idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Erstmals untersuchten UZH-Forschende den Einfluss von Pandemien auf die Schweizer Geburtenrate. Während die Geburtenzahl bei COVID-19 wider Erwarten zunächst anstieg, ging sie bei früheren historischen Pandemien deutlich zurück.
Die Geburtenraten sinken derzeit in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern. Dass die Zahl der Geburten mittelfristigen Schwankungen unterliegt und auch kurzfristig auf Pandemien oder Krisen reagiert, ist bekannt. Bisher weniger gut untersucht sind hingegen die jüngsten Trends – insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie.
Forschende der Universität Zürich haben nun die monatlichen Geburtenzahlen in der Schweiz zwischen 1871 und 2022 untersucht und in den jeweiligen historischen Kontext gesetzt. Dazu nutzten sie die regelmässig erhobenen Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) sowie für die Jahre 1987 bis 2022 die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung (BEVNAT). Dabei verglich das Team die monatlichen Beobachtungswerte mit den Zahlen, die aufgrund des Vorjahres zu erwarten gewesen wären. Neben den langfristigen Trends interessierten besonders auch frühere und jüngere Pandemieperioden.
13 Prozent mehr Geburten während der Pandemie
Die Studie zeigt, dass die Geburtenrate in der Schweiz seit etwa 2018 generell rückläufig ist und sich einem historischen Tiefststand nähert. Im Jahr 2021 – also im zweiten Jahr der COVID-19-Pandemie – kam es jedoch überraschenderweise vorübergehend zu einem zweimaligen Anstieg der Geburten um maximal rund 13 Prozent. Besonders im ersten Pandemiejahr 2020 während und kurz nach den Shutdown-Massnahmen konnten mehr Zeugungen verzeichnet werden. «Unsere Analyse zeigt, dass während dieser Zeit der Geburtenanstieg besonders bei Schweizerinnen und bei Müttern über 30 Jahren ausgeprägt war», sagt Erstautorin Katarina Matthes vom Institut für Evolutionäre Medizin.
Die genauen Gründe für diesen kurzzeitigen Boom seien noch nicht geklärt, so die Autoren. Es spreche aber vieles dafür, dass die Zeit zu Hause sowie eine bessere Work-Life-Balance während der Pandemie zu vorgezogenen Schwangerschaften geführt hätten. Im internationalen Vergleich zeigte einzig Frankreich eine ähnliche Entwicklung – Deutschland, Österreich und Italien wiesen dagegen keine so ausgeprägte Geburtenzunahme auf wie die Schweiz.
Geburtenrückgang ab Februar 2022
Nach diesem vorübergehenden Anstieg setzte sich ab Februar 2022 jedoch auch in der Schweiz der vormalige negative Trend der Geburtenrate wieder verstärkt fort. Davon waren besonders Nicht-Schweizerinnen und Mütter unter 30 Jahren betroffen. Die Forschenden vermuten, dass junge Frauen im Frühling 2021 aus Vorsicht lieber die COVID-19-Impfung abwarteten, bevor sie schwanger wurden.
Darüber hinaus könnten noch andere Gründe für den anhaltenden Geburtenrückgang verantwortlich sein: «Möglicherweise findet ein gesellschaftlicher Wertewandel statt und junge Menschen wollen weniger oder keine Kinder haben», erklärt Matthes. Die eigene Zukunft wird durch wirtschaftliche Sorgen, Unsicherheit oder Klimawandel als unsicher wahrgenommen und könnte die steigende freiwillige Kinderlosigkeit miterklären. Im Rahmen eines UZH PRC Grants wird Letztautor Kaspar Staub diese Fragestellung gemeinsam mit Forschenden der UZH in einem interdisziplinären Projekt weiter untersuchen.
Einbruch der Geburtenrate bei früheren Pandemien
Die Schwankungen der Geburtenrate während und nach der COVID-19-Pandemie war für das Forscherteam in der langfristigen Betrachtung überraschend, besonders im Vergleich zu anderen Pandemien in der Vergangenheit. «Wir konnten aufzeigen, dass sich die Geburtenrate während und nach den Pandemien von 1889-90, 1918-20 und 1957, bei denen jeweils ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung erkrankt war, anders verhielt als während und nach der Pandemie COVID-19», sagt Kaspar Staub, Titularprofessor am Institut für Evolutionäre Medizin.
So kam es bei den früheren Pandemien etwa 6-9 Monate nach dem Höhepunkt jeweils zu einem Einbruch der Geburtenrate um 12-25 Prozent, der jedoch nur kurz anhielt. Wahrscheinliche Gründe dafür sind eine infektionsbedingt verringerte Fruchtbarkeit sowie eine erhöhte Fehlgeburtenrate. Dass es bei COVID-19 in der ersten Pandemie-Phase nicht zu einem solchen Geburtenrückgang kam, sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Infektionen in der Bevölkerung im Jahr 2020 dank der Public Health Schutzmassnahmen relativ gering war, so die Autorinnen und Autoren.
Literatur
Katarina L. Matthes, Mathilde Le Vu, Kaspar Staub. Fertility dynamics through historical pandemics and COVID-19 in Switzerland, 1871–2022. Population Studies, 11 March 2025. Doi: 10.1080/00324728.2025.2462291
Kontakt
Prof. Dr. phil. Kaspar Staub
Leiter der Forschungsgruppe Anthropometrie und Historische Epidemiologie
Institut für Evolutionäre Medizin
Universität Zürich
+41 44 635 05 13
kaspar.staub@iem.uzh.ch
Prof. Dr. phil. Kaspar Staub
Leiter der Forschungsgruppe Anthropometrie und Historische Epidemiologie
Institut für Evolutionäre Medizin
Universität Zürich
+41 44 635 05 13
kaspar.staub@iem.uzh.ch
Katarina L. Matthes, Mathilde Le Vu, Kaspar Staub. Fertility dynamics through historical pandemics and COVID-19 in Switzerland, 1871–2022. Population Studies, 11 March 2025. Doi: 10.1080/00324728.2025.2462291
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2025/Geburtenrate.html
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).