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04.09.2024 17:46

Epigenetische Veränderungen programmieren Astrozyten zu Hirnstammzellen um

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Hirnstammzellen unterscheiden sich kaum von den normalen Astrozyten des Gehirns. Wie können nahezu identische Zellen so unterschiedliche Funktionen wahrnehmen? Der Schlüssel liegt in der Methylierung ihres Erbguts, die Stammzell-Eigenschaften verleiht. Das veröffentlichen Forschende vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Universität Heidelberg in "Nature". Sie zeigten an Mäusen, dass experimentell ausgelöster Durchblutungsmangel im Gehirn die Astrozyten epigenetisch zu Hirnstammzellen umprogrammiert, die wiederum Nervenvorläufer hervorbringen können. Astrozyten könnten möglicherweise für die regenerative Medizin genutzt werden könnten, um geschädigte Nervenzellen zu ersetzen.

    Im Gehirn arbeiten viele verschiedene Zellarten zusammen. Bei Menschen machen die Nervenzellen (Neuronen) weniger als die Hälfte der Zellen aus. Der Rest wird als „Glia“ bezeichnet. Die häufigsten Gliazellen sind Astrozyten. Sie versorgen die Neuronen mit Nährstoffen, bilden einen Teil der Blut-Hirn-Schranke, regulieren die Synapsen und unterstützen die Abwehrzellen.

    Ein kleiner Anteil der Astrozyten ist jedoch in der Lage, Nervenzellen und andere Arten von Gehirnzellen hervorzubringen. Diese speziellen Astrozyten werden daher auch als Hirnstammzellen bezeichnet. Hirnstammzellen und gewöhnliche Astrozyten unterscheiden sich kaum in ihrer Genexpression, also in der Aktivität ihrer Gene. „Wie sie so unterschiedliche Funktionen ausüben können und was die Stammzell-Eigenschaften ausmacht, war bislang völlig unklar“, erklärt Ana Martin-Villalba, Stammzellforscherin am DKFZ.

    Methylierung ist der Schlüssel

    Um dieses Rätsel zu lösen, isolierten die Teams um Martin-Villalba und Simon Anders vom BioQuant-Zentrum der Universität Heidelberg sowohl gewöhnliche Astrozyten als auch Hirnstammzellen aus einer der Regionen des Gehirns, in der auch bei ausgewachsenen Mäusen noch junge Neuronen entstehen, der „ventrikulär-subventrikulären Zone“ (vSVZ). Die Forschenden analysierten dazu auf Ebene einzelner Zellen die Genexpression durch mRNA-Sequenzierung sowie die Muster der Methylierung („Methylom“) im gesamten Erbgut. Dabei half ein eigens entwickeltes Tool zur Analyse der Methylierungsdaten*.

    Unter DNA-Methylierung versteht man chemische „Markierungen“, mit denen die Zelle ungenutzte Teile ihrer DNA abschalten kann. Dadurch ist die Methylierung entscheidend für die Identität der Zellen.

    Den Stammzellexperten fiel bei dieser Untersuchung auf, dass Hirnstammzellen ein besonderes DNA-Methylierungsmuster aufweisen, dass sie von anderen Astrozyten unterscheidet. „Anders als bei gewöhnlichen Astrozyten sind in Hirnstammzellen bestimmte Gene demethyliert, die sonst nur von Nervenvorläuferzellen verwendet werden. Dadurch ist es den Hirnstammzellen möglich, diese Gene zu aktivieren, um selbst Nervenzellen hervorzubringen“, erklärt Lukas Kremer, Erstautor der aktuellen Publikation. Ko-Erstautor Santiago Cerrizuela ergänzt: „Dieser Weg ist gewöhnlichen Astrozyten verwehrt, da die erforderlichen Gene durch DNA-Methylierung blockiert werden.“

    Mangeldurchblutung löst Umprogrammierung von Astrozyten zu Stammzellen aus und steigert Nerven-Neubildung

    Könnten sich durch Methylierung auch in anderen Regionen des Gehirns, außerhalb der vSVZ, Astrozyten zu Hirnstammzellen umwandeln lassen? „Das wäre ein wichtiger Schritt für die regenerative Medizin, um geschädigte Hirnareale wieder zu reparieren“, sagt Ana Martin-Villalba.

    Ältere Studien hatten bereits gezeigt, dass Durchblutungsmangel, wie er beispielsweise bei Hirnverletzungen oder Schlaganfällen auftritt, die Anzahl der neugeborenen Nervenzellen steigert. Spielen dabei veränderte Methylierungsprofile eine Rolle? Um das zu untersuchen, unterbrachen die Forschenden bei Mäusen für kurze Zeit die Blutversorgung des Gehirns. Wenig später ließen sich auch außerhalb der vSVZ Astrozyten mit dem typischen Stammzell-Methylierungsprofil nachweisen, außerdem eine erhöhte Anzahl von Nervenvorläuferzellen.

    „Unsere Theorie ist, dass normale Astrozyten im gesunden Gehirn keine Nervenzellen bilden, weil ihr Methylierungsmuster sie daran hindert“, erklärt Studienleiterin Martin-Villalba. „Techniken zur gezielten Veränderung des Methylierungsprofils könnten einen neuen therapeutischen Ansatz darstellen, um neue Neuronen zu erzeugen und Nervenerkrankungen zu behandeln.“

    „Der Durchblutungsmangel bewirkt offenbar, dass Astrozyten in bestimmten Bereichen des Gehirns die Methylmarkierungen auf ihrer DNA so umverteilen, dass ihr Stammzellen-Programm zugänglich wird. Daraufhin beginnen sich die umprogrammierten Zellen zu teilen und Vorläufer für neue Neuronen zu bilden“, fasst Simon Anders zusammen und ergänzt: „Wenn wir diese Vorgänge besser verstehen, können wir möglicherweise in Zukunft die Bildung neuer Neuronen gezielt stimulieren. So könnten wir z.B. nach einem Schlaganfall die Selbstheilungskräfte des Gehirns, die im Normalfall einfach nicht genügend zum Einsatz zu kommen scheinen, so stärken, dass der Schaden repariert werden kann“.

    Warum für diese Forschung Untersuchungen an Mäusen notwendig sind

    Schlaganfälle oder Unfälle können zu Schädigung des Gehirns führen, die derzeit nicht reparabel sind und für die Betroffenen oft dramatische Folgen haben. Stand heute gibt es keine Möglichkeit, einmal verlorene Nervenzellen zu ersetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, Möglichkeiten zu finden, auch im erwachsenen Gehirn die Regeneration von Nerven anzuregen.
    Das erfordert ein tiefgreifendes Verständnis dafür, wie und unter welchen Umständen die Hirnstammzellen dazu gebracht werden können, für Nachschub an jungen Nervenzellen zu sorgen. Die Forschenden müssen dafür Entwicklungsvorgänge beobachten, die nur im Gehirn höher entwickelter Säugetiere stattfinden. Die epigenetische Umprogrammierung lässt sich nicht durch bildgebende Verfahren am lebenden Tier mitverfolgen, sondern erfordern Untersuchungen auf der Ebene einzelner Zellen. Die Untersuchungen können nicht an Zellen aus der Kulturschale durchgeführt werden, denn das Methylierungsprofil der Astrozyten verändert sich, sobald sie in Kultur genommen werden, so dass sich die epigenetischen Veränderungen nicht mehr nachvollziehen lassen.

    Lukas PM Kremer, Santiago Cerrizuela, Hadil El-Sammak, Mohammad E Al Shukairi, Tobias Ellinger, Jannes Straub, Aylin Korkmaz, Katrin Volk, Jan Brunken, Susanne Kleber, Simon Anders, Ana Martin-Villalba: DNA methylation controls stemness of astrocytes in health and ischemia.

    Nature 2024, DOI: 10.1038/s41586-024-07898-9
    * Lukas PM Kremer, Martina M Braun, Svetlana Ovchinnikova, Leonie Küchenhoff, Santiago Cerrizuela, Ana Martin-Villalba, Simon Anders: Analyzing single-cell bisulfite sequencing data with MethSCAn.
    Nature Methods 2024, DOI: 10.1038/s41592-024-02347-x

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

    Ansprechpartner für die Presse:

    Dr. Sibylle Kohlstädt
    Pressesprecherin
    Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
    Deutsches Krebsforschungszentrum
    Im Neuenheimer Feld 280
    69120 Heidelberg
    T: +49 6221 42 2843
    F: +49 6221 42 2968
    E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
    E-Mail: presse@dkfz.de
    www.dkfz.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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