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Internationales Forscherteam wertet Daten zur Entlohnung von europäischen Konzernvorständen aus – Nachhaltigkeitskriterien beeinflussen nur minimal die leistungsabhängige Bezahlung
Die Auszahlung von Boni an Vorstände in großen europäischen Konzernen wird nur minimal davon beeinflusst, ob die Top-Manager im abgelaufenen Geschäftsjahr Entscheidungen zur Reduktion von Emissionen, für mehr Diversität im Unternehmen oder mehr Produktsicherheit getroffen haben. Gerade einmal fünf Prozent ihrer leistungsabhängigen Vergütung ist an verbindliche Kriterien zur Messung von nachhaltigem Verhalten der Unternehmen gekoppelt.
Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam der Universität Tübingen und der Wirt-schaftshochschule HEC in Paris durch die Auswertung eines Datensatzes zur Vergütung von 674 Führungskräften aus 73 Unternehmen, die in den beiden großen europäischen Börsenindizes EU-ROSTOXX 50 und STOXX Europe 50 gelistet sind. Die Daten erfassen den Zeitraum von 2013 bis 2020.
Die Studie stellt allerdings auch fest, dass 60 Prozent der Führungskräfte mindestens eines der sogenannten ESG-Kriterien in ihre Vergütung integriert hatten. Das Kürzel ESG steht für die englischen Begriffe „Environment“, „Social“ und „Governance“ (deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmens-führung).
„Unternehmen, Investoren und Regulierungsbehörden propagieren zunehmend das Potenzial dieser Kennzahlen bei der Vorstandsvergütung, damit die Interessen von Führungskräften mit breiteren gesellschaftlichen Zielen wie Umweltschutz und Diversität in Einklang gebracht werden“, sagt Pro-fessor Patrick Kampkötter, Co-Autor der Studie und Lehrstuhlinhaber für Managerial Accounting an der Universität Tübingen. „Doch dafür müssten sie auch tatsächliche finanzielle Anreize setzen. Das tun sie aber nicht, denn ESG-Leistungskennzahlen sind weitgehend symbolisch. Den meisten Unternehmen ist also der Schein wichtiger als echte Veränderung.“
Ob wirksame Anreize in der Vergütung gesetzt werden oder nicht, haben die Wissenschaftler durch die Unterscheidung von „verbindlichen“ und „ermessensbasierten“ ESG-Kennzahlen analysiert. Verbindliche Kennzahlen werden zu Beginn des Geschäftsjahres mit einem festgelegten Gewicht in das Vergütungspaket der Vorstände aufgenommen und bieten klare und verlässliche Ziele. Wenn eine Führungskraft diese Ziele erreicht oder übertrifft, erhält sie eine Auszahlung auf der Grundlage des vorab festgelegten Gewichts dieser Kennzahlen. Ermessensbasierte ESG-Kennzahlen hingegen sind flexibler. Aufsichtsräte oder Vergütungsausschüsse können das Gewicht oder die Bedeutung dieser Kennzahlen am Ende des Geschäftsjahres nach eigenem Ermessen anpassen, was Unsicherheit darüber schafft, inwieweit die ESG-Leistung einer Führungskraft ihre Vergütung beeinflusst. Infolgedessen fühlen sich Führungskräfte möglicherweise weniger gedrängt, diesen Zielen im Laufe des Jahres Vorrang einzuräumen.
Große Unternehmen, insbesondere im Finanzsektor, weisen laut der Studie oft eine Vielzahl von größtenteils ermessensbasierten ESG-Kennzahlen in ihren Vergütungsplänen auf, aber es fehlt ihnen an bedeutenden Gewichtungen. „Diese Kombination deutet darauf hin, dass für viele Unternehmen die Einbeziehung von ESG-Kennzahlen eine Form des „Greenwashing“ sein könnte – ein Signal für das Engagement für Nachhaltigkeit, ohne tatsächlich substanzielle Verbesserungen zu fördern oder den Aktionärswert zu opfern“, sagt Professor Matthias Efing von der Wirtschaftshochschule HEC in Paris und Co-Autor der Studie. „In der Praxis dominieren weiterhin nicht-ESG-Leistungskennzahlen wie finanzielle Ergebnisse oder Aktienkursentwicklung die Berechnung von Vorstandsboni.
Implikationen für Politik und Praxis
„Damit ESG-Kennzahlen echte unternehmerische Veränderungen bewirken können, müssen sie von einer Randnotiz in Vergütungsplänen zu einem zentralen Bestandteil der Beurteilung und Belohnung von Führungskräften werden“, so Kampkötter. „Investoren und Regulierungsbehörden könnten eine entscheidende Rolle dabei spielen, Unternehmen zu robusteren ESG-Vergütungssystemen zu drängen.“ Mehr Transparenz über das tatsächliche Gewicht von ESG-Kennzahlen und klarere Berichts-standards würden dazu beitragen, dass Unternehmen für ihre ESG-Verpflichtungen sowohl gegen-über Aktionären als auch gegenüber der Öffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden.
Prof. Dr. Patrick Kampkötter
Universität Tübingen
Lehrstuhl für Managerial Accounting
Telefon +49 7071 29-73929
patrick.kampkoetter[at]uni-tuebingen.de
Prof. Dr. Matthias Efing
HEC Paris
Finance Department
efing[at]hec.fr
Efing, Matthias and Ehmann, Stefanie and Kampkötter, Patrick and Moritz, Raphael, All Hat and No Cattle? ESG Incentives in Executive Compensation. HEC Paris Research Paper No. FIN-2024-1506, Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=4974204
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Wirtschaft
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Deutsch
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