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24.06.2024 13:07

Mit Forschung psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen reduzieren: DZPG hat Risikofaktoren im Visier

Cordula Baums Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit

    Bis zu 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben eine psychische Störung. Aber nicht alle Kinder sind gleichermaßen gefährdet. Am Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) wird in vielen Projekten speziell für Gruppen geforscht, die von Risikofaktoren betroffen sind. Ziel ist es, früher Diagnosen zu stellen und in Deutschland ein breites Netz an Präventions- und Hilfsangeboten für jede Altersstufe zu schaffen.

    „Psychische Erkrankungen sind eines der relevanten Gesundheitsprobleme in Deutschland. Mit Präventionsangeboten kann ein Teil der Kinder und Jugendlichen geschützt werden. Dafür setzt das DZPG sich mit translationaler Forschung ein“, betont Prof. Dr. Peter Falkai, Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie an der LMU Klinik und Standortsprecher des DZPG in München.

    Angststörungen, hyperkinetisches Syndrom, Lernstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen und Essstörungen: Der Katalog der psychischen Störungen, die Kinder und Jugendliche treffen, ist gewichtig. Werden psychische Probleme im Kindes- und Jugendalter nicht behandelt, wirken sie oft bis ins Erwachsenenalter. „Bei Kindern und Jugendlichen ist schon jeder fünfte von psychischen Störungen betroffen“, so Falkai. „Bei Erwachsenen wächst der Anteil auf jeden vierten. Damit sind seelische Erkrankungen eine der großen Herausforderungen im Medizinbereich.“

    Risikofaktor Erwachsenwerden: Mit dem Alter steigt das Risiko für psychische Erkrankungen

    Mit steigendem Alter sind Heranwachsende Stress ausgesetzt durch Schulabschluss, Ausbildung, die Gründung eigener sozialer Verbünde und das Finden sozialer Rollen. Aber eine Gefährdung für seelische Erkrankungen ergibt sich nicht allein aus dem Reifeprozess. Forschungen am DZPG haben spezielle Risikofaktoren im Blick. Falkai erklärt: „Während der Corona-Pandemie mit Kontaktbeschränkungen, Einsamkeit und mehr häuslicher Gewalt sind die Zahlen psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen deutlich angestiegen.“ Den Zuwachs belegt eine Untersuchung des BKK Dachverbands im Auftrag der Stiftung Kindergesundheit. Aus ihr geht hervor, dass in den Pandemiejahren 2020 und 2021 besonders die 15- bis 19-jährigen weiblichen Versicherten unter psychischen Symptomen gelitten haben. Überdurchschnittlich häufig waren demnach Angst- und Anpassungsstörungen zu beobachten.¹ Und die nächste Krise ist längst da: „Wir beobachten auch einen Anstieg von Posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen bei externen Stressoren wie kriegerischen Konflikten.“

    Vor der Behandlung steht die Prävention

    „Zahlreiche Forschungen innerhalb des DZPG zielen hier auf Prävention“, so Prof. Falkai. „Schon vor dem Auftreten vieler psychischer Störungen entwickeln Betroffene erste Symptome.“ In der Praxis sehen diese ersten Anzeichen von außen oft unspezifisch aus: „Dazu gehören Schlafstörungen, innere Unruhe und körperliche Beschwerden wie Bauch-, Kopf- und Rückenschmerzen. Schließlich kann diese Entwicklung fließend übergehen in Angststörungen. Auch eine Verschlechterung der Konzentration und damit der schulischen Leistungen ist häufig zu beobachten.“ Auch hier registrieren Fachleute wachsende Fallzahlen: Bei Schulkindern haben potenziell psychosomatische Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, aber auch Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit über die Jahre stark zugenommen. Das ist ein Ergebnis der Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) der WHO.²

    Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen verhindern

    Auf diese Vor-Phase zielen die Forschungen zur Primärprävention des DZPG: Ziel ist, die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Kinder und Jugendliche an psychischen Störungen erkranken, zu verkleinern. Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und DZPG-Sprecher, erklärt: „Dazu gehört im ersten Schritt, psychische Gesundheit überhaupt zu messen. Eine solche Messung wird am Standort Bochum vom DZPG gerade mit dem Deutschen Gesundheitsbarometer implementiert. Dafür wird regelmäßig eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe zu ihrem seelischen Befinden befragt. So kann man Veränderungen – etwa während einer Wirtschaftskrise oder Pandemie – bei der psychischen Gesundheit der Bevölkerung messen, um gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, damit sie nicht kippt.“

    Forschung für Kinder mit erhöhtem Risiko

    Dabei ist das Risiko einer psychischen Erkrankung längst nicht bei allen Kindern und Jugendlichen in Deutschland gleich hoch: „Wir kennen Risikofaktoren, die psychische Krankheiten auslösen oder verschlechtern können. Dazu gehört auch eine Frühgeburt“, so Falkai. Dieser Umstand wird am DZPG-Standort Tübingen in den Fokus genommen. Dort werden die Familien von Frühgeborenen im Rahmen eines Früherkennungsprogramms engmaschig betreut, um mögliche Frühsymptome psychischer Erkrankungen zu erkennen und den durch die Frühgeburt ausgelösten Stress in der Familie zu reduzieren. Parallel wird eine große Zwillingskohorte nachverfolgt, um auch hier Risiko- und Resilienzfaktoren zu verstehen, um Frühsymptome zu erkennen und Interventionsmöglichkeiten anzubieten.

    Aber auch im weiteren Verlauf ergeben sich Risiken. Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Sprecher des DZPG: „Ein Faktor ist der sozioökonomische Status, vor allem in Hinblick auf Zugangsbarrieren zu gesundheitlicher Versorgung, aber auch die Mental Health Literacy: Wie viel weiß ich über seelische Gesundheit?“ Ein besonderer Risikofaktor für psychische Störungen ist zudem das Aufwachsen in städtischen Ballungsräumen und Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile. Auch ein Minderheitenstatus zählt zu den Risikofaktoren. Deshalb startete ein Projekt des DZPG im Bochumer Stadtteil Wattenscheid. Dort leben überdurchschnittlich viele Menschen in prekären Verhältnissen, mit Migrationshintergrund oder von Arbeitslosigkeit betroffen. Das Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ) der Ruhr-Universität Bochum entwickelt ein neuartiges Präventionskonzept unter dem Motto „Urban Mental Health“ (UMH). Es bringt erstmals Wissenschaft, Politik und Praxis zusammen, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern. Das Projekt zielt auf die seelische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern, die mit gesteigerter Resilienz und einem Curriculum für die Schülerinnen und Schüler deren „Mental Health Literacy“, das Wissen über seelische Gesundheit, steigern sollen. Bei Erfolg könnte es zur Blaupause für ganz Deutschland werden.

    Risikofaktor psychische Probleme der Eltern

    An der FU Berlin haben die Forschenden Kinder von Eltern im Fokus, die aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastung Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Kindern erleben. Das kann beispielsweise bedeuten, dass ein oder mehrere Elternteile eine psychische Erkrankung (z.B. Depressionen oder Angststörungen) haben oder nur eingeschränkte soziale oder finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Die Forschung zeigt, dass solche Belastungen mit einem erhöhten elterlichen Stresserleben einhergehen können, was wiederum die Kommunikation und den Umgang mit den eigenen Kindern erschweren kann. Hier wird gerade eine App als niederschwelliges Angebot entwickelt, das Eltern dazu befähigt, ihre eigene psychische Gesundheit zu stärken und ein positives Erziehungsverhalten zu fördern.

    Frühere Diagnosen für einen leichteren Start ins Erwachsenenleben

    Aber auch an der Sekundärprävention, der Verbesserung von Therapiechancen durch frühe Erkennung von Erkrankungen, forscht das DZPG. Falkai: „Das DZPG evaluiert gerade Zentren für Früherkennung und Erstbehandlung von Psychischen Erkrankungen und will hier das Informationsangebot für die Bevölkerung verbessern.“ Das Ziel: Kinder, Jugendliche und ihre Familien sollen als Anlaufpunkte kompetente Früherkennungszentren zur Verfügung haben, die auf psychische Störungen spezialisiert sind. „Nur Fachleute können Symptome, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen, von solchen unterscheiden, die sich im Rahmen von normalen Reifungs- und Entwicklungsprozessen zeigen.“

    Über das DZPG

    Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische Gesundheit.

    Quellen

    Kindergesundheitsbericht 2023 der Stiftung Kindergesundheit: https://www.kindergesundheit.de/Die-Stiftung/Kindergesundheitsberichte/Kinderges...

    Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) study, WHO: https://www.who.int/europe/initiatives/health-behaviour-in-school-aged-children-...


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Peter Falkai, Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum, Peter.Falkai@med.uni-muenchen.de


    Bilder

    Prof. Dr. Peter Falkai, Sprecher des DZPG-Standorts München-Augsburg
    Prof. Dr. Peter Falkai, Sprecher des DZPG-Standorts München-Augsburg

    © DZPG


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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