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Wissenschaft
Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Max-Planck-Instituts (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften konnten erstmals zeigen, wie sich das Erbgut des Nipah-Virus in infizierten Zellen vervielfältigt. Der Erreger kann beim Menschen eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung auslösen. Mittels Kryo-Elektronenmikroskopie gelang es dem Team um Prof. Dr. Hauke Hillen, die dreidimensionale Struktur der viralen „Kopiermaschine“ sichtbar zu machen. Diese Erkenntnisse könnten zukünftig dazu beitragen, antivirale Medikamente zur Behandlung von Nipah-Virusinfektionen zu entwickeln. Die Fachzeitschrift „Nature Communications“ hat nun die Studienergebnisse veröffentlicht.
Weltweit kommt es immer wieder zu Krankheitsausbrüchen und regional begrenzten Epidemien durch Viren, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden. Auch viele Pandemien, die sich über Landesgrenzen hinweg ausbreiten, haben ihren Ursprung in einem solchen Übertragungsweg. Eine frühzeitige Erforschung der Krankheitserreger ist essenziell, damit im Falle einer Epidemie oder Pandemie wirksame Arzneimittel und Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das Nipah-Virus als ein für den Menschen potenziell sehr gefährliches Virus ein. Es hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Krankheitsausbrüchen in Asien geführt. Das Virus kann von Fledermäusen auf den Menschen übertragen werden und führt zu schweren Erkrankungen, die in bis zu 70 Prozent der Fälle tödlich verlaufen können. Zudem kann es ebenfalls von Mensch zu Mensch übertragen werden und sich dadurch sehr schnell verbreiten. Derzeit sind keine zielgerichteten Medikamente oder Impfstoffe zur Behandlung von Nipah-Virusinfektionen vorhanden.
Ansatz für die Entwicklung von Medikamenten
Forschenden um Prof. Dr. Hauke Hillen, Leiter der Arbeitsgruppe „Struktur und Funktion molekularer Maschinen“ am Institut für Zellbiochemie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, ist es erstmals gelungen, die dreidimensionale Struktur der Kopiermaschine des Nipah-Virus, auch RNA-Polymerase genannt, in molekularer Auflösung darzustellen. Die RNA-Polymerase ist für die Vervielfältigung des viralen Erbguts und die Aktivierung der viralen Gene verantwortlich und somit essenziell für die Vermehrung des Virus in den Zellen. Sie stellt somit einen vielversprechenden Ansatzpunkt für die Entwicklung von Medikamenten dar. Um die dreidimensionale (3D) Struktur der RNA-Polymerase zu entschlüsseln, nutzten die Wissenschaftler*innen die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie. Hierzu wurde die RNA-Polymerase in zwei unterschiedlichen Zuständen, frei oder an virale RNA gebunden, schockgefroren und anschließend in einem hochmodernen Elektronenmikroskop tausende Einzelbilder des Moleküls aufgenommen. Mithilfe von Hochleistungsrechnern wurde daraus eine 3D-Struktur in fast atomarer Auflösung errechnet.
„Das ist ein wichtiger Meilenstein, denn bisher war nicht bekannt, wie die RNA-Polymerase des Nipah-Virus genau aussieht und wie sie mit der viralen RNA wechselwirkt. Unsere Daten zeigen, dass sie den RNA-Polymerasen anderer verwandter RNA-Viren wie zum Beispiel Ebola ähnelt, aber dennoch einige Besonderheiten aufweist“, sagt Prof. Hillen. Die Daten zeigen zudem erstmals, wie eine solche virale RNA-Polymerase die genomische virale RNA als Vorlage für den Kopiervorgang nutzt, sowie die neu hergestellte Produkt-RNA und die Nukleotidbausteine bindet. „Diese Ergebnisse sind besonders spannend, denn bisher konnte auch für verwandte Viren wie beispielsweise Ebola noch nie ein molekularer Schnappschuss der RNA-Polymerase im aktiven Zustand erstellt werden“, sagt Dr. Fernanda Sala, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe „Struktur und Funktion molekularer Maschinen“ und Erstautorin der Studie. „Durch den Vergleich der Schnappschüsse von freier sowie RNA-gebundener RNA-Polymerase konnten wir nicht nur deren Struktur entschlüsseln, sondern auch neue Erkenntnisse über ihre Dynamik gewinnen. Solche Daten können bei der gezielten Entwicklung von Wirkstoffen, die die RNA-Polymerase hemmen könnten, behilflich sein“, erklärt sie weiter.
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
Originalpublikation:
Sala F, Ditter K, Dybkov O, Urlaub H, Hillen HS. Structural basis of Nipah virus RNA synthesis. Nature Communications (2025). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-57219-5
Die Studie im Detail
Die RNA-Polymerase funktioniert wie eine molekulare Kopiermaschine, die die Erbinformation des Virus abliest und als Vorlage nutzt, um eine exakte Kopie des viralen Erbgutes zu erstellen. Viele antivirale Medikamente, darunter Aciclovir zur Behandlung von Herpes-Infektionen oder Remdesivir gegen COVID-19, funktionieren als Hemmstoffe der jeweiligen viralen RNA-Polymerase. Im Falle des Nipah-Virus war die genaue räumliche Struktur und Funktionsweise der RNA-Polymerase allerdings bisher unbekannt, was die Entwicklung von spezifischen Hemmstoffen erschwerte.
Aufklärung der RNA-Polymerase-Struktur
Im Nipah-Virus setzt sich die RNA-Polymerase aus zwei verschiedenen Untereinheiten zusammen, den sogenannten L- und P-Proteinen. Den Forschenden gelang es, diese Proteine aufzureinigen und ihre Struktur mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) zu untersuchen. Dazu wurden die RNA-Polymerase-Moleküle in einer Lösung schockgefroren und anschließend in einem Elektronenmikroskop bei minus 196 Grad Celsius untersucht. Hierbei nahmen die Forschenden am Mikroskop tausende Einzelbilder des Moleküls auf und errechneten anschließend mithilfe von Hochleistungsrechnern eine 3D-Struktur in fast atomarer Auflösung. Anhand dieser hochauflösenden Schnappschüsse konnten die Wissenschaftler*innen erstmals sehen, wie das L- und das P-Protein miteinander wechselwirken, um den Polymerase-Komplex zu bilden.
Analyse der RNA-Polymerase in Aktion
Im zweiten Schritt entschlüsselte das Team, wie die RNA-Polymerase mit dem viralen RNA-Erbgut während des Kopiervorgangs wechselwirkt. Dafür stellten sie diesen Prozess im Reagenzglas nach. Sie gaben eine RNA als Vorlage sowie Bausteine für die Erstellung der RNA-Kopie, sogenannte Nukleotide, zur RNA-Polymerase hinzu. Mithilfe biochemischer Analysemethoden konnten sie zeigen, dass die aufgereinigte RNA-Polymerase im Reagenzglas aktiv ist und aus den Nukleotiden eine neue RNA herstellt. Mithilfe der Kryo-EM gelang es den Forschenden anschließend, die 3D-Struktur der RNA-Polymerase in diesem aktiven, RNA-gebundenen Zustand in molekularer Auflösung darzustellen.
Die Studie wurde durch das Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie die Europäische Union gefördert.
Bildunterschrift
Künstlerische Darstellung der 3D-Struktur der RNA-Polymerase des Nipah-Virus im aktiven Zustand. Die Struktur der Nipah-Virus-RNA-Polymerase ist als transparente Oberflächendarstellung gezeigt (L-Protein in grün, P-Protein in orange). Die virale RNA, die als Vorlage für die RNA-Polymerase dient, ist in blau dargestellt, die neu hergestellte Produkt-RNA rot. Das Nukleotid-Substrat ist gelb dargestellt. Bild: umg/fernanda sala
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Zellbiochemie
Prof. Dr. Hauke Hillen
Humboldtallee 23, 37073 Göttingen
Telefon 0551 / 39-65984
hauke.hillen@med.uni-goettingen.de
Sala F, Ditter K, Dybkov O, Urlaub H, Hillen HS. Structural basis of Nipah virus RNA synthesis. Nature Communications (2025). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-57219-5
Prof. Dr. Hauke Hillen, Leiter der Arbeitsgruppe „Struktur und Funktion molekularer Maschinen“ am In ...
Irene Böttcher-Gajewski/MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Künstlerische Darstellung der 3D-Struktur der RNA-Polymerase des Nipah-Virus im aktiven Zustand. (Vo ...
umg/fernanda sala
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch
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