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Wissenschaft
Deuterium, ein Isotop des Wasserstoffs, hat eine große Bedeutung zum Beispiel in der Wirkstoffforschung. Wird der Wasserstoff durch Deuterium ersetzt, verbleiben die Moleküle länger am Wirkort und ihr Weg durch den Körper ist nachvollziehbar – für eine gute Diagnostik unerlässlich. Ein Team um Tanja Gulder, Professorin für Organische Chemie an der Universität des Saarlandes, hat nun einen schonenden und nachhaltigen Weg entdeckt, um Deuterium in solche Moleküle einzubauen – und zwar aus Zufall. Ihre Erkenntnisse wurden im Fachjournal „Angewandte Chemie“ veröffentlicht.
Kollege Zufall – oder etwas gewählter ausgedrückt: Serendipität – spielt in der Wissenschaft eine große Rolle. Das Penicillin etwa wurde zufällig entdeckt und revolutionierte die Medizin im 20. Jahrhundert. Mikrowellenherde, Röntgenstrahlung und viele andere umwälzende Entdeckungen: Sie alle gehen letztendlich darauf zurück, dass ihre Entdecker eigentlich etwas ganz anderes gesucht haben und dabei beobachtet haben, dass die Pilzkulturen Bakterien abtöten oder die Strahlung Gewebe durchleuchten oder Essen erwärmen kann.
Eine ähnliche Erfahrung hat nun auch Tanja Gulder gemacht. Die Professorin für Organische Chemie an der Universität des Saarlandes war auf der Suche nach einer Methode, Wasserstoff-Atome an bestimmten Stellen von organischen Molekülen durch Deuterium, einem natürlichen und stabilen Isotop des Wasserstoffs, zu ersetzen. Und wie der Zufall es will, hat sie eine Methode entdeckt, dies ebenso elegant wie wirkungsvoll zu tun. Dazu später mehr.
Zuerst einmal zur Rolle des Deuteriums anstelle des Wasserstoffs in Kohlenstoffverbindungen. „Deuterium ist in der Wirkstoff-Forschung sehr wichtig“, erklärt Tanja Gulder. „In den vergangenen Jahren ist dieser ‚schwere Wasserstoff‘ von zunehmender Bedeutung. Er ist zum einen sehr gut zu detektieren. Das heißt, man kann den Weg eines Wirkstoffs durch den Körper und am Wirkort sehr gut nachvollziehen“, führt die Chemikerin aus. Zudem ist die Kohlenstoff-Deuterium-Bindung stabiler als die „verwandte“ Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung. Ein Wirkstoff, der an bestimmten Stellen seines Molekülgerüsts Deuterium statt Wasserstoff aufweise, könne stärker an seinen Wirkort gebunden werden und bleibe dort auch länger aktiv, da er nicht so schnell abgebaut werde, führt die Wissenschaftlerin einen weiteren großen Vorteil von Deuterium auf.
Aber wie wird dieses in der Natur sehr selten vorkommende Isotop in Moleküle eingebaut? Die bisherige Methoden zur Darstellung Deuterium-haltiger Verbindungen sind nicht besonders schonend. „Man braucht sehr hohe Temperaturen, es kommen Säuren zum Einsatz oder es werden Edelmetalle verwendet, um Wasserstoffatome gegen Deuteriumatome auszutauschen“, fasst Tanja Gulder die bisherigen Methoden zusammen.
Was sie und ihr Team nun entdeckt haben, ist eine ebenso zufällige wie nutzbringende Methode für den Einbau von Deuterium statt Wasserstoff in organische Verbindungen. „Wir wollten mittels deuteriertem Wasser, also Wasser, bei dem statt zwei Wasserstoffatomen zwei Deuteriumatome am Sauerstoffatom binden, in fluorierten Alkoholen Deuterierungen an intakten Molekülgerüsten vornehmen. Dabei haben wir Hexafluorphosphat, ein so genanntes ‚Leitsalz‘, zur Reaktionsmischung hinzugegeben“, sagt Tanja Gulder.
Und hier kommt die „Serendipität“ ins Spiel: „Das Leitsalz wird zum Beispiel in Batterien verwendet, um den Strom fließen zu lassen. Die Verbindung tut eigentlich gar nichts, sie ist so stabil, dass sie eigentlich nicht reagiert. Wir wollten das Leitsalz verwenden, weil wir den Einbau des Deuteriums aus dem deuterierten Wasser elektrochemisch erreichen wollten, also, indem wir Strom durch das Reaktionsgemisch schicken. Dann aber haben wir festgestellt, dass die Reaktion auch geschieht, wenn gar kein Strom fließt!“ Die Schlussfolgerung von Tanja Gulder und ihrem Team: Das eigentlich nur für den Stromfluss hinzugegebene Hexafluorphosphat ermöglicht es, Deuterium in organische Verbindungen einzubauen, und zwar unter bisher ungekannten, sehr milden und einfachen Bedingungen.
„Wir haben an 57 verschiedenen Beispielen gezeigt, dass die Methode gut funktioniert“, erläutert Tanja Gulder. Von einfachen Molekülen bis hin zu Naturstoffen und Wirkstoffen aus der Pharmazie reicht die Bandbreite der Substanzen, an denen sie die Methode getestet haben. „Überall konnten wir das deuterierte Wasser auf diese Weise aktivieren. Und zwar unter nahezu idealen Bedingungen: bei Raumtemperatur, normalem Druck und nur ganz schwach sauer“, sagt die Wissenschaftlerin.
Damit reiht sich die Entdeckung ein in die große Zahl wissenschaftlicher Errungenschaften, die auf zufällige Beobachtungen zurückgehen. Die Fallhöhe von Penicillin, der Röntgenstrahlung und anderer großer Zufallsentdeckungen mag größer sein. Aber das Beispiel unterstreicht, wie wichtig es in der Wissenschaft ist, auch unerwarteten, „unerwünschten“ Beobachtungen auf den Grund zu gehen: Wer weiß schon, was dahintersteckt?
Dieses Credo hat sich auch Tanja Gulder auf die Fahnen geschrieben: „Ich ermuntere meine Studierenden und Doktoranden immer, neugierig zu bleiben und ein Experiment nicht gleich abzuräumen, wenn nicht das herauskommt, was man im Vorfeld erwartet hat.“ Denn: „Ich glaube, dass ein großer Teil der wirklich ‚coolen‘ Forschung auf Zufällen basiert“, schätzt Tanja Gulder.
Man muss sie natürlich nur erkennen.
Prof. Dr. Tanja Gulder
E-Mail: tanja.gulder@uni-saarland.de
Yang Ni, Jonathan Lebelt, Milena Barp, Florian Kreuter, Jiaye Jin, Hannah Buttkus, Martin Kretzschmar, Ralf Tonner-Zech, Knut R. Asmis, Tanja Gulder, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, e202417889.
Online: https://doi.org/10.1002/anie.202417889
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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