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12.07.2024 14:26

Der Sommer vor 300.000 Jahren

Bianca Loschinsky Presse und Kommunikation
Technische Universität Braunschweig

    TU Braunschweig rekonstruiert Temperaturentwicklung mit Zuckmücken

    Wie war der Sommer in Norddeutschland vor 300.000 Jahren? Wärmer oder kälter? Wie stark haben sich die Temperaturen verändert? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Braunschweig Sedimente des ehemaligen Tagebaus Schöningen untersucht, der weltweit zu einem der wichtigsten Orte der Archäologie zählt. Im Fokus ihrer Forschung standen dabei Fossilien eines winzigen Insekts: der Zuckmücke.

    Vor dem Hintergrund des Klimawandels wird ein Blick auf die Warmzeitperioden des Mittelpleistozäns (781.000 bis 127.000 Jahre vor heute) immer wichtiger, um das Klima der Vergangenheit besser zu verstehen. Diese Zeiträume können als Vergleichsgrundlage für die natürlichen Klimaschwankungen der gegenwärtigen nacheiszeitlichen Warmzeit (Holozän) dienen und so wertvolle Erkenntnisse über die heutigen, vom Menschen verursachte Klimaerwärmung liefern. Damit können Wissenschaftler*innen auch genauere Klimamodelle entwickeln.

    Sedimente mit Speeren und Zuckmückenlarven

    Der ehemalige Tagebau in Schöningen ist bekannt für die Entdeckung der ältesten, hölzernen Jagdwaffen der Welt. Die circa 300.000 Jahre alten Wurfspeere konnten sich in den kalkreichen Sedimenten eines ehemaligen Sees gut erhalten und bezeugen heute die außergewöhnlichen Fähigkeiten des „Homo heidelbergensis“, einem Vorfahren des Neandertalers, der zu dieser Zeit an den Ufern des Sees Jagd auf Waldelefanten und Wildpferde machte.

    Neben den Speeren waren in den Sedimentschichten auch Mückenlarven konserviert, die Informationen zu vergangenen Umweltparameter mit einschlossen. Ein aktuelles Forschungsprojekt in Schöningen, unter Federführung des Instituts für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) der TU Braunschweig, befasst sich mit sogenannten Bioindikatoren. Die aquatischen Mikroorganismen können als „Frühwarnsysteme“ dienen, indem sie schnell und empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraums reagieren. Die fossilen Überreste von Zuckmückenlarven (Chironomiden), Muschelkrebsen (Ostrakoden) und Kieselalgen (Diatomeen), die in den Sedimenten erhalten geblieben sind, können somit Aufschluss über zum Beispiel Temperaturveränderungen und, Eutrophierung, also eine Nährstoffanreicherung im See oder Seespiegelschwankungen, geben.

    Temperaturen zwischen 16 und 22 Grad

    „Zuckmückenlarven eignen sich besonders, um die vergangene Temperaturentwicklung zu rekonstruieren, da ihr Stoffwechsel, ihre Ernährung und ihre Fortpflanzung maßgeblich durch die Wassertemperatur gesteuert werden“, erklärt Doktorandin Sonja Rigterink. „Dabei vergleicht man mit statistischen Methoden die fossile Zuckmückenartenvergesellschaftung mit einem modernen Kalibrierungsdatensatz, der die Temperaturoptima der Zuckmückenarten, also den Temperaturbereich, in dem sich die jeweilige Art am wohlsten fühlt, enthält.“

    Die Analyse der fossilen Zuckmücken aus den Sedimenten der sogenannten Reinsdorf Sequenz aus Schöningen ergab jetzt, dass die Sommer zwischen 16 und 22 Grad warm waren. Dabei lagen während kalter Steppe-Phasen die Temperaturen höher als in gemäßigteren Wald-Phasen aufgrund einer ausgeprägteren Kontinentalität mit heißen Sommern und kalten Wintern. Im Vergleich zu heute waren die Temperaturen vor 300.000 Jahren damit im Schnitt zwischen 0,5 Grad niedriger und bis zu 2 Grad höher.

    Die aktuellen Forschungsergebnisse wurden kürzlich in zwei Artikeln in der Zeitschrift „Boreas“ veröffentlicht, die sich der interdisziplinären Quartärforschung widmet.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Antje Schwalb
    Technische Universität Braunschweig
    Institut für Geosysteme und Bioindikation
    Langer Kamp 19c
    38106 Braunschweig
    Tel.: 0531 391-7241
    E-Mail: antje.schwalb@tu-braunschweig.de
    www.tu-braunschweig.de/igeo

    Sonja Rigterink, M.Sc.
    Technische Universität Braunschweig
    Institut für Geosysteme und Bioindikation
    Langer Kamp 19c
    38106 Braunschweig
    Tel.: 0531 391-7274
    E-Mail: s.rigterink@tu-braunschweig.de
    www.tu-braunschweig.de/igeo


    Originalpublikation:

    Sonja Rigterink, Kim J. Krahn, Bartosz Kotrys, Brigitte Urban, Oliver Heiri, Falko Turner, André Pannes, Antje Schwalb: Summer temperatures from the Middle Pleistocene site Schöningen 13 II, northern Germany, determined from subfossil chironomid assemblages.
    In: Boreas, 15. April 2024.
    https://doi.org/10.1111/bor.12658

    Kim J. Krahn, Brigitte Urban, Sylvia Pinkerneil, David J. Horne, Mario Tucci, Andreas Koutsodendris, Antje Schwalb: Temperature and palaeolake evolution during a Middle Pleistocene interglacial–glacial transition at the Palaeolithic locality of Schöningen, Germany.
    In: Boreas, 10. Juli 2024.
    https://doi.org/10.1111/bor.12670


    Bilder

    Kopfkapsel einer Zuckmückenlarve des Typs "Microtendipes pedellus".
    Kopfkapsel einer Zuckmückenlarve des Typs "Microtendipes pedellus".
    Sonja Rigterink
    TU Braunschweig

    Blick auf die Ausgrabung am ehemaligen Tagebau Schöningen.
    Blick auf die Ausgrabung am ehemaligen Tagebau Schöningen.
    Sonja Rigterink
    TU Braunschweig


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Geschichte / Archäologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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