idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
06.11.2024 20:00

Älteste Darstellungen von Fischfang: Eiszeitliche Schieferplatten offenbaren 15.800 Jahre alte Gravuren von Fischfallen

Christina Nitzsche Arbeitsbereich Kommunikation
Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)

    Am eiszeitlichen Fundplatz Gönnersdorf bei Neuwied am Rhein haben Forschende des Archäologischen Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS, einer Einrichtung des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA), zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Durham in England eine bedeutende Entdeckung gemacht: Mithilfe moderner Bildgebungsmethoden wurden detailreiche Gravierungen von Fischen auf Schieferplatten sichtbar, die von gitterähnlichen Mustern überlagert sind.

    Diese Muster lassen sich am besten als Darstellungen von Netzen oder Fischfallen interpretieren und liefern erstmals einen archäologischen Hinweis auf frühe Fischfangtechniken in der Spätphase der jüngeren Altsteinzeit (ca. 20.000–14.500 v. Chr.). Die Gravuren erweitern das bekannte Repertoire der eiszeitlichen Kunst um praktische und symbolische Elemente und deuten darauf hin, dass die Fischerei auch eine soziale Komponente im Leben der Jäger- und Sammlergesellschaften dieser Zeit hatte.

    Der eiszeitliche Fundplatz von Neuwied-Gönnersdorf gehört zu den bedeutendsten und reichsten späteiszeitlichen Fundstellen Europas und birgt künstlerische Schätze aus der Vorzeit: Hunderte, meist kleine, flache Schieferplatten zeigen Bilder von Beutetieren wie Wildpferden, Wollnashörnern, Rentieren und Mammuts – Tiere, die für das Überleben der späteiszeitlichen Menschen, die den Lagerplatz vor 15.800 Jahren bewohnten, von entscheidender Bedeutung waren. Zusätzlich zu diesen detaillierten Abbildungen haben mehrere Hundert Gravuren von stark stilisierten Frauenfiguren die Fundstelle weltberühmt gemacht. Nun liefert sie auch den frühesten bekannten Nachweis über steinzeitliche Fischfangtechniken.

    Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wurden mehrere Fischdarstellungen entdeckt, die von gitterartigen Mustern überzogen sind. Diese Muster werden als Fischnetze oder -fallen interpretiert. Zwar ist bekannt, dass Fische zur Nahrung altsteinzeitlicher Jäger und Sammler gehörten, doch fehlten bislang Nachweise darüber, wie die Fische gefangen wurden.

    Damit stellen die Gönnersdorfer Gravierungen die frühesten bekannten Darstellungen von Netz- oder Fallenfischerei in der europäischen Urgeschichte dar und machen einmal mehr deutlich, dass Technologien, die nur selten in archäologischen Fundkontexten erhalten bleiben, deutlich ältere Ursprünge haben mögen, als allgemein angenommen.

    Die Untersuchungen zur Bedeutung der Schieferplatten und ihrer Nutzung im Alltag der eiszeitlichen Jäger und Sammler sind eingebettet in ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt zwischen den Fachbereichen Archäologie und Psychologie der Universität Durham sowie MONREPOS. Finanziert durch eine gemeinsame Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Arts and Humanities Research Council (AHRC) vereint das Forschungsteam Expertise aus Archäologie und visueller Psychologie. Mithilfe von neusten Bildgebungstechniken wie dem Reflectance Transformation Imaging (RTI) untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Wechselspiel von visueller Wahrnehmung und der Gestaltung und Nutzung von Kunstobjekten im Kontext späteiszeitlicher Alltagsumgebungen.

    So beginnen die Forschenden aktuell durch die Untersuchung der Beschaffenheit der Schnittmarken, einzelne Künstler und deren spezifische „Stile“ zu identifizieren. Darüber hinaus scheinen die Formen und Oberflächenstrukturen der Schieferplatten nicht selten die Motivwahl und -platzierung beeinflusst zu haben – ein Phänomen, das als Pareidolie bekannt ist. Dabei interpretiert das Gehirn natürliche Formen, wie die der Platten, als bedeutungsvolle Objekte, ähnlich wie wir gelegentlich Gesichter in Wolken erkennen.
    Die Fischgravuren zeigen, dass die Fischerei in symbolische und soziale Praktiken integriert war, und erweitern das bekannte Repertoire der Darstellungen in der eiszeitlichen Kunst, in der, neben der Darstellung der Tiere selbst, auch ihre Ausbeutungsstrategien künstlerisch umgesetzt wurden.

    Wissenschaftlicher Kontakt
    Dr. Jérôme Robitaille
    Wissenschaftlicher Mitarbeiter in MONREPOS und Studienkoordinator
    Tel.: +49 (0) 2631 9772 244 | Mail: jerome.robitaille@leiza.de

    Pressestelle LEIZA | Leibniz-Zentrum für Archäologie
    Christina Nitzsche M.A.
    Tel.: +49 (0) 6131 / 88 85-179 | E-Mail: christina.nitzsche@leiza.de

    MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution

    MONREPOS ist Museum und Forschung zugleich. Es ist eine Einrichtung des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA), das seinen Sitz in Mainz hat, und befindet sich im Schloss Monrepos bei Neuwied. Seit über 35 Jahren widmet sich das Zentrum der Forschung und der Vermittlung. Das Forschungszentrum und Museum ist eng mit dem Arbeitsbereich Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie am Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verbunden.
    Unser Forschungsinhalt ist das millionenschwere Erbe, das wir in uns tragen. Denn über mehr als 2,6 Mio. Jahre hat sich unser menschliches Verhalten entwickelt. Diese frühe Menschheitsgeschichte umfasst den längsten und zugleich prägendste Abschnitt unserer Verhaltensevolution, deren Erforschung sich MONREPOS verschreiben hat. Unsere Archäologie lebt vom Miteinander, vom Fragen, Anstoßen, Diskutieren. Nicht zuletzt von der Kritik und von Toleranz. Sie braucht Neugierige, Kreative und Mutige - ob in Wissenschaft, Ehrenamt, Presse oder als Besucher. MONREPOS versteht sich als Plattform all derer, die verstehen möchten, woher der Mensch kommt und was ihn eint.

    Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)

    Das LEIZA erforscht als Leibniz-Forschungsinstitut und -museum für Archäologie den Menschen und seine Entwicklung auf Basis materieller Hinterlassenschaften aus drei Millionen Jahren zeit- und raumübergreifend. Die daraus gewonnenen grundlegenden Erkenntnisse verhelfen zum besseren Verständnis menschlichen Verhaltens und Handelns und der Entwicklung von Gesellschaften. Damit bereichert das LEIZA das Wissen zum Menschen um die archäologische Perspektive und schafft wesentliche Grundlagen für die Reflexion der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft. Mit der Archäologie versteht das LEIZA den Menschen in den Zusammenhängen und teilt die gewonnenen Erkenntnisse im internationalen Dialog. Das LEIZA ist weltweit tätig und betreibt bislang erfolgreich und umfassend Forschungen in verschiedenen Regionen Afrikas, Asiens und Europas. Die einzigartige Konzentration archäologischer, naturwissenschaftlicher, restauratorischer und informationstechnologischer Kompetenzen verbunden mit bedeutenden Werkstätten, Laboren und Archiven erlaubt es dabei, objektorientierte Forschung zur Archäologie der Alten Welt (Asien, Afrika, Europa) von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit zu betreiben. Als eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das LEIZA exzellente Wissenschaft mit Ausstellungen und ist mit seinem Bildungsauftrag gleichzeitig ein Ort des Dialoges mit der Öffentlichkeit.
    Bis zur Umbenennung zum 1. Januar 2023 war das LEIZA international bekannt als Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM) und wurde im Jahr 1852 auf Beschluss der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Mainz gegründet. Seit 2024 ist das LEIZA an insgesamt vier Standorten in Deutschland vertreten: Mainz, Neuwied, Mayen und Schleswig.
    www.leiza.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Jérôme Robitaille
    Wissenschaftlicher Mitarbeiter in MONREPOS und Studienkoordinator
    Tel.: +49 (0) 2631 9772 244 | Mail: jerome.robitaille@leiza.de


    Originalpublikation:

    Robitaille et al. 2024
    Robitaille J, Meyering L-E, Gaudzinski-Windheuser S, Pettitt P, Jöris O, Kentridge R (2024) Upper Palaeolithic fishing techniques: Insights from the engraved plaquettes of the Magdalenian site of Gönnersdorf, Germany. PLoS ONE 19(11): e0311302. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0311302


    Weitere Informationen:

    https://www.leiza.de/presse/details-pressmeldungen/aelteste-darstellungen-von-fi... Pressemitteilung auf leiza.de


    Bilder

    Eine Schieferplatte vom steinzeitlichen Fundplatz Gönnersdorf zeigt eine Fischfalle. Der Fisch wurde zuerst eingraviert und dann mit einem Netz aus Linien versehen.
    Eine Schieferplatte vom steinzeitlichen Fundplatz Gönnersdorf zeigt eine Fischfalle. Der Fisch wurde ...
    Robitaille et al.
    Robitaille et al., 2024, PLOS ONE, CC-BY 4.0


    Anhang
    attachment icon Pressemitteilung als PDF

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Kooperationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).