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In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2023 wurden Tausende von Menschen entlang des Teesta-Flusses gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Der Fluss, der durch die indischen Bundesstaaten Sikkim und Westbengalen fließt, führte eine zerstörerische Flutwelle aus Wasser und Geröll mit sich. Die Flut forderte nicht nur zahlreiche Todesopfer, sondern zerstörte Gebäude, Infrastruktur und Wasserkraftwerke. Ein multidisziplinäres Team aus neun Ländern mit Beteiligung der Universität Potsdam hat seither versucht, die Ursachen, Dynamik und Auswirkungen dieser verheerenden Flut aufzuklären. In einer nun in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie berichten sie über ihre Ergebnisse.
Auslöser der Katastrophe war ein Gletscherseeausbruch (GLOF für Glacial Lake Outburst Flood) – eine der gefährlichsten Naturgefahren im Himalaya. Die Flut entstand am South Lhonak Lake, einem Gletschersee auf 5200 Metern Höhe. Am 3. Oktober 2023 um 22:12 Uhr (Ortszeit) löste sich ein Teil der gefrorenen Gletschermoräne am Nordufer des Sees. Die breite Masse aus Geröll, Sand und Eis stürzte in den See und löste einen etwa 20 Meter hohen Tsunami aus. Diese Welle zerstörte den natürlichen Damm aus Geröll, der den See aufstaute, und setzte etwa 50 Millionen Kubikmeter Wasser frei – ein Volumen, das 20.000 olympischen Schwimmbecken entspricht. Die traurige Bilanz der Flut: nahezu 130 Todesopfer oder Vermisste, fast 26.000 Gebäude, 31 zentrale Brücken und 18,5 Kilometer Straßen sowie fünf Wasserkraftwerke wurden zerstört.
Die massive Flut riss gewaltige Mengen Fels und Erde mit sich. An vielen Stellen gerieten angrenzende Hänge ins Rutschen, sodass insgesamt 270 Millionen Kubikmeter Geröll in das Flutwasser gelangte. Dieses Material spielte eine Schlüsselrolle bei den Flutschäden, da viele der flussabwärts betroffenen Dörfer unter meterhohem Sand und Kies begraben wurden. Diese Reihe von Ereignissen kann mit dem Rückzug des South-Lhonak-Gletschers und der Erwärmung des Permafrostbodens als Reaktion auf die steigenden Temperaturen in der Region in Verbindung gebracht werden.
Dank des Centre national d'études spatiales (CNES) erhielt das Team sehr schnell nach der Flut hochauflösende Fernerkundungsdaten. Mithilfe von Satellitenbildern, die aus zwei verschiedenen Blickwinkeln die Erdoberfläche zeigen, erstellten sie detaillierte 3D-Modelle des Geländes vor und nach der Flut. Die daraus resultierenden Veränderungskarten geben den Forschenden sehr genaue Einblicke in die räumlichen Muster von Abtragung und Ablagerung.
Die Veränderungen am Fluss erhöhen auch die Gefahr künftiger Überschwemmungen und Erdrutsche. Im Himalaya gibt es Tausende von Gletscherseen und GLOF-Überschwemmungen stellen ein wachsendes Risiko dar, da sich die Gletscher weiter zurückziehen und der Permafrost zunehmend auftaut. Darüber hinaus sind fast die Hälfte der beschädigten Gebäude erst in den letzten zehn Jahren errichtet worden, was verdeutlicht, wie wachsende Siedlungen in Hochwassergebieten zu Katastrophen beitragen. Erstautor Ashim Sattar vom Indian Institute of Technology Bhubaneswar sagt: „Während wir daran arbeiten, das Risiko von GLOFs im Himalaya zu reduzieren, ist klar, dass wir einen vielschichtigen Ansatz für die Bewältigung dieser Ereignisse benötigen. Dies beinhaltet Frühwarnsysteme, bessere regulatorische Rahmenbedingungen, einen Paradigmenwechsel bei Techniken der GLOF-Beobachtung und Modellierung sowie Programme zur Vorbereitung und Aufklärung der Gemeinden entlang der gefährdeten Flüsse.“
Besonderes Augenmerk gilt dabei auch dem Bau und Betrieb von Wasserkraftwerken. Deren Analyse widmet sich Wolfgang Schwanghart, Ko-Autor der Studie und Wissenschaftler am Institut für Umweltwissenschaften und Geographie an der Universität Potsdam. „Wasserkraft ist für die Energiewende von Ländern wie Indien unerlässlich“, sagt er. „Ein Kraftwerk wurde komplett zerstört und mehrere beschädigt. Der Ausbruch von South Lhonak Lake zeigt, dass der Bau von Kraftwerken in den steilen Tälern des Himalayas gerade in den Zeiten des Klimawandels ein sehr risikoreiches Unterfangen ist.“
Link zur Publikation: A. Sattar et al., The Sikkim flood of October 2023: Drivers, causes and impacts of a multihazard cascade, Science 10.1126/science.ads2659 (2025): https://www.science.org/doi/10.1126/science.ads2659
Abbildung 1: Schneise der Verwüstung entlang des Teesta-Flusses. Die Flut unterschnitt an vielen Stellen die Hänge und löste so Erdrutsche aus. Bildrechte: Praful Rao.
Abbildung 2: Gebäude und Autos in der Stadt Rangpo wurden unter den Sedimentmassen der Flut begraben. Bildrechte: Praful Rao.
Kontakt:
Dr. Wolfgang Schwanghart, Institut für Umweltwissenschaften und Geographie
Tel.: 0331 977-203175
E-Mail: wolfgang.schwanghart@uni-potsdam.de
Medieninformation 31-01-2025 / Nr. 011
Dr. Stefanie Mikulla
Universität Potsdam
Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Am Neuen Palais 10
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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