch den sich diese Fette in den „Lysosomen“ von Zellen anreichern, was den Zellstoffwechsel fundamental beeinträchtigt. Nun könnte das Medikament N-Acetyl-L-Leucin, kurz NALL genannt, den Betroffenen helfen.

    NALL ist Bestandteil eines Präparats (sog. Racemat), das vor allem in Frankreich jahrzehntelang zur Therapie von Schwindel eingesetzt wurde. Prinzipiell sagt Prof. Michael Strupp, Oberarzt an der Neurologischen Klinik des LMU Klinikums und international ausgewiesener Schwindelexperte, „dass effektive Medikamente gegen Schwindel meist am Kleinhirn ansetzen.“ Warum also, so Strupps Gedanke, „sollte man ein solches Medikament nicht therapeutisch für Erkrankungen testen, an denen das Kleinhirn primär beteiligt ist?“

    Auch ein großer Teil der Symptome beim Morbus Niemann-Pick Typ C wird durch Störungen der Nervenzellen im Kleinhirn verursacht. Deshalb lag es nahe, in Studien den Patienten NALL zu geben – NALL deshalb, weil sich in den Tiermodellen der Erkrankung herausgestellt hatte, dass diese spiegelbildliche Molekül-Variante die wirksame Komponente ist. So rekrutierten die Mediziner binnen drei Monaten 60 Niemann-Pick-Patienten im Alter von fünf bis 67 Jahren aus Australien, Europa und den USA. Strupp: „Das war bei einer derart seltenen Erkrankung eine große Herausforderung.“ Die Teilnehmenden erhielten dann entweder zwölf Wochen lang NALL und anschließend zwölf Wochen lang Placebo oder umgekehrt.

    Wie wirkt NALL?
    Ergebnis: „Auf einer validierten Skala der Symptomatik verbesserten sich die Patienten unter der neuen Medikation um zwei Punkte, was funktionell sehr relevant ist“, wie Michael Strupp betont. Nebenwirkungen: bislang keine. Sobald die Patienten, die das Medikament anfangs zwölf Wochen lang nahmen, NALL wieder absetzten und stattdessen das Placebo bekamen, verschlechterte sich ihr Zustand. „Außerdem haben wir Hinweise darauf, dass das Medikament das Fortschreiten der Erkrankung verzögert“, sagt der Neurologe. Das bedeutet: Je früher im Leben die Erkrankung erkannt wird und die Therapie beginnt, umso besser. Typischerweise beginnt das Leiden schon im frühen Kindesalter.

    Mit ihren Kollegen der Universität Oxford haben die Wissenschaftler des LMU Klinikums auch den Grund für die deutliche Verbesserung der Symptomatik und den zellschützenden Effekt aufgeklärt. NALL – anders als die normale Aminosäure Leucin – wird über einen speziellen Transporter mit hoher Kapazität durch Zellmembranen geschleust und erreicht so hohe Konzentrationen in allen Zellen einschließlich Nervenzellen. In Zellen beeinflusst es den Glukosestoff- und Energiestoffwechsel positiv. Resultat: Es wird mehr „ATP“ aus jedem Glukosemolekül produziert. ATP ist der universelle Energielieferant unserer Zellen, sozusagen unser Benzin. Dieser Energieschub „bringt Nervenzellen und andere Zellen in eine deutlich robustere Verfassung“, sagt Strupp, „und dann funktionieren die Lysosomen auch besser“. Lysosomen sind die „Organellen“ der Zellen, die diese von Abbauprodukten reinigen. Überdies stellt NALL die normale Erregbarkeit der Nervenzellen wieder her, die ebenfalls gestört ist.

    Auch bei anderen Erkrankungen ist diese Erregbarkeit von Nervenzellen nicht in Ordnung. Kleinere Studien der Münchner Mediziner deuten an, dass NALL auch hier einen positiven Effekt hat. Last but not least, wer weiß: Vielleicht kann NALL eines Tages auch bei weiteren Erkrankungen, vor allem solchen mit einem vorzeitigen Altern von Nervenzellen, wirksam sein.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. med. Dr. h.c. Michael Strupp, FRCP, FANA, FEAN
    Neurologische Klinik
    LMU Klinikum München
    Campus Großhadern
    Tel.: +49 89 4400-73678
    E-Mail: Michael.Strupp@med.uni-muenchen.de


    Originalpublikation:

    Trial of N-Acetyl-l-Leucine in Niemann–Pick Disease Type C
    T. Bremova Ertl, U. Ramaswami, M. Brands, T. Foltan, M. Gautschi, P. Gissen, F. Gowing, A. Hahn, S. Jones, R. Kay, M. Kolnikova, L. Arash Kaps, T. Marquardt, E. Mengel, J.H. Park, S. Reichmannová, S.A. Schneider, S. Sivananthan, M. Walterfang, P. Wibawa, M. Strupp, and K. Martakis;
    N Engl J Med 2024; 390:421-31. DOI: 10.1056/NEJMoa2310151; https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2310151


    Weitere Informationen:

    https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/energieschub-fur-ausgel...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).