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Wissenschaft
In den urbanen Zentren tut sich die AfD bisher schwerer als im ländlichen Raum. Doch mit steigenden Mieten punktet sie auch in den Städten – allerdings nur bei den Verlierer*innen dieser Entwicklung. Eine politikwissenschaftliche Studie zeichnet ein differenziertes Bild.
Die Mietpreisentwicklung hat nicht nur tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, sondern beeinflusst auch das politische Verhalten der Wähler*innen. Das belegt eine deutschlandweite Studie des Politikwissenschaftlers Dr. Denis Cohen vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim und seiner Kollegen Prof. Tarik Abou-Chadi, Ph. D. (Universität Oxford) und Juniorprof. Dr. Thomas Kurer (Universität Zürich).
Die Studie analysiert, wie das sogenannte „Mietmarkt-Risiko“ die Unterstützung der Betroffenen für die AfD beeinflusst. Als Mietmarkt-Risiko beschreiben die Autoren steigende Marktmieten in der Nachbarschaft, die unabhängig von eventuellen Mietsteigerungen in bestehenden Mietverträgen eine latente Bedrohung für Alteingesessene darstellen. Für ihre Analysen kombinieren die Wissenschaftler Befragungsdaten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) mit Mietmarktdaten auf Postleitzahlenebene. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere einkommensschwache Langzeitmieter*innen in städtischen Gebieten stärker zur AfD neigen, wenn die Mietpreise in ihrem Wohnumfeld steigen. Konkret erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass einkommensschwache Mieter*innen in Befragungen die AfD unterstützen, um bis zu vier Prozentpunkte, wenn die durchschnittlichen Mieten in ihrer Nachbarschaft um einen Euro pro Quadratmeter steigen. Bei Mieter*innen mit höherem Haushaltseinkommen sowie bei Wohneigentümer*innen ist der Effekt in der Studie dagegen umgekehrt. „Wenn Mieten steigen, profitieren manche von den Aufwertungsprozessen. Andere nehmen diese Entwicklungen hingegen als sozio-ökonomische Bedrohung wahr. Letztere neigen verstärkt der AfD zu“, fasst Denis Cohen zusammen.
AfD profitiert von sozialen Abstiegsängsten
Einkommensschwächere Menschen müssten dabei keineswegs persönlich akut von Mieterhöhungen betroffen sein: „Sie empfinden steigende Mieten in ihrem Wohnumfeld als latente Bedrohung für ihren sozialen und wirtschaftlichen Status“, erklärt Cohen, der am MZES Senior Research Fellow für Daten und Methoden ist und dort unter anderem zu lokalen Wohnungsmarktdynamiken forscht. „Von den daraus resultierenden sozialen Abstiegsängsten profitieren Parteien des rechtsradikalen Spektrums. Dieses Muster ist bekannt und deckt sich mit Ergebnissen zahlreicher anderer Studien“, so der Politikwissenschaftler weiter. Dass die AfD programmatisch keineswegs für eine Wohnungsmarktpolitik stehe, die den Druck auf Mieter*innen in Ballungszentren abschwächen würde, spiele für die meisten Menschen offenbar keine Rolle.
Mietmarkt-Risiko: eine Erklärung für AfD-Zustimmung in Städten
Die höchsten Zustimmungsraten hat die AfD bisher in der Regel da, wo die Mieten eher niedrig sind: im ländlichen Bereich. Steigende Mieten und die daraus resultierenden Ängste sind nach Ansicht von Denis Cohen und seinen Kollegen ein Grund, warum die AfD auch in den Zentren Zustimmung erfährt. „Die stärksten Effekte für die AfD sehen wir bei einkommensschwachen Menschen, die schon lange in Ballungsräumen wohnen, in denen die Mieten in den vergangenen Jahren besonders stark gestiegen sind“, erklären die Forscher. Diese Menschen könne die AfD für sich gewinnen. „Angesichts der hohen Zustimmungswerte für die AfD im ländlichen Raum wird oft die Frage vernachlässigt, warum die AfD mitunter auch in boomenden Gegenden zweistellige Ergebnisse einfährt“, sagt Cohen mit Blick auf die Ergebnisse der Europawahl 2024. „Wir stellen fest, dass die ungleich verteilten Folgen der Mietmarktentwicklung eine wichtige Erklärung für dieses Phänomen sind.“
Deutschland ist das Land mit dem höchsten Anteil an Mietwohnungen in der Europäischen Union. Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung wohnt zur Miete.
Dr. Denis Cohen
MZES-Projektleiter und Senior Research Fellow Daten und Methoden
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2876
E-Mail: Denis.Cohen@mzes.uni-mannheim.de
https://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/profiles/denis-cohen
Die Studie “Rental Market Risk and Radical Right Support” von Tarik Abou-Chadi, Denis Cohen und Thomas Kurer ist kürzlich in der Fachzeitschrift Comparative Political Studies erschienen und ist als Open-Access-Publikation frei verfügbar:
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/00104140241306963
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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