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07.10.2024 10:57

Screening per Darmspiegelung: Unterschätzte Effekte durch verzögerte Krebsregistrierung

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Zahlreiche Untersuchungen haben den Nutzen der Darmspiegelung (Koloskopie) als Darmkrebsvorsorge dokumentiert. Auch die bislang einzige kontrollierte Langzeit-Studie zu dieser Frage belegt die Wirksamkeit, allerdings waren die berichteten Effekte geringer als erwartet. Epidemiologen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zeigen, dass die Effekte der Koloskopie in dieser Studie wahrscheinlich erheblich unterschätzt wurden. Ein wesentlicher Grund ist die verzögerte Erfassung der Krebsfälle in den Krebsregistern.

    Randomisierte kontrollierte Studien gelten als Goldstandard in der klinischen Forschung. Verglichen werden zwei nach dem Zufallsprinzip zusammen gestellte Gruppen mit ähnlichen Merkmalen. Bei einer der beiden Gruppen – nicht jedoch bei der Kontrollgruppe – erfolgt die zu prüfende Intervention, eine bestimmte Therapie, zum Beispiel, oder eine Vorsorgeuntersuchung wie in diesem Fall.

    NordICC: wichtige Studie mit Schwachpunkten

    Mit Spannung waren vor diesem Hintergrund die Ende 2022 veröffentlichten Ergebnisse der NordICC-Studie erwartet worden, der ersten kontrollierten randomisierten Langzeit-Studie zur Effektivität der Darmspiegelung als Darmkrebsvorsorge.

    Insgesamt 85.179 Männer und Frauen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren, bei denen keine Darmkrebs-Diagnose bestand, wurden in den nationalen Registern von Polen, Norwegen und Schweden für die NordICC-Studie rekrutiert. Nach dem Zufallsprinzip wurden sie zwei Gruppen zugeteilt: Ein Drittel der Studienteilnehmer erhielten eine Einladung zu einer einzelnen Vorsorge-Koloskopie, zwei Drittel erhielten keine Einladung. Dann wurde anhand entsprechender Meldungen in den nationalen Krebsregistern verglichen, wie viele Personen in den beiden Gruppen jeweils neu an Darmkrebs erkrankten, was Rückschlüsse auf die Effektivität des Screening-Angebots erlaubt.

    Wie erwartet, waren die Darmkrebsraten in der Interventionsgruppe signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe. Allerdings war der berichtete präventive Effekt – verglichen mit den Beobachtungen in zahlreichen früheren Studien – weniger ausgeprägt.

    Woran kann das liegen? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seither intensiv. Hermann Brenner, Epidemiologe am DKFZ, hat bereits einige methodische Schwächen der NordICC-Studie aufgedeckt, und er setzt jetzt noch eins drauf. Bei der Erfassung neuer Krebserkrankungen in den Krebsregistern kommt es erfahrungsgemäß häufig zu Verzögerungen. Diese Verzögerung könnte – wie Brenner und Mitarbeiter in einer aktuellen Analyse zeigen – ein weiterer Grund dafür sein, dass die Effektivität der Koloskopie in der NordICC-Studie erheblich unterschätzt wurde.

    Register hinken hinterher

    Aus früheren Studien war bekannt, dass bei der Erfassung neuer Krebserkrankungen in nationalen Krebsregistern einige Zeit – größenordnungsmäßig durchschnittlich rund zwei Jahre - zwischen Diagnosestellung und Registrierung vergeht. Auch in der NordICC Studie mussten 221 Teilnehmer nachträglich ausgeschlossen werden, weil ihre bereits vor der Randomisierung diagnostizierten Darmkrebserkrankungen erst nachträglich in den Registern erfasst wurden.

    Es ist davon auszugehen, dass die Erfassung der Darmkrebserkrankungen über die Krebsregister auch im Follow-up der NordICC-Kohorte durch Verzögerungen der Registrierung hinterherhinkte. Bei einer durchschnittlich zweijährigen Verzögerung läge die tatsächliche Nachbeobachtungszeit nicht bei zehn, sondern eher nur bei acht Jahren.
    Dies gilt gleichermaßen für die Interventions- wie für die Kontrollgruppe – doch die Darmkrebsinzidenz entwickelt sich bei beiden Gruppen unterschiedlich, so dass die Differenz mit längerer Nachverfolgungszeit immer ausgeprägter wird. Der tatsächlich festgestellte Screening-Effekt entspricht also eher dem Wert eines Follow-ups von ca. acht und nicht von zehn Jahren und unterschätzt daher die Risikoreduktion deutlich.

    „Wenn man diese Verzögerungen in der Analyse der Studie angemessen berücksichtigt“, betont Hermann Brenner, „so kommt man zu vergleichbar starken Effekten, wie man sie in klinischen und epidemiologischen Studien seit langem beobachtet hat.“

    Brenner H, Thomas Heisser, Michael Hoffmeister: Delayed Cancer Registration and Estimation of Screening Colonoscopy Effects. JAMA Network Open 2024, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39352704/

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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