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12.03.2025 08:54

Bücher in Händen der Neuen Rechten

Dr. Jutta Witte Stabsstelle Hochschulkommunikation
Universität Stuttgart

    Keine politische Strömung arbeitet gegenwärtig so intensiv mit Literatur wie die Neue Rechte. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Universität Stuttgart. Sie haben die Entwicklung erstmals umfassend analysiert und zeigen: Die ideologische Instrumentalisierung von Prosa und Lyrik hat im deutschsprachigen Raum ein beachtliches Ausmaß angenommen. Durch Literatur will die neurechte Szene kulturelle Deutungshoheit gewinnen und breiten gesellschaftlichen Anschluss finden. Wie sie vorgeht und wie weit sie gekommen ist, erklärt die Gruppe um Torsten Hoffmann zusammen mit Wissenschaftler*innen in einem Themenheft der Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte.

    Literatur ideologisch instrumentalisieren

    „Literaturpolitik ist im 21. Jahrhundert kein Nebenschauplatz politischer Arbeit mehr. Sie ist zu einem der wichtigsten Interventionsgebiete neurechter Think Tanks avanciert“, sagt Torsten Hoffmann, Professor für Neuere deutsche Literatur am Institut für Literaturwissenschaft (ILW) der Universität Stuttgart. Im Rahmen des Projekts „Neurechte Literaturpolitik“ untersuchen Hoffmann und sein Team Bücher, Rezensionen, Lektüreempfehlungen, Videos, Podcasts, Blogbeiträge, Verlagsprogramme und Zeitschriftenartikel der Neuen Rechten und ihres Umfeldes sowie Parteiprogramme und Reden, in denen Literatur ideologisch instrumentalisiert wird. Genutzt werden nicht nur Bücher und Gedichte aus der Feder rechter oder neurechter Autor*innen, sondern auch Werke aus dem etablierten Kanon der klassischen und Gegenwartsliteratur. Umstrittene Essayisten und Schriftsteller wie Ernst Jünger, Gottfried Benn oder Botho Strauß stehen ebenso auf der Literaturliste der Neuen Rechten wie Friedrich Schiller, J.R.R. Tolkien oder Autor*innen von der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

    In neue Milieus vorstoßen

    „Die Neue Rechte will in neue Milieus vorstoßen – von jungen Menschen über das literaturbegeisterte Bildungsbürgertum bis in die akademische Landschaft. Dabei finden sich in den vermeintlich literaturbezogenen Texten oft deutlich radikalere Positionen als in den ausdrücklich politischen Essays“, sagt Hoffmann. Er und seine Ko-Autor*innen definieren die Neue Rechte als eine Strömung innerhalb der rechtsextremen Szene, die sich schon lange um Intellektualisierung bemüht, um das so genannte metapolitische Feld zu bespielen. Diese Metapolitik ziele nicht auf kurzfristige Wahlerfolge ab, sondern darauf, die Gesellschaft, ihre Werte, Denkweisen und Narrative ideologisch zu beeinflussen und so indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen, erläutert Hoffmann. „Bestrebungen der Neuen Rechten, auch nicht politische Felder der Gesellschaft zu bespielen, sehen wir schon länger. Neu ist das Ausmaß, mit dem das inzwischen geschieht“, so Hoffmann.

    Bildungssystem und Hochschulen im Visier

    Wie hat sich die Literaturpolitik der Neuen Rechten seit den 1950er Jahren entwickelt? Welche Rolle spielt dabei der Geschichtsrevisionismus? Welche aktuellen Tendenzen gibt es und in welchen gesellschaftlichen Bereichen werden sie sichtbar? Welche Strategien, Akteur*innen und Institutionen stehen dahinter? Antworten auf diese Fragen gibt das neue Themenheft „Neurechte Literatur und Literaturpolitik“. Ein Massenphänomen sehen die Wissenschaftler*innen zwar noch nicht, aber sie beobachten, wie die Neue Rechte zunehmend das Bildungssystem und akademische Milieus ins Visier nimmt und sich beispielsweise um die Gründung rechter Lesekreise in Universitätsstädten bemüht. Wie dabei Literatur im eigenen Sinne umgedeutet wird, zeigt zum Beispiel der neurechte Umgang mit dem dystopischen Romanklassiker „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury. Er beschreibt eine Diktatur, in der Bücher verboten sind und verbrannt werden, weil sie die Menschen zum selbstständigen Denken anregen und die öffentliche Sicherheit gefährden. „Die Neue Rechte vergleicht dieses Regime mit unserer Gesellschaft und inszeniert sich als Freiheitsbewegung gegen eine vermeintliche Meinungsdiktatur“, sagt Hoffmann.

    Neues und hochaktuelles Thema

    Das Themenheft „Neurechte Literatur und Literaturpolitik“ geht auf die erste literaturwissenschaftliche Tagung zur Neuen Rechten zurück, die vom 25. bis 27. Januar 2024 in Stuttgart stattfand. „Wir arbeiten hier an einem neuen und hochaktuellen Thema“, betont der Literaturwissenschaftler und verweist auf die Dynamik dieses Forschungsgegenstandes, der sich kontinuierlich verändere und erweitere. In Vorbereitung ist ein Workshop, an dem auch Forschende aus den Politik-, Sozial- und Geschichtswissenschaften beteiligt sein werden.

    Zum Projekt und zur Publikation

    Das Projekt „Neurechte Literaturpolitik“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2023 und noch bis zum 30.8.2026 gefördert.

    Publikation: Nicolai Busch, Torsten Hoffmann, Kevin Kempke, Neurechte Literatur und Literaturpolitik, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (2024) 98.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Torsten Hoffmann, Universität Stuttgart, Institut für Literaturwissenschaft, Tel.: +49 711 685-82801, torsten.hoffmann@ilw.uni-stuttgart.de


    Originalpublikation:

    https://link.springer.com/journal/41245/volumes-and-issues/98-4


    Weitere Informationen:

    https://www.srcts.uni-stuttgart.de/abteilungen/hermeneutik/neurechte-literaturpo...
    https://www.ilw.uni-stuttgart.de/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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