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19.12.2024 10:39

EU-Agrarpolitik: Umgestaltung der Agrarsubventionen beeinflusst Verhältnis der Landwirt*innen zum Staat

Kathrin Anna Kirstein Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin

    Agrarpolitologen der Humboldt-Universität zeigen in einer Fallstudie, welche Folgen die Anpassungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU für die Rolle von Agrarbetrieben in der Gesellschaft haben und liefern damit auch eine Erklärung für die Bauernproteste

    Der größte Posten im Haushalt der Europäischen Union (EU) ist Jahr für Jahr mit mehr als 50 Milliarden Euro die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Der mit Abstand größte Teil davon wird für sogenannte flächenbezogene Direktzahlungen verwendet. Im Jahr 2023 flossen so 4,4 Milliarden Euro an landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Die Höhe der Zahlungen bemisst sich prinzipiell am Umfang der bewirtschafteten Fläche, sie wurde aber in den letzten Jahren darüber hinaus an verschiedene Bedingungen geknüpft: Zum einen müssen Landwirt*innen Auflagen für Umwelt- und Verbraucherschutz und die Tiergesundheit erfüllen, zum anderen hängen die Subventionen von der Größe des Betriebs und dem Alter der Landwirt*innen ab.

    In ihrer Studie, die sich auf die aktuelle GAP-Förderperiode von 2023 bis 2027 bezieht, zeigen Dr. Pascal Grohmann und Prof. Dr. Peter H. Feindt vom Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität, dass diese Anpassungen die Rolle von Landwirt*innen in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat verändert haben.

    Veränderte Beziehung zwischen Staat und Landwirt*innen

    „Heute enthalten die flächenbezogenen Direktzahlungen verschiedene Komponenten. Neben den Öko-Regelungen, die Verhaltensauflagen machen, werden die Zahlungen auch an Kategorien gebunden, so dass es zu einer Umverteilung von großen zu kleinen Betrieben und – durch spezielle Leistungen für Junglandwirte – von alt zu jung kommt. Dadurch werden Landwirt*innen heute in der EU-Landwirtschaftsförderung als eine Gruppe konstituiert, die staatliche Einkommensunterstützung nur noch bedingt und unter Auflagen verdient und von der potenziell abweichendes Verhalten erwartet wird, das kontrolliert werden muss“, sagt Politikwissenschaftler Pascal Grohmann, Erstautor der Studie. Ursprünglich habe die Europäische Kommission das Kontroll- und Sanktionssystem eingerichtet, um die ordnungsgemäße Verwendung von EU-Mitteln durch die Verwaltungen der Mitgliedstaaten zu überwachen. Inzwischen drücke es auch ein institutionalisiertes Misstrauen in die Bereitschaft der Landwirte aus, ihre Flächen im Einklang mit den gesellschaftlichen Erwartungen und Standards zu bewirtschaften, so Grohmann weiter.

    Außerdem sind viele landwirtschaftliche Betriebe aufgrund des ökonomischen Drucks inzwischen abhängig von den staatlichen Transferleistungen, obwohl die Teilnahme am Förderprogramm eigentlich freiwillig ist. Dazu Peter Feindt, Co-Autor der Studie: „Die Betriebsmodelle sind seit Jahrzehnten auf den Erhalt der Direktzahlungen ausgerichtet, die damit für den Staat einen Hebel bieten, bessere Umwelt- und Tierwohlpraktiken in den Betrieben durchzusetzen. Das führt zu Spannungen mit dem Selbstverständnis vieler Landwirte als unabhängige Unternehmer, die ihre Produktion maximieren wollen.“

    Mögliche Erklärung für Bauernproteste

    Die Forschungsergebnisse bieten einen neuen Erklärungsansatz für die heftige Unzufriedenheit von Landwirt*innen mit der Agrarpolitik, die sich zum Jahreswechsel 2023/24 in einer Welle von Traktorenprotesten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, den Niederlanden und Belgien zeigte. Als Reaktion auf die Proteste hat die Europäische Kommission im April 2024 die Auflagen für den Erhalt der Direktzahlungen angepasst – unter anderem wurde die Bereitstellung von Brachflächen, die dem Schutz der Biodiversität dienen sollte, für die aktuelle Förderperiode ausgesetzt.

    Lange Tradition staatlicher Einkommensstützung in der Gemeinsamen Agrarpolitik

    Ausgangspunkt der Studie ist eine historische Einordnung der Maßnahmen zur Einkommenssicherung in der Landwirtschaft. In den fünfziger Jahren galten spezifische Eigenschaften der Agrarmärkte wie zum Beispiel die Abhängigkeit von Witterungsbedingungen und unflexible Produktionsprozesse durch Vegetationszyklen oder die Standortgebundenheit als Risiko für landwirtschaftliche Einkommen und damit für die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Landwirt*innen wurden deshalb als Gruppe erachtet, die staatlich garantierte Maßnahmen zur Einkommenssicherung „verdient“. Im Rahmen der GAP wurden landwirtschaftliche Einkommen dann seit 1962 über drei Jahrzehnte durch ein komplexes System von Preisfestsetzung, Ankauf von Überschüssen und Subventionen für Lagerung und Exporte gestützt. Seit 1992 wurde das Niveau der Preisstützungen in den Märkten für wichtige Agrarprodukte schrittweise reduziert und erstmals direkte Einkommenstransfers eingeführt, um Einkommensverluste der Landwirt*innen abzufedern. Im Laufe der Jahre wurden diese Direktzahlungen in verschiedenen Reformen der GAP weitestgehend von der Produktion entkoppelt und zunehmend an die Einhaltung von umwelt-, klima-, gesundheits- und tierwohlbezogenen Auflagen gebunden.

    Zu den Autoren

    Pascal Grohmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik am Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Analyse von Agrarpolitik, insbesondere der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union, mit besonderem Fokus auf Politikinstrumenten und Politikmixen.

    Peter H. Feindt ist Leiter des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik am Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit einem breiten Spektrum von Fragen der Agrar- und Ernährungspolitik, insbesondere an der Schnittstelle zur Umweltpolitik, der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und der Resilienz von Agrarsystemen.

    Weitere Informationen

    Zur Publikation im "Journal of Rural Studies": https://doi.org/10.1016/j.jrurstud.2024.103363

    Kontakt

    Dr. Pascal Grohmann
    Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin

    E-Mail: pascal.grohmann@hu-berlin.de

    Prof. Dr. Peter H. Feindt
    Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin

    E-Mail: peter.feindt@hu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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