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31.10.2024 12:31

Eine Geschichte der Leerstellen

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    „Nichts“, antwortet Historiker Achim Landwehr gerne auf die Frage, woran er gerade arbeitet. Augenzwinkernd, aber durchaus der Wahrheit entsprechend: Der Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Konstanz beschäftigt sich nämlich mit geschichtlichen Lücken und Leerstellen.

    Rufen wir die letzten 24 Stunden ab, wie gut gelingt uns das – und wo bleiben Lücken in der Erinnerung? Wie viel schwieriger wird die Sache, wenn es um die letzten 10, 100, 500 Jahre geht? Bei Zeiten, die uns nicht mehr unmittelbar zur Verfügung stehen, sind Leerstellen laut Frühneuzeithistoriker Achim Landwehr der Normalfall. Vergessen, Verlust, Überlieferungslücken unvermeidbar. „Was uns übrig bleibt, ist nicht etwa die Spitze des Eisbergs, sondern eher eine kleine Schneekuppe auf der Spitze des Eisbergs“, so stellt Landwehr es dar.

    Wie kommt ein Geschichtswissenschaftler dazu, sich ausgerechnet mit Leerstellen zu beschäftigen? Kalender aus dem 17. Jahrhundert weckten die Neugier von Landwehr. Als billige Massenmedien wurden sie damals millionenfach verkauft. Jeder Haushalt hatte so einen Kalender, der jedoch ganz anders aussah als heute: Vollgestopft mit Informationen sagten Kalender für ein Jahr voraus, was passieren würde – bezüglich Wetter oder Planetenkonstellationen beispielsweise – und gaben Tipps, wann man Haare schneiden oder die Ernte einfahren sollte. Überrascht stellt der Historiker fest: In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts leeren sich diese Kalender, außer dem Datum enthalten sie zuletzt nichts mehr. Weshalb?

    „Mein Verdacht war“, führt der Wissenschaftler aus, „dass hinter dieser banalen medialen Entwicklung mehr steckt. Dass sich darin eine andere Einstellung zur Zeit zeigt, ein anderer Umgang mit Zeit und, wenn man so will, ein anderer Umgang mit Welt. Wenn nicht mehr die Vorstellung herrscht, dass alles schon im göttlichen Schöpfungsplan steht, ist Zeit auf einmal nicht mehr vorherbestimmbar. Damit kann sie aber zu einer bewirtschaftbaren Größe werden. Diese leeren Kalender fordern dazu auf: Befülle mich.“

    Weshalb fallen in dieselbe Zeit naturwissenschaftliche Experimente zum Vakuum? Was ist die größte Leerstelle des 17. Jahrhunderts? Und wie gingen Menschen in der Vergangenheit mit Leerstellen um? Unser Hintergrundbeitrag „Nichts als Leere“ gibt Einblick in das ungewöhnliche Forschungsgebiet des Frühneuzeithistorikers Achim Landwehr.

    Landwehr sagt: „Wir Menschen arbeiten also permanent mit Leerstellen, sind ständig dabei, diese Kalenderseiten wieder zu füllen. Dabei wissen wir aber, dass einige dieser Seiten permanent leer bleiben werden. Vergangenes lässt sich nicht eins zu eins rekonstruieren. Und bei allen modernen Prognosemöglichkeiten sind uns deren Grenzen bewusst.“


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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