idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Forschungskonsortium unter Leitung der TU Berlin erhält 4,7 Millionen Euro EU-Förderung
Ein Forschungskonsortium aus 17 Institutionen unter Leitung des Teams von Prof. Dr. Boris Heinz vom Fachgebiet „Community Energy and Adaptation to Climate Change“ der TU Berlin erhält insgesamt 4,7 Millionen Euro aus dem EU-Forschungsprogramm Horizont Europa. Damit soll zum ersten Mal in einem EU-geförderten Innovations- und Forschungsprojekt untersucht werden, wie die Energieversorgung in Geflüchtetencamps für die Bewohner*innen sichergestellt und gleichzeitig gemeinsam mit Geflüchteten nachhaltig gestaltet werden kann. Die Untersuchungsstandorte sind zwei Camps in Ruanda und Uganda. Erstmals in einem von der Europäischen Union im Horizon Programm geförderten Projekt wird auch eine Initiative der Geflüchteten selbst direkt als Konsortialpartnerin beteiligt sein. In dem neuen Forschungsprojekt „SUNNY – Sustainable Energy Systems for Refugee and Host Communities in Africa“ entfallen auf die TU Berlin Fördermittel von rund 785.000 Euro, die Projektlaufzeit beträgt vier Jahre. Zeitgleich zu der Bewilligung der Mittel ist eine Übersichtsstudie des Fachgebiets über die Lage der Energieversorgung in afrikanischen Geflüchtetencamps erschienen.
Die Zahl der Geflüchteten ist seit der Jahrtausendwende fast exponentiell angestiegen: von unter 10 Millionen im Jahr 2003 auf etwa 130 Millionen im Jahr 2023. Der Zeitdruck beim Aufbau von Unterkünften für diese Menschen ist aufgrund der humanitären Notlagen groß, daher hat die Frage der Art der Energieversorgung zu diesem Zeitpunkt keine Priorität. „Das ist dadurch erklärbar, da zu Beginn der Notfallversorgung Essen und Schutz im Vordergrund stehen, wirkt sich aber im Nachhinein fatal aus. Keine oder schlechte Energieversorgung hat Einfluss auf viele Lebensbereiche der Geflüchteten“, erklärt Boris Heinz. Dies sei umso schlimmer angesichts der Tatsache, dass die große Mehrzahl der Geflüchtetencamps nicht etwa eine temporäre Situation für die Menschen darstellen: „Ein Geflüchtetencamp besteht im Durchschnitt 20 bis 25 Jahre, und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Menschen liegt zwischen acht und neun Jahren“, so Heinz.
94 Prozent der Menschen, die in Geflüchtetencamps leben, haben keinen Zugang zu Elektrizität
Die Geflüchteten haben in ihren Unterkünften nur in sechs Prozent der Fälle Zugang zu Strom. „Auch Videokonferenzen mit den in den Camps ansässigen Hilfsorganisationen müssen wir häufig verschieben, weil gerade kein Strom da ist“, berichtet Boris Heinz. In den 30 in der Übersichtsstudie des Fachgebiets betrachteten afrikanischen Ländern werden zum Beispiel zur Beleuchtung in rund 70 Prozent der Fälle Taschenlampen, zu etwa einem Viertel Petroleum- und Benzinleuchten und in knapp 10 Prozent der Fälle solarbetriebene Lampen genutzt. „Da es in Ländern um den Äquator herum gegen sechs Uhr nachmittags stockdunkel wird, können Schulkinder ihre Hausaufgaben oft gar nicht oder nur unter sehr schwierigen Lichtverhältnissen erledigen“, so Heinz.
Gute Beleuchtung bringt mehr Sicherheit
In den Geflüchtetencamps, die in manchen Fällen eher kleinen Städten gleichen und außer Schulen und Krankenstationen auch Läden, Friseursalons und diverse Gemeinschaftseinrichtungen beherbergen, haben sich für den Elektrizitätsmangel Behelfslösungen etabliert. So kann man einem fliegenden Händler sein Smartphone übergeben und bekommt es gegen etwas Geld am nächsten Tag aufgeladen wieder zurück. „Viele Geflüchtete dürfen ihr Camp nicht verlassen und das Handy ist für auseinandergerissene Familien der einzige Weg, mit ihren Angehörigen zu kommunizieren. Ein kritischer Ladezustand des Mobiltelefons wird hier schnell zum zusätzlichen Stressfaktor“, erklärt Heinz. Eine bessere Stromversorgung würde auch eine flächendeckendere Beleuchtung auf den Straßen und Plätzen im Camp ermöglichen. Und damit Gelegenheiten für Gewalt reduzieren – etwa an Frauen bei nächtlichen Toilettengängen oder zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen.
81 Prozent der Menschen, die in Geflüchtetencamps leben, nutzen Feuerholz und andere Biomasse zum Kochen
Neben der Elektrizität ist ein anderes großes Problem im Zusammenhang mit der Energieversorgung in Geflüchtetencamps das Kochen. Weltweit nutzen 81 Prozent der Menschen, die in Geflüchtetencamps leben, vor allem Feuerholz, um ihr Essen zuzubereiten. „Das offene Feuer, das meist zwischen drei großen Steinen entfacht wird, berge dabei erhebliche Risiken für Verletzungen und Unfälle“, so Heinz. „Und auch ohne Unfälle führt der Rauch zu Lungen- und Augenschäden, weil die Wohnverhältnisse sehr beengt sind.“
Wie bei der schlechten Stromversorgung hat auch das Kochen mit Feuerholz sekundäre Auswirkungen. So sind es aufgrund ihrer traditionellen Rolle meist Frauen, die bis zu sechs Stunden am Tag Feuerholz sammeln – alleine und außerhalb des Camps. „Auch hier kommt es immer wieder zu Übergriffen gegen Frauen. Außerdem verhindert die lange Abwesenheit, dass die Frauen anderen wichtigen Tätigkeiten nachgehen können, sei es für ihre Familie oder den eigenen Gelderwerb“, sagt Heinz. Zudem trage das großflächige Abholzen im Umkreis von etlichen Kilometern um das Camp zu Konflikten mit den ortsansässigen Menschen bei.
Bottom-up-Ansatz mit direkter Beteiligung einer Initiative der Geflüchteten
All diese Probleme will das Forschungsprojekt SUNNY nun mit einem partizipativem Bottom-up-Ansatz gemeinsam mit Geflüchteten angehen. Neben zwei afrikanischen Universitäten und der in Berlin ansässigen, gemeinnützigen Organisation „Hudara“ https://hudara.org/de/home-de/, die über langjährige Erfahrung mit Projekten im Kontext der Vertreibung verfügt, wird dabei erstmals in einem von der Europäischen Union im Horizon Programm geförderten Projekt eine Initiative der Geflüchteten selber direkt als Forschungspartnerin im Konsortium beteiligt sein. Das „Community Technology Empowerment Network“ (CTEN) steht unter Leitung des Gründers Peter Batali, der selbst mehrfach aus dem Süd-Sudan nach Uganda fliehen musste. Er wohnte dort in einem Geflüchtetencamp, bis er es schaffte, einen Aufenthaltstitel für Großbritannien zu erhalten und an der University of Westminster einen Bachelor in IT zu erwerben. Nach seiner Rückkehr nach Uganda hat er mit anderen Geflüchteten die Arbeit von CTEN fortgesetzt. Die Organisation hat sich über diverse Kollaborationen mit Nichtregierungsorganisationen und in anderen Projekten mittlerweile einen exzellenten Ruf als kompetente Partnerin erworben. „Das CTEN wird durch seine direkte Partnerschaft im Konsortium einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass partizipativ neue Lösungen für die Energieversorgung von Geflüchteten entwickelt werden können“, sagt Boris Heinz.
Co-kreative Forschung und Entwicklung zwischen Partner*innen aus dem Globalen Süden und Globalen Norden
In den beiden Geflüchtetencamps „Bidibidi refugee settlement“ in Uganda und „Mahama refugee camp“ in Ruanda wird das Forschungskonsortium nun im ersten Jahr in einem co-kreativen Prozess gemeinsam mit den Bewohner*innen und lokalen Unternehmen bezahlbare und gleichzeitig umweltverträgliche Lösungen für die Entwicklung einer nachhaltigen Energieversorgung ausarbeiten. Dabei sollen konkrete Vorgaben der Forscher*innen oder anderer Stakeholder der Entwicklungszusammenarbeit unterbleiben und lokale Bedürfnisse und Gegebenheiten im Mittelpunkt stehen. Zudem werden auch ortsansässige, nicht geflüchtete ugandische und ruandische Bewohner*innen mit in die Arbeit einbezogen – denn diese haben oft die gleichen Probleme in Bezug auf eine sichere und saubere Energieversorgung wie die Zugezogenen. Im zweiten Projektjahr werden dann die konzipierten Ideen technisch umgesetzt, im dritten Jahr getestet und überwacht und im vierten Jahr werden die Auswirkungen der Verbesserungen auf die Lebensumstände der Menschen untersucht.
„Natürlich gehen wir nicht unvorbereitet in diesen Prozess“, erklärt Boris Heinz. So hat das Team bereits Best-Practice-Beispiele gesammelt und Fallstudien für das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) erstellt, die auch schon in einigen Geflüchtetencamps bei Planungsprozessen zum Einsatz kommen. Dazu gehört etwa der Einsatz eines Aluminiumzylinder mit Lüftungsschlitzen, der die Verbrennung von Feuerholz und anderer Biomasse optimiert und so zu einer 80-prozentigen Einsparung der Brennstoffe und weniger Rauchentwicklung führt. Auch gibt es einfache Konzepte zur Erzeugung von Biogas aus Abfällen in den Camps. „Was für sie am besten ist, müssen aber die Menschen vor Ort entscheiden. Alles andere funktioniert nicht“, sagt Heinz.
Weiterführende Informationen:
Übersichtsstudie über die Lage der Energieversorgung in afrikanischen Gelfüchtetencamps
https://doi.org/10.3390/su16114653
Projektwebseite SUNNY https://sunny-project.eu/
Link zur Pressemitteilung mit Fotos zum Download https://www.tu.berlin/go264751/
Kontakt:
Prof. Dr. Boris Heinz
Fachgebiet „Community Energy and Adaptation to Climate Change“
Technische Universität Berlin
Tel.: +49 30 314-77039
E-Mail: contact@ceacc.tu-berlin.de
Web: http://www.tu.berlin/ceacc
Ortsansässige Bevölkerung in der Stadt Arua, Uganda. Eine Person links unten im Bild bereitet Essen ...
FG CEACC
Geflüchtetenunterkünfte im Bidibidi refugee settlement in Uganda.
FG CEACC
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Energie
überregional
Forschungsprojekte, Wissenschaftspolitik
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).