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Wunder-Organismus Flechte: Forschende der Hochschule Kaiserslautern finden einen ungeahnten Schatz aus symbiotischen Cyanobakterien.
Von Michael Lakatos & Patrick Jung
Die meisten Organismen auf der Welt leben mehr oder weniger in Gemeinschaften mit anderen Organismen. Sie unterstützen sich gegenseitig bei der Nährstoffgewinnung und im Kampf ums Überleben. Auch Pilze sind Teil dieses Netzwerks. Sie leben in Symbiose mit Algen oder Cyanobakterien. Als sogenannte Flechten besiedeln sie extreme Standorte, an denen Pflanzen nicht überleben können. Ein internationales Team der Hochschule Kaiserslautern hat nun eine verblüffende Vielfalt dieser Pilzpartner entdeckt.
Von der eisigen Antarktis bis zur trockenen Atacama-Wüste besiedeln Flechten weltweit Extremstandorte. Sie überleben bei diesen schwierigen Bedingungen, indem sie die Aufgaben auf verschiedene ebenfalls austrocknungstolerante Organismen verteilen. Im Zentrum dieser Arbeitsteilung im Symbiose-Organismus Flechte steht ein Pilz, meist ein Schlauchpilz. 90 % davon gehen eine Verbindung mit Grünalgen ein und 10 % mit einem Cyanobakterium. Manche Flechten beherbergen sogar beide Algen gleichzeitig. Inzwischen weiß man, dass diese Kombination aus Pilz und Alge – Flechtenthallus genannt – auch Lebensraum für eine Vielzahl anderer Organismen bietet. Dazu gehören beispielsweise Bakterien und Pilze, sodass eine Flechte ein miniaturisiertes Ökosystem darstellt.
Kaum erforscht waren bisher in diesem Zusammenhang einzellige Cyanobakterien, welche als Symbiosepartner (Cyanobionten) spezieller Flechten leben. Cyanobakterien – früher oft Blaualgen genannt – haben vor etwa 3,5 Milliarden Jahren die Fotosynthese hervorgebracht. Diese ist sowohl für die heutige Pflanzenvielfalt als auch für den Sauerstoff in unserer Atmosphäre verantwortlich. Außerdem stellen sie eine der ältesten Symbionten dar, die über die Fotosynthese Zucker an ihre Symbiosepartner liefern. Bei Beginn der Erforschung dieser Cyanobakterien-Flechten waren kaum einzellige Cyanobakterien bekannt oder standen den Forschenden gar als isolierte Organismen zur Verfügung. Dies lag vor allem an diversen Schwierigkeiten, die kugeligen Cyanobionten aus dem Flechtenthallus zu isolieren, sie aufzuziehen und aufgrund ihres Aussehens oder Erbgutes zu charakterisieren. Bisher kam es deswegen zu zahlreichen Missinterpretationen.
Mit einer internen Forschungsförderung der Hochschule Kaiserslautern hat nun das Team um Dr. Patrick Jung, Dr. Laura Briegel-Williams und Dr. Michael Lakatos ein internationales Netzwerk aufgebaut. So gelingt es Cyanoflechten aus der ganzen Welt zu sammeln. Mit neuen selbst entwickelten Methoden haben die Forschenden die Cyanobionten, besonders die einzelligen, isoliert und anhand der DNA sowie der Beobachtung verschiedener Lebensstadien charakterisiert. Völlig überraschend war die große Vielfalt, die die Forschenden dabei entdeckten. Bereits in einer initialen Arbeit konnten sie neue Gattungen und Arten von Cyanobakterien beschreiben, die in Symbiose mit Flechten leben und der Fachwelt dementsprechend unbekannt waren. „Das ist sicherlich nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt Jung, der das Netzwerk leitet. „Wir haben gerade erst begonnen, uns diese spezielle Symbiose anzuschauen.“ Der erste Kickoff-Artikel des internationalen Konsortiums wurde aktuell von 23 Autoren aus 11 Ländern im Fachmagazin ISME Communications veröffentlicht. Damit zielt die Forschergemeinschaft darauf ab, die Fachwelt darüber zu informieren, dass ein wichtiger Aspekt der vielfältigen Cyanobakterien –nämlich einzellige in Symbiose lebende Cyanobakterien – bisher völlig übersehen wurde.
Ebenso spannend sind die Stoffwechselleistungen, die diese Organismen besitzen. Denn durch die Symbiose zwischen Pilzpartner und Algenpartner werden im Laufe der Evolution auch Gene ausgetauscht. Dies führt zu ganz neuen Stoffwechselwegen und damit zu neuen Enzymen und Wertstoffen. „Mit diesem Projekt zeigen wir nicht nur die häufig unterschätzte Biodiversität unserer Organismenwelt auf, sondern auch den verborgenen Schatz, der in den biotechnologischen Potenzialen dieser Organismen schlummert“, so Lakatos, Leiter der Arbeitsgruppe Integrative Biotechnologie an der Hochschule Kaiserslautern.
Diese Forschung zeigt nicht nur die unterschätzte Biodiversität, sondern auch das biotechnologische Potenzial dieser Organismen. Cyanobionten könnten zukünftig Wirkstoffe und Wertstoffe sowie Enzyme für die Biotechnologie liefern. Neben Antibiotika, antiviralen Substanzen geht es auch um abbaubare und biokompatible Kunststoffe. Die Ergebnisse eröffnen neue Horizonte sowohl in der biologischen Vielfalt als auch in der Biotechnologie und versprechen viele weitere spannende Entdeckungen.
Dr. Patrick Jung ++ Hochschule Kaiserslautern, Fachbereich Angewandte Logistik- und Polymerwissenschaften ++ E-Mail: patrick.jung@hs-kl.de ++ Tel. 0631/3724- 7098
Jung, Patrick; Briegel-Williams, Laura; Büdel, Burkhard; Schultz, Matthias; Nürnberg, Dennis J.; Grube, Martin et al. (2024): The underestimated fraction: diversity, challenges and novel insights into unicellular cyanobionts of lichens. In: ISME communications 4 (1), ycae069. DOI: 10.1093/ismeco/ycae069.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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