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Die Klinische Neurobiologie, die Neurologie und die Neuropathologie der Universitätsmedizin Würzburg sind Teil des Dreiteilers „The Brain Makers: The Inside Story of the Discovery and Potential of Neurotrophins“. Die Dokumentation beleuchtet den therapeutischen Einsatz dieser Moleküle, die das Wachstum, das Überleben und die Regeneration von Nervenzellen fördern - angefangen bei Rita Levi-Montalcini, die mit der Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors (NGF) den Grundstein für das Verständnis legte, wie Nervenzellen wachsen und miteinander kommunizieren, über den ersten klinischen Einsatz von rhNGF bis hin zu neuen Perspektiven in der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson.
Würzburg. In den 1950er Jahren entdeckte die italienische Neurobiologin Rita Levi-Montalcini den Nerve Growth Factor (NGF), ein Schlüsselmolekül für die Entwicklung, das Überleben und die Regeneration von Nervenzellen. Für die Isolierung und Charakterisierung des Nervenwachstumsfaktors erhielt Rita Levi-Montalcini 1986 gemeinsam mit Stanley Cohen den Nobelpreis.
„Eigentlich hätte Viktor Hamburger als Dritter im Bunde den Nobelpreis verdient“, meint Prof. Dr. Michael Sendtner, Direktor des Instituts für Klinische Neurobiologie am Uniklinikum Würzburg (UKW). „Denn die bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung und Funktion des Nervensystems fanden im Labor von Viktor Hamburger in St. Louis, USA, statt. Gemeinsam mit Levi-Montalcini prägte der deutsch-amerikanische Entwicklungsbiologe, der einst bei Nobelpreisträger Hans Spemann promovierte, den Begriff Neurotrophin“.
NGF ist nur der erste Vertreter der Neurotrophine, die für die Entwicklung und Funktion des Nervensystems entscheidend sind
Neurotrophine wie NGF sind eine Untergruppe der neurotrophen Faktoren, mit denen sich Michael Sendtner seit mehr als 40 Jahren beschäftigt. Dank seiner wegweisenden Studien gehört die Würzburger Universitätsmedizin zu den weltweit führenden Labors auf diesem Gebiet. Aus diesem Grund drehte Barbara Bernardini, Biologin, Wissenschaftsredakteurin und Filmproduzentin, Anfang 2025 mit der Crew ihrer Agentur Oneframe den dritten und letzten Teil ihrer Dokumentation „The Brain Makers: The Inside Story of the Discovery and Potential of Neurotrophins" in Würzburg.
Die erste Episode mit dem Titel ‚War, chickens and snakes‘ schildert den schwierigen Weg von Rita Levi-Montalcini, der zur Entdeckung des NGF führte. In der zweiten Episode geht es um den ersten Einsatz von NGF zur Behandlung einer schweren und seltenen Augenkrankheit, die die Hornhaut betrifft. In den 90er Jahren wurde NGF erstmals bei einem Mädchen getestet, das zu erblinden drohte. Mit Erfolg. Viele Jahre und Studien später brachte das biopharmazeutische Unternehmen Dompé den ersten rekombinanten menschlichen NGF (rhNGF) unter dem Namen Oxervate® auf den Markt, der 2017 in der EU zugelassen wurde. Dompé ist auch Sponsor der dreiteiligen Serie. Im dritten Teil von „The Brain Makers“ werden in Würzburg die Perspektiven von Neutrophinen bei der Behandlung von Bewegungsstörungen wie Parkinson und Dystonie beleuchtet.
Tiefe Hirnstimulation bescherte neurotrophen Faktoren ein Comeback
Kennengelernt haben sich Barbara Bernardini und Michael Sendtner im Juni 2024 in Rom, als der Würzburger auf einem Symposium von Nature Neuroscience einen Vortrag über seine Arbeiten zur Rolle neurotropher Faktoren bei der dysregulierten Plastizität im Gehirn von Parkinson- und Dystonie-Patienten hielt. Michael Sendtner und seine Kolleginnen und Kollegen hatten bereits Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München unter der Leitung von Hans Thoenen herausgefunden, dass neurotrophe Faktoren zwar die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Motoneuronerkrankungen absterbenden Nervenzellen retten können, nicht aber deren Funktion. Klinische Studien haben dies bestätigt. „Damit gerieten die neurotrophen Faktoren zunächst ins Abseits“, blickt Sendtner zurück. „Doch die Entdeckung, dass der Erfolg der Tiefen Hirnstimulation bei neurodegenerativen Erkrankungen mit der Regulation neurotropher Faktoren zusammenhängt, hat sie wieder ins öffentliche Interesse gerückt“.
Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) spielt zentrale Rolle bei der Reaktivierung von Synapsen
Bei einer neurodegenerativen Erkrankung verlieren Nervenzellen nach und nach ihre synaptische Funktion und gehen zugrunde. Würde man erst in diesem fortgeschrittenen Stadium eingreifen, wäre laut Sendtner nichts gewonnen. Vielmehr müsse man bereits in der ersten Phase ansetzen, in der die synaptische Plastizität und Kommunikation gestört ist. Dies sei mit der Tiefen Hirnstimulation möglich. „Der Hirnschrittmacher kann mit milden elektrischen Impulsen die Nervenzellen stimulieren und entsprechend aktivieren, was zu langfristigen Veränderungen der synaptischen Aktivität führt“, sagt Prof. Dr. Jens Volkmann. Der Direktor der Klinik für Neurologie und enge Forschungspartner von Michael Sendtner beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der THS zur Behandlung von Bewegungsstörungen.
Der genaue Mechanismus, warum die Tiefe Hirnstimulation (THS) bei Bewegungsstörungen wie Parkinson oder Dystonien so erfolgreich ist, ist noch nicht vollständig verstanden. Eine Erklärung könnte der Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) liefern. Ursprünglich als Überlebensfaktor angesehen, hat sich der aus dem Gehirn stammende neurotrophe Faktor als Regulator der synaptischen Plastizität erwiesen. Die THS stimuliert die Freisetzung von BDNF, der wiederum den synaptischen Schaltkreis reaktiviert.
Substantia Nigra verblasst bei Morbus Parkinson
In der benachbarten Neuropathologie der Universität Würzburg konnte Privatdozentin Dr. Camelia Maria Monoranu Sendtners Untersuchungen an Tiermodellen anhand ihrer großen Hirnsammlung von Patientinnen und Patienten mit Parkinson bestätigen. Bei Morbus Parkinson sind die BDNF-Rezeptoren fehlreguliert. Camelia Maria Monoranu demonstrierte Barbara Bernardini und ihrem Kameramann im Hörsaal der Pathologie eindrucksvoll den Vergleich von gesundem und krankem Hirn. Dazu trennt sie den Hirnstamm vom Großhirn und hält die Substantia nigra, die als wichtiges Zentrum in motorischen Schaltkreisen eine Schlüsselrolle bei der Einleitung von Bewegungen spielt, in die Kamera. Bei gesunden Menschen ist die streifenartige Struktur des Mittelhirns durch den hohen Gehalt an Neuromelanin in den Nervenzellen dunkel gefärbt, bei Parkinson-Patienten sterben die Nervenzellen ab und die „schwarze Substanz“ des Mittelhirns verblasst.
BDNF steuert Anpassungsfähigkeit in neuronalen Netzwerken der Motorik
Erst kürzlich hat Michael Sendner gemeinsam mit Daniel Wolf und Maurilyn Ayon-Olivas in der Fachzeitschrift Biomedicines einen weiteren Baustein veröffentlicht, der dazu beiträgt das Rätsel, wie die THS die motorischen Netzwerke im Gehirn beeinflusst und verbessert, zu lösen. Sie zeigten, wie die Oberflächenexpression des Rezeptors für BDNF in striatalen Nervenzellen stark von Dopamin aus der Substantia nigra abhängt. Auf diese Weise beeinflusst Dopamin, wie empfindlich diese Nervenzellen auf BDNF reagieren, das von kortikalen Neuronen freigesetzt wird. Weitere Studien könnten helfen, die zugrundeliegenden Mechanismen noch besser verstehen und dadurch die Effektivität und Zielgenauigkeit der Behandlung verbessern.
Im Laufe des Jahres wird Michael Sendtner als Seniorprofessor in die Neurologie gehen und dort seine Forschung fortsetzen. Ursprünglich wollte er auch Neurologe werden. Sein damaliger Chef an der Neurologischen Klinik der TU München, Albrecht Struppler, interessierte sich sehr für Bewegungsstörungen und schickte den jungen Assistenzarzt in den 80er Jahren zur Grundlagenforschung zu Hans Thoenen ans Max-Planck-Institut, der übrigens auch mit Rita Levi-Montalcini zusammengearbeitet hatte. Aus drei Jahren wurden zehn, sehr erfolgreiche Jahre, wie Sendtner betont. Unter anderem begann er damals, neurotrophe Factoren wie CNTF und BDNF zu isolieren und zu charakterisieren, was zu zahlreichen hochrangigen Publikationen führte. 1995 holte ihn der damalige Direktor der Neurologie, Klaus Toyka, nach Würzburg. Sendtner kam und blieb, trotz mehrerer Rufe aus Erlangen, München und London. „Unsere Arbeitsgruppe ist zwar klein, aber Würzburg ist ein wunderbarer, sehr kollegialer Standort. Durch die hervorragende Zusammenarbeit mit anderen Instituten und Kliniken konnten wir zudem international punkten“, resümiert Michael Sendtner.
Werdegang von Michael Sendtner
Michael Sendtner wurde 1959 in München geboren, studierte zunächst vier Jahre klassische Gitarre und Laute am Richard-Strauss-Konservatorium und anschließend sechs Jahre Humanmedizin in Regensburg und München. 1984 wurde er Assistent an der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München. . Ein Stipendium führte ihn 1986 an das Max-Planck-Institut für Psychiatrie, wo er über den ciliaren neurotrophen Faktor (CNTF) forschte. 1992 habilitierte er sich und wechselte zwei Jahre später nach Würzburg. Hier leitete er von 1994 bis 1999 die Klinische Forschergruppe Neurobiologie und war von 2000 bis 2012 Sprecher des Sonderforschungsbereichs 581 Molekulare Modelle für Erkrankungen des Nervensystems". Seit der Jahrtausendwende ist Michael Sendtner Direktor des Instituts für Klinische Neurobiologie am UKW. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Prof. Dr. Michael Sendtner, Sendtner_M@ukw.de
Die Agentur Oneframe drehte für ihre Dokumentation „The Brain Makers“ auch in Würzburg, Gruppenbild ...
Kirstin Linkamp
UKW
Die Neuropathologin Dr. Camelia Maria Monoranu demonstriert, wie ein Gehirn von einem Parkinson-Pati ...
Kirstin Linkamp
UKW
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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