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Wissenschaft
Mikroorganismen sind überall und beeinflussen die Umwelt der Erde seit über 3,5 Milliarden Jahren. Welche Rolle sie bei der Bildung von Kalk spielen, haben jetzt Forschende aus Deutschland, Österreich und Taiwan entschlüsselt – zum ersten Mal in der Tiefsee statt im Labor. Als Basis diente ein fünf Meter langer Kalkkern, der bei einer Expedition gewonnen wurde. Ihre Ergebnisse hat das Autor:innenteam jetzt in der Zeitschrift Communications Earth & Environment veröffentlicht.
Mikroorganismen werden meist eher mit Zersetzungs- und Abbauprozessen in Verbindung gebracht, doch sie erleichtern und beschleunigen auch die Bildung von Mineralen, die sich sonst nur sehr langsam oder gar nicht bilden würden. Genau dieses Phänomen interessiert Forschende aus der Geologie, Geochemie sowie den Materialwissenschaften, da es für Themen in der Grundlagen- und der angewandten Forschung genutzt werden kann. Kalkminerale binden zum Beispiel Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre über lange Zeiträume als Feststoff.
Methanaustritte als natürliches Labor
An sogenannten kalten Quellen treten Methan und andere Kohlenwasserstoffe aus dem Ozeanboden aus, sie bilden die Grundlage für Ökosysteme unabhängig von Sonnenlicht. Der grundlegende Prozess ist die Methanoxidation ohne Sauerstoff, die von Archaeen und Bakterien gemeinsam durchgeführt wird. „Diese Stoffwechselreaktion führt indirekt zur Kalkbildung in Sedimenten nahe dem Ozeanboden. Marine Methanquellen sind deshalb hervorragende Ökosysteme, um mikrobielle Prozesse und deren Einfluss auf Mineralbildung zu untersuchen“, erklärt Erstautor Daniel Smrzka vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und dem Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen.
Obwohl der grundlegende Prozess der Kalkbildung durch Mikroben an kalten Quellen verstanden ist, ist die eigentliche Bildungsrate der Gesteine bisher unklar. „Antworten und präzise Abschätzungen der Bildungsraten von Kalkmineralen sind essentiell, um die Relevanz der neugebildeten Gesteine im Hinblick auf ihr Kohlenstoff-Speicherpotenzial zu erkennen“, sagt Smrzka. Darüber hinaus vernachlässigten Studien den direkten Einfluss von Mikroorganismen auf die Bildungsraten, obwohl dieser schon lange bekannt sei. Während der gemeinsam von taiwanischen und MARUM-Wissenschaftler:innen durchgeführten Expedition SO266 mit dem Forschungsschiff SONNE ins Südchinesische Meer nahe der Küste Taiwans wurden Methanquellen in einem Gebiet von über 40.000 Quadratmetern untersucht. Mit dem mobilen Bohrgerät MARUM-MeBo200 wurde ein fünf Meter langer Kern aus reinem Kalk geborgen. „Dieser Kern ist das bisher längste fortlaufende Archiv der Methan-generierten Kalkbildung, mit einem maximalen Alter von knapp 40.000 Jahren“, betont Smrzka. „Diese außergewöhnliche Probe liefert nicht nur einen einzigartigen Blick in die vergangene Dynamik der Methanbildung in dieser Region, sondern auch neue Einblicke in das Zusammenspiel zwischen mikrobieller Aktivität und Kalkbildung in diesen Ökosystemen.“
Mikrobielle Matten und Kalk-Bildungsraten
Generell werden an Kalksteinen von Methan-Quellen am Ozeanboden zwei unterschiedliche Typen von Zementphasen beobachtet. „Der außergewöhnliche Erhaltungsgrad der Gesteine sowie die ungewöhnliche Menge an vorhandenen Zementen ermöglichte es uns zum ersten Mal, mehrere Zementphasen separat zu datieren mit dem Ergebnis, dass die rosa Zemente bis zu 25-mal schneller wuchsen als die klaren Zemente. Die Möglichkeit, diese beiden Zementphasen nebeneinander zu datieren und deren Alter zu vergleichen, liefern die bisher ersten und einzigen quantitativen Abschätzungen des Einflusses von Mikroorganismen auf die Gesteinsbildung“, sagt Daniel Smrzka. Dies bedeute, dass mikrobielle Matten potenziell bis zu 25-mal schneller CO2 binden können, als wenn sich die Minerale ohne deren Einfluss bilden würden.
Diese Resultate bestätigten bisherige experimentelle Studien anhand von mikrobieller Kultivierung und Mineralbildung, liefern allerdings erstmals quantitative Abschätzungen bezüglich der Gesteinsbildung über tausende von Jahren. Diese Ergebnisse sind laut Autor:innenteam ein wichtiger Schritt, um das Phänomen der mikrobiell-beeinflussten Mineralbildung besser zu verstehen sowie dies erstmals zu beziffern, zudem beeinflusst mikrobielle Aktivität in fast allen Ökosystemen und Umweltbedingungen die Bildung von Mineralen.
Die Studie ist Teil der Forschung des Exzellenzclusters „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“, der am MARUM angesiedelt ist. Der marine Kohlenstoffkreislauf an kalten Quellen sowie die Bildung authigener Minerale gehören zu den Kernthemen des Clusters.
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse zur Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Dr. Daniel Smrzka
Allgemeine Geologie – Marine Geologie
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen
E-Mail: dsmrzka@marum.de
Prof. Dr. Gerhard Bohrmann
Allgemeine Geologie – Marine Geologie
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen
E-Mail: gbohrmann@marum.de
Daniel Smrzka, Yiting Tseng, Jennifer Zwicker, Andrea Schröder-Ritzrau, Norbert Frank, Anne-Désirée Schmitt, Thomas Pape, Daniel Birgel, Jörn Peckmann, Saulwood Lin, Gerhard Bohrmann: Marine carbon burial enhanced by microbial carbonate formation at hydrocarbon seeps. Communications Earth & Environment 2024. DOI: 10.1038/s43247-024-01960-0
Ein Feld voller Muscheln, die Karbonatkrusten am Meeresboden als Unterlage nutzen.
MARUM
Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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