idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
25.09.2024 09:46

Wahrnehmungsstörung Neglect nach Schlaganfall: Neuropsychologen helfen mit neuer Online-Therapie

Friederike Meyer zu Tittingdorf Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Wenn das menschliche Gehirn durch einen Schlaganfall oder eine Kopfverletzung Schaden nimmt, kann es passieren, dass die betroffene Person nur noch einen Teil der Außenwelt oder ihres eigenen Körpers wahrnimmt. Diese Erkrankung wird als Neglect bezeichnet. Die Patienten haben dann Probleme, mehrere Dinge oder Personen gleichzeitig visuell zu erfassen. Neuropsychologen der Universität des Saarlandes haben jetzt eine Therapie entwickelt, mit der den Betroffenen dies nach kurzer Zeit wieder gelingt.

    Die neue Therapie wurde in der Saarbrücker Hochschulambulanz für Neuropsychologie getestet und kann auch zu Hause online durchgeführt werden. Sie wird vielen Patienten dabei helfen, sich wieder im Alltag zurechtzufinden. Allein in Deutschland leiden schätzungsweise fünfzigtausend Menschen pro Jahr an dem Neglect-Syndrom, das meist durch einen Schlaganfall verursacht wird. Es wirkt sich auf viele Alltagsbereiche aus, besonders häufig und anhaltend ist dabei die beschriebene Unfähigkeit der Betroffenen, mehrere Dinge gleichzeitig visuell zu erfassen. Sie können die Gegenstände oder Personen mit ihren Augen sehen, aber es gelingt ihnen nicht, diese Informationen im Gehirn zu verarbeiten. „Für verschiedene Symptome der akut an einem Neglect erkrankten Menschen gibt es bereits wirksame Behandlungen, nicht jedoch für chronische Restsymptome des Neglects wie diese häufig auftretende Wahrnehmungsstörung“, erklärt Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes.

    Sein Team hat in zwei verschiedenen Studien jeweils 23 bzw. acht Patientinnen und Patienten mit dieser Symptomatik über mehrere Wochen mit der neu entwickelten Therapie behandelt. „Schon nach etwa 18 Therapiestunden konnten alle Betroffenen wieder besser mehrere visuelle Dinge gleichzeitig erfassen, wie etwa verschiedene Gegenstände oder Personen auf einem Bild“, erläutert Professor Kerkhoff. Die Studienteilnehmer nahmen diese Fortschritte auch selbst wahr, da sie sich wieder sicherer im Alltag fühlten und sich auch wieder besser zurechtfanden. Zwei Drittel der Betroffenen konnten nach der Behandlung in ihren früheren Beruf zurückkehren.

    „Das Besondere an unserer Therapie ist, dass die Betroffenen eine neue Blickstrategie schrittweise erlernen, mit der sie visuelle Reize im gesamten Gesichtsfeld schneller erfassen. Erst werden ihnen verschiedene Reize nacheinander angezeigt, dann in immer kürzeren Abständen, am Ende fast gleichzeitig“, erklärt der Forscher. Die Patientinnen und Patienten wurden für die Studien in der Neuropsychologischen Hochschulambulanz an der Universität des Saarlandes behandelt. Das neue Programm kann aber auch als Home-Training verwendet werden, wenn Betroffene in abgelegenen ländlichen Regionen wohnen oder keinen Behandlungsplatz für diese Therapie bekommen. Für die Therapie zu Hause ist lediglich ein PC mit einem Internetzugang nötig.

    „Mit dieser neuen Form der ‚hybriden‘ Therapie des Rest-Neglects könnten in Zukunft noch viel mehr Betroffene behandelt werden. Da jährlich mehrere zehntausend Patienten unter dieser Wahrnehmungsstörung leiden, liegt hier ein enormes Potential, damit diese Menschen wieder ins Berufsleben zurückkehren können“, sagt Georg Kerkhoff.

    Die Ergebnisse der Studien hat Georg Kerkhoff, Professor für Neuropsychologie der Universität des Saarlandes, gemeinsam mit Julian Poschenrieder von der Technischen Universität München sowie Antje Kraft vom Zentrum für ambulante Neuropsychologie und Verhaltenstherapie in Berlin in den Fachzeitschriften „Zeitschrift für Neuropsychologie“ sowie „Neurologie & Rehabilitation“ veröffentlicht.

    Originalpublikationen:

    Hinweis für Hörfunk-Journalisten:
    Sie können Telefoninterviews in Studioqualität mit Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes führen, über Rundfunk-Codec (IP-Verbindung mit Direktanwahl oder über ARD-Sternpunkt 106813020001). Interviewwünsche bitte an die Pressestelle (0681 302-2601) richten.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Univ.-Prof. Dr. Georg Kerkhoff
    Klinische Neuropsychologie / Neuropsychologische Hochschulambulanz
    Universität des Saarlandes
    Tel.: +49 681 302-57380
    E-Mail: kerkhoff@mx.uni-saarland.de


    Originalpublikation:

    Julian Poschenrieder und Georg Kerkhoff: Neuro-Vision-Training (NVT): Ein hybrides KI-basiertes Trainingsprogramm für Klinik, Ambulanz, Praxis und zu Hause. Zeitschrift für Neuropsychologie, 2024. https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000399 (open access)

    Julian Poschenrieder und Georg Kerkhoff: Anti-Extinktions-Training: Eine neue Therapie der Visuellen Extinktion. Zeitschrift für Neuropsychologie, 2024, 35 (im Druck)

    Georg Kerkhoff, Julian Poschenrieder und Antje Kraft: Visuelle Extinktion nach linkshemisphärischer Läsion – Klinik und Therapie. Neurologie & Rehabilitation, 2024, 30, 148-158. https://doi.org/10.14624/NR2403004 (open access) oder Verlags-pdf: https://www.hippocampus.de/media/316/cms_66e9e13b8f76c.pdf


    Bilder

    Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes
    Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes
    Oliver Dietze
    Universität des Saarlandes

    Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes
    Georg Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie der Universität des Saarlandes
    Oliver Dietze
    Universität des Saarlandes


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).