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14.01.2025 14:23

Stresstests für das Schweizer Stromsystem

Peter Rüegg Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Forschende der ETH Zürich und der ZHAW Winterthur simulieren in einer neuen Studie, wie das zukünftige Schweizer Stromsystem aufgestellt sein könnte, um einen drastischen Einbruch der Gas- und Stromimporte zu verkraften. Damit wollen sie einen Beitrag zur Diskussion um die Versorgungssicherheit der Schweiz leisten.

    Gemäss dem Klima- und Innovationsgesetz möchte die Schweiz ihre Energieversorgung bis 2050 CO₂-neutral gestalten. Der durch die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme steigende Strombedarf soll vor allem durch Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie sowie durch Importe gedeckt werden. Die bestehenden Kernkraftwerke sind dann nicht mehr in Betrieb.

    Doch wie abhängig darf ein stabiles Energiesystem vom Ausland sein? Diese Frage steht spätestens seit dem Einbruch der russischen Gaslieferungen im Zentrum der energiepolitischen Diskussionen der Schweiz. Vor allem die letzten beiden Winter wurden von der Angst einer Strom- und Gasmangellage überschattet.

    Forschende der ETH Zürich und der ZHAW Winterthur simulieren nun in einer neuen Studie verschiedene Schockszenarien für das klimaneutrale Schweizer Energiesystem im Jahr 2050. Und zeigen auf, wie dieses aussehen müsste, um drastische Einschränkungen des grenzüberschreitenden Stromhandels möglichst günstig, sicher und nachhaltig kompensieren zu können.

    «Welche Technologien ökonomisch sinnvoll sind, hängt davon ab, wie stark und häufig die Importmöglichkeiten einbrechen», erklärt Ali Darudi, Energieforscher an der ZHAW Winterthur und einer der Studienautoren. Das Modell der Forschenden könnte dazu beitragen, die Diskussion um die Versorgungssicherheit in der Schweiz sachlich zu führen.

    Importschocks simulieren

    Bei ihren Berechnungen für das Jahr 2050 folgen die Forschenden den Energieperspektiven des Bundes und gehen von einem jährlichen Bedarf von 76 Terawattstunden (TWh) aus. Als Ausgangspunkt definieren sie ein möglichst günstiges Energiesystem der Zukunft, ohne dabei auf die politisch definierten Ausbauziele und eine zu grosse Abhängigkeit vom Ausland Rücksicht zu nehmen. So deckt das Modell den Bedarf jeweils zu 45 Prozent mit günstigem Strom aus dem Ausland und mit Wasserkraft. Der Rest entfällt vor allem auf Photovoltaik und Windkraft.

    Dieses Energiesystem setzen die Forschenden verschiedenen Schocks aus: Sie modellieren Szenarien, bei denen die Stromimporte in die Schweiz ein Jahr lang unterschiedlich stark und häufig einbrechen und Gasimporte im Schockjahr möglich sind oder nicht. Um diese Importschocks möglichst günstig auszugleichen und dabei immer genügend Strom zur Verfügung zu haben, testen die Studienautoren einen Mix verschiedener Technologien – von Reservekraftwerken, die mit Gas oder Flüssigbrennstoffen betrieben werden, über zusätzliche Photovoltaik- und Windkraftanlagen bis hin zu verschiedenen Speichertechnologien und neuen Kernkraftwerken.

    Dabei berücksichtigen die Forschenden sowohl die geschätzten Investitions- als auch die Betriebskosten dieser Technologien. Zentral für die Analyse ist ausserdem, dass der Kraftwerkspark im Gegensatz zu bisherigen Studien immer für den Betrieb unter normalen Bedingungen und das Schockszenario gemeinsam geplant wird.

    Wie robust ist das Energiesystem der Zukunft?

    Die Modellrechnungen zeigen, dass das System eine einjährige Reduktion der Importkapazität um bis zu 70 Prozent ohne zusätzliche Massnahmen verkraften könnte. Möglich wäre dies vor allem durch die Reserven der Wasserkraft: «Die Schweizer Stauseen können knapp neun Terawattstunden Strom speichern. Zusammen mit den verbleibenden Importmöglichkeiten kann so die fehlende Verfügbarkeit ausgeglichen werden», sagt Jonas Savelsberg vom Energy Science Center der ETH Zürich.

    «Je seltener es zu einer drastischen Einschränkung des Stromhandels mit dem Ausland kommt, desto kompetitiver werden Technologien mit hohen Betriebs- aber geringen Investitionskosten.», ETH-Forscher Jonas Savelsberg

    Erst wenn die Möglichkeit zum Stromhandel um mehr als 70 Prozent reduziert wird, braucht es zusätzliche Produktionskapazitäten, um die Nachfrage zu decken. Welche Technologien günstig und effizient sind, um Importausfälle auszugleichen, hängt davon ab, wie stark und häufig ein Schock ausfällt. Dabei gilt gemäss ETH-Forscher Savelsberg: «Je seltener es zu drastischen Einschränkungen des Stromhandels mit dem Ausland von 70 Prozent und mehr kommt, desto effizienter lassen diese sich mit Technologien bewältigen, die zwar hohe Betriebs- aber geringe Investitionskosten aufweisen.» Dazu zählen vor allem Reservekraftwerke, die mit Gas oder Flüssigbrennstoff betrieben werden.

    Flüssigbrennstoff-Kraftwerke

    In den meisten Szenarien, in denen keine Gasimporte zur Verfügung stehen, der Stromhandel um 90 bis 100 Prozent begrenzt wird und dies lediglich alle 10 bis 100 Jahre geschieht, können Kraftwerke, die mit Flüssigbrennstoffen wie Benzin, Öl oder synthetischen Brennstoffen betrieben werden, eine wirtschaftlich sinnvolle Option sein.

    Diese Anlagen sind relativ günstig in der Anschaffung, aber teuer im Betrieb: Der Grund dafür ist, dass die entstehenden CO2-Emmissionen aus der Luft gefiltert, oder die Kraftwerke mit teuren synthetischen Brennstoffen betrieben werden müssen. Die hohen Betriebskosten fallen aber über die gesamte Lebensdauer dieser Kraftwerke weniger ins Gewicht, da sie nur sehr selten genutzt werden. Zudem verfügt die Schweiz bereits über beträchtliche Kapazitäten zur Lagerung von flüssigen Brennstoffen, die aufgrund der Dekarbonisierung des Energiesystems bis 2050 nicht voll ausgelastet sein dürften.

    Erst wenn man davon ausgeht, dass die Schweiz alle zwei bis fünf Jahre fast oder ganz ohne Stromimporte auskommen muss, werden Technologien mit hohen Investitionskosten und tiefen Betriebskosten sinnvoller. Dazu zählen Photovoltaik oder Windkraft und in sehr extremen Schockszenarien auch die Kernkraft.

    Gaskraftwerke

    Sind dagegen in einem Schockjahr Gasimporte aus dem Ausland möglich, stützt sich das Modell vor allem auf Reservegaskraftwerke, um die wegfallenden Stromimporte zu kompensieren. Auch hier müssen die anfallenden CO2-Emmissionen teuer aus der Luft gefiltert werden.

    «Gasimporte spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung eines robusten Schweizer Energiesystems», sagt Savelsberg. Sobald Gasimporte verfügbar sind, stellen auch Kernkraftwerke keine ökonomisch sinnvolle Option mehr dar, um Schocks auszugleichen. «Die Verfügbarkeit von Gas reduziert die wirtschaftlichen Anreize in neue Kernkraftwerke zu investieren», so der ETH-Forscher.

    Kernkraft und Wasserstoff

    Neue Kernkraftwerke sind in den Modellrechnungen der Forschenden erst dann ökonomisch sinnvoll, wenn man von einem vollständigen Ausfall der Stromimporte alle zwei Jahre ausgeht und gleichzeitig Gasimporte nicht möglich sind. «Nur in diesem unrealistischen Szenario würden die sehr hohen Investitionskosten neuer AKWs durch deren relativ tiefe Betriebskosten ausgeglichen», erklärt ZHAW-Forscher Darudi.

    Dabei gehen die Forschenden von Investitionskosten in Höhe von 10'000 Euro pro Kilowatt (kW) aus. Dies entspricht in etwa den Kosten, die zahlreiche andere Studien für den Bau neuer AKWs in Europa annehmen. Die Forschenden haben aber auch Szenarien mit geringeren Kosten getestet und kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

    Nachhaltig hergestellter Wasserstoff kommt als ausgleichender Stromspeicher nur in jenen Schockszenarien zum Einsatz, in denen die Strom- und Gasimporte alle zwei bis zehn Jahre komplett ausfallen. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch nur maximal um 2.5 TWh Stromerzeugung, was etwa 3% des Schweizer Bedarfs entspricht. Wenn hingegen Gasimporte zur Verfügung stehen, lohnt es sich nicht auf den in seiner Herstellung teuren Wasserstoff zu setzen.

    Robustheit der Analyse

    Die Forschenden überprüften die Erkenntnisse der Studie zudem in einem weiteren modellierten Energiesystem. Dabei gingen sie davon aus, dass die Ziele aus dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien erreicht werden.

    Hier werden rund 60 Prozent des Bedarfs durch Photovoltaikanlagen in der Schweiz produziert, der Rest entfällt vor allem auf die Wasserkraft und Windenergie. Dadurch sinkt die Rolle von Stromimporten aus Nachbarstaaten und die Schweiz würde über das ganze Jahr hinweg etwa gleich viel Strom exportieren wie importieren.

    Auch in diesem System kamen die Forschenden auf die gleichen Schlussfolgerungen: Reservekraftwerke, die mit Gas oder Flüssigtreibstoffen betrieben werden, sind auch hier die effizienteste Lösung, um seltenen Schocks zu begegnen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    jonas.savelsberg@esc.ethz.ch


    Originalpublikation:

    Darudi A, Savelsberg J, Schlecht I, Thrive in sunshine, brace for thunder. Least-cost robust power system investments under political shocks. Working paper ZBW – Leibniz Information Centre for Economics, https://hdl.handle.net/10419/306555


    Weitere Informationen:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/01/stresstests-fu...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Energie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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