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09.04.2024 11:00

Kopfschmerzursachen bei Jugendlichen: Lange Bildschirmzeiten, unregelmäßige Mahlzeiten, spätes Zubettgehen, Cannabis

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Eine aktuelle bevölkerungsbasierte Studie aus Kanada zeigte, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Das Risiko stieg mit einem späten Zubettgehen, langen Bildschirmzeiten und unregelmäßigen Mahlzeiten sowie auch durch Alkohol sowie den Konsum von Zigaretten – oder Cannabis. „Auch unter diesem Aspekt ist die Freigabe dieser Droge in Deutschland kritisch zu sehen.“

    Drei von vier Jugendlichen kennen das Phänomen rezidivierender Kopfschmerzen [1]. Die Gesamtprävalenz wird für das Kindes- und Jugendalter heute mit bis zu 60 % angegeben [2]. Schon im Kindesalter gehören Kopfschmerzen zu den häufigsten Schmerzen – mit Eintritt in die Schule verfünffacht sich die Häufigkeit [2]. Bei den primären Kopfschmerzen stehen mit 41 % Spannungskopfschmerzen an erster Stelle [3], aber auch Migräne kommt vor (9,4 %). Bei 32,5 % der Betroffenen besteht ein Mischtyp beider Formen. Für die Behandlung ist die richtige Diagnose essenziell. Ungewöhnlich ist, wenn bereits Kleinkinder (< 3 Jahren) über Kopfschmerzen klagen. Hier (aber grundsätzlich natürlich in jedem Alter) dürfen ernste Erkrankungen, die zu sekundären Kopfschmerzen führen, wie Meningitis, Hirntumoren oder Blutungen nicht übersehen werden. Bei der kinderärztlichen Anamnese und Untersuchung wird nach bestimmten Hinweisen („red flags“) [4] gesucht (z.B. Trauma, plötzlich neu aufgetretene oder im Verlauf zunehmende Kopfschmerzen, zusätzlich bestehende Übelkeit/Erbrechen, Fieber, nächtliches schmerzbedingtes Erwachen, Wesensveränderung oder weitere neurologische Symptome).

    Die einzige primäre Kopfschmerzdiagnose, bei der ein Einsatz schmerzstillender Medikamente wie Paracetamol, Ibuprofen und Triptane (letztere ab zwölf Jahren) gerechtfertigt sind, ist eine nachgewiesene Migräne. Dennoch nehmen etwa 80 % der Jugendlichen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen regelmäßig Schmerztabletten [1]. Hier besteht längerfristig wie bei Erwachsenen die Gefahr, dass sich sekundär ein sogenannter Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication-overuse headache“, MOH) entwickelt [1, 2].

    Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind oft eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die nicht selten chronisch wird. Ungefähr jedes zweite Kind mit wiederkehrenden Kopfschmerzen wird im späteren Leben noch immer darunter leiden [3]. Daher ist es besser, möglichst frühzeitig nach den Ursachen zu suchen, statt unbedacht Schmerzmedikamente einzunehmen. Wie bei Erwachsenen auch, werden bei Kindern und Jugendlichen bestimmte „moderne“ Lebensstilfaktoren bzw. Verhaltensweisen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus besteht eine Assoziation mit dem Auftreten von Depression und Angststörungen.

    Auch wenn kausale Zusammenhänge schwer zu ermitteln sind, so ist klar, dass Kinder mit Kopfschmerzerkrankungen oft im Alltag (Schule, Familie, Freunde, Hobbies) stark beeinträchtigt sind – wobei der Schmerz das Sozialleben beeinflusst und umgekehrt. Eine gründliche Suche nach möglichen Kopfschmerzursachen führt oft bereits zu hilfreichen Behandlungsansätzen. Neben klassischen innerfamiliären Belastungssituationen spielen sowohl eine Überorganisation des kindlichen Alltags, eine Reizüberflutung mit fehlenden Ruhepausen [4], aber auch Langeweile und daraus entstehende Gewohnheiten eine Rolle.

    Eine aktuelle bevölkerungsbasierte Studie [5] aus Kanada untersuchte in einer Querschnittsbefragung Kopfschmerzauslöser im Alter von 5-17 Jahren (n=4.978.370; Durchschnittsalter 10,9 Jahre; 48,8 % weiblich). Die Kopfschmerzhäufigkeit wurde dichotomisiert erfragt als „höchstens 1x/Woche“ oder „mehr als 1x/Woche“ (definiert als häufige Kopfschmerzen). Insgesamt 6,1 % hatten häufige Kopfschmerzen. Die Wahrscheinlichkeit für häufige Kopfschmerzen stieg signifikant mit dem Alter (OR 1,31) an und war beim weiblichem Geschlecht höher (OR 2,39). Im für Alter/Geschlecht bereinigten Rechenmodell stieg das Risiko signifikant mit einem späten Chronotyp („Nachteulen“, aOR 1,1) sowie langen Bildschirmzeiten (≥21 Stunden gegenüber 0,0 in der letzten Woche, aOR 2,97) an. Bei 12- bis 17-Jährigen spielte auch Substanzkonsum eine Rolle (≥1/Woche Alkohol vs. nie: aOR 3,50; „binge drinking“ ≥ 5x im letzten Monat vs. nie: aOR 5,52, tägliches Zigarettenrauchen vs. nie: aOR 3,81, täglich E-Zigaretten vs nie: aOR 3,1, täglicher Cannabiskonsum vs. nie: aOR 3,59). In der gesamten Kohorte war eine tägliche häusliche Rauchexposition mit häufigen Kopfschmerzen assoziiert (aOR 2,0). Die Wahrscheinlichkeit häufiger Kopfschmerzen sank mit der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten (aOR 0,90, p < 0,001). Es gab dagegen keinen Zusammenhang mit der angegebenen körperlichen Aktivität.

    „Die Ergebnisse zeigen, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Als sogenannte potenziell modifizierbare Risikofaktoren sollten sie in der Praxis angesprochen werden, denn hier gilt es gegenzusteuern“, so DGN-Kopfschmerzexperte Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen.

    Es gibt verschiedene Projekte zum (Selbst-)Management bzw. zur Prophylaxe von Kopfschmerzen bei Kinder und Jugendlichen, da Haus- und Kinderarztpraxen oft nicht die Zeit haben, der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden. Ein Beispiel ist das Projekt DreKiP) [2] am Universitätsklinikum Dresden, ein multimodales Kinderkopfschmerztherapieprogramm. Nach dem Assessment in der Kinderkopfschmerzambulanz läuft das Programm schulbegleitend über 2–3 Monate. Es beinhaltet acht Module (Kopfschmerzedukation, Stressbewältigung, Entspannungstechniken, körperliche Aktivierung/Fitness, Klettertherapie/Selbstwirksamkeit, Kunsttherapie/Defokussierung, Yoga und Riechtraining), zusätzlich finden edukative Eltern-Workshops statt.

    „Wir wissen heute, dass viele neurologische Erkrankungen, die seit Jahren zunehmen, zu einem großen Teil auch lebensstilbedingt sind“, so Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Natürlich beweisen nicht alle statistischen Assoziationen eine Kausalität, aber Programme wie das aus Dresden, die an der Modifikation möglicher Auslöser ansetzen, zeigen gute Erfolge. In der aktuellen Studie war auch Cannabis ein relevanter Risikofaktor. Auch unter diesem Aspekt ist die Freigabe dieser Droge in Deutschland kritisch zu sehen.“

    [1] https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/kopfschmerzen-bei-kindern-aktiv-werd...
    [2] https://www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/universitaetscentren/usc/publ...
    [3] https://www.dmkg.de/patienten/kopfschmerzen-bei-kindern-und-jugendlichen
    [4] https://www.aerzteblatt.de/archiv/149939/Kopfschmerzen-im-Kindes-und-Jugendalter
    [5] Nilles C, Williams JV, Patten SB, Pringsheim TM, Orr SL. Lifestyle Factors Associated With Frequent Recurrent Headaches in Children and Adolescents: A Canadian Population-Based Study. Neurology. 2024 Mar 26;102(6):e209160. doi: 10.1212/WNL.0000000000209160. Epub 2024 Feb 28. PMID: 38417103.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
    Tel.: +49(0)30 531 437 959
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 12.300 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
    Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
    Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Friedrichstraße 88, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    doi: 10.1212/WNL.0000000000209160


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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