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Duisburg und Essen haben ähnliche Ausgangsbedingungen, aber unterschiedliche Pläne für eine Zukunft ohne Steinkohle: Duisburg baut auf seinem industriellen Erbe auf, will sich als internationale Logistikdrehscheibe und Hotspot für grünen Wasserstoff etablieren. Essen hat eine grüne Vision entwickelt, setzt auf nachhaltige Unternehmen und Kulturveranstaltungen. Beide Wege bringen je eigene Chancen und Herausforderungen mit sich.
Der Kohleausstieg ist ein Meilenstein in der Energiewende. Für die betroffenen Regionen birgt er allerdings erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Bei ihrer Untersuchung des Strukturwandels in Duisburg und Essen arbeitete ein Team von Forschenden um Franziska Mey (Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam) mit dem Konzept der Positiven Sozialen Kipppunkte. Diese beschreiben einen Punkt, an dem eine Veränderung eine selbstverstärkende Dynamik auslöst, die zu erheblichen, häufig abrupten und oft unumkehrbaren systemweiten Auswirkungen führt – in diesem Fall zu einem neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungspfad.
Der Kipppunkt ist noch nicht erreicht
„Um festzustellen, ob ein Kipppunkt erreicht wurde, ist eine umfassende Analyse erforderlich. Dafür haben wir den Wandel von Duisburg und Essen in den letzten 30 Jahren untersucht: Welche Ereignisse, welche Politikmaßnahmen waren prägend? Was hatten diese für gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, zum Beispiel auf Beschäftigungsquoten, Einkommensniveaus und Umweltqualität? Wir haben Literatur analysiert und Interviews mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus beiden Städten geführt“, erläutert Franziska Mey.
Das Ergebnis: An einem Kipppunkt ist keine der beiden Städte angelangt. Jedoch haben beide die Grundlagen für ihre zukünftigen Entwicklungspfade gelegt. So identifizierten die Forschenden demografische, wirtschaftliche und politische Veränderungen, die künftig zu Kipppunkten führen können.
Duisburg setzt auf Bewährtes, Essen will den Wandel
Die Studie beschreibt die unterschiedlichen Zukunftsvisionen von Duisburg und Essen. So strebt Duisburg danach, seinen Industriesektor zu erhalten und auszubauen, besonders die Logistikbranche. Ein Schwerpunkt liegt auf der Weiterentwicklung bestehender Ressourcen wie den Stahlwerken, die künftig klimaneutral produzieren sollen, und dem Hafen, der zum Vorreiter bei der Wasserstoff-Infrastruktur werden soll. Der Erfolg der Dekarbonisierungsbemühungen wird laut den Forschenden eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob die Stadt den Kipppunkt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft erreicht.
Essen hat eine alternative Vision für seine Zukunft formuliert, die Stadt will weg von ihrem alten Bergbau-Image und hin zu einer grüneren Zukunft. Sie hat sich das Motto „Von Grau zu Grün“ auf die Fahnen geschrieben und orientiert sich damit an aktuellen nationalen und europäischen Nachhaltigkeitstrends. Essens neues Leitbild konzentriert sich auf nachhaltige Unternehmen, die Stadt kann eine steigende Anzahl „grüner Jobs“ verzeichnen. Zudem fördert sie nachhaltige Praktiken wie das Fahrradfahren und einen umweltschonenden Tourismus.
Schneller voran mit dem richtigen Timing
Essen komme in seiner Entwicklung etwas schneller voran als Duisburg, berichtet Mey: „Wir haben geringfügige soziale, wirtschaftliche und demografische Unterschiede zwischen den Städten festgestellt, in allen Bereichen steht Essen ein wenig besser da. Deutlicher als die harten Daten ist aber der narrative Wandel: Essen hat proaktiv eine neue Vision und ein neues lokales Narrativ für seine künftige Entwicklung gesucht und geformt. Die Stadt hat große Veranstaltungen genutzt, um Nachhaltigkeitstrends lokal zu verankern, sie fördert bürgerschaftliches Engagement und hat ihre ökonomischen Aktivitäten diversifiziert. Die grüne Agenda könnte den Beginn einer neuen Ära der nachhaltigen Entwicklung in der Stadt markieren.“ Radikale Veränderungen und Kipppunkte seien in den komplexen sozialen Systemen von Städten allerdings selten zu beobachten, oft vollziehe sich der Wandel allmählich.
Obwohl Städte im politischen Mehrebenensystem nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten haben, können sie ihren Kurs beeinflussen. Neben einem proaktiven Ansatz spielt laut der Studie auch das Timing eine Rolle: Wenn die Städte zum richtigen Zeitpunkt in eine Entwicklung eingreifen, können sie den Transformationsprozess wirksamer steuern – beispielweise eine gemeinsame nachhaltige Zukunftsvision der Stadt entwickeln und entsprechend auf das lokale Narrativ einwirken, die Dynamik von lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen nutzen und unterstützen, regionale und überregionale Netzwerke fördern und die Ansiedlung von nachhaltigen Unternehmen begünstigen.
Dr. Franziska Mey
franziska.mey@rifs-potsdam.de
Mey, F., Weik, A., Lilliestam, J. (2024). From grey to green? Tipping a coal region incrementally. Global Environmental Change, 87: 102862. doi: 10.1016/j.gloenvcha.2024.102862.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Energie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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