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Wissenschaft
Lediglich eine Handvoll Pathologinnen und Pathologen sind in Deutschland auf Nierenpathologie spezialisiert. Das Uniklinikum Erlangen gilt als das größte Zentrum für Nephropathologie in Deutschland und eines der größten in der Welt. Mit aufgebaut hat es die Professorin Kerstin Amann, sie wurde dafür 2024 von der European Renal Association (ERA) mit dem „ERA Award for Research Excellence in Nephrology“ geehrt. Wir sprachen mit Prof. Amann über ihre Arbeit.
„Die Niere ist das Fenster zum Körper.“ Diese Aussage wird oft dem Nephrologen und Internisten Franz Volhard (1872 – 1950) zugeschrieben. Volhard war ein deutscher Arzt, der die zentrale Rolle der Niere für viele Körperfunktionen und Krankheitsprozesse erkannte: Neben onkologischen und nichtonkologischen Erkrankungen der Niere selbst liefert die Untersuchung der Nierenfunktion und des Urins wichtige Einblicke in den Gesundheitszustand des gesamten Körpers. Die Niere spiegelt als zentrales Organ des Stoffwechsels viele Vorgänge im Körper wider und kann daher als Fenster zur Beurteilung der allgemeinen Gesundheit dienen. Dementsprechend umfassend ist die Arbeit der Nierenpathologie bzw. der Nephropathologie.
Zahlen - Daten - Fakten
Womit sich die Nephropathologie befasst:
- onkologische Erkrankungen der Niere, erblich bedingte und nichterbliche Tumoren
- nichtonkologische Erkrankungen der Niere, z. B. Entzündungen der Nierenkörperchen (Glomeruli), des Tubulointerstitiums oder der Gefäße
- systemische Erkrankungen im Körper mit Nierenbeteiligung, z. B. Stoffwechselstörungen (Diabetes), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Bluthochdruck, Herzinsuffizienz), Autoimmunerkrankungen (Lupus), Gefäßerkrankungen und andere
- Organtransplantationen (Niere und Pankreas)
Etwa 7.500 Nierenbiopsien werden jährlich im spezialisierten Zentrum für Nephropathologie des Uniklinikums Erlangen bearbeitet. Davon stammen 300 Nierenbiopsien direkt aus den medizinischen Kliniken des Uniklinikums Erlangen. Etwa 7200 Nierenbiopsien davon stammen aus dem Klinikum Nürnberg und von über 100 externen Einsendern aus dem gesamten Bundesgebiet.
Zusätzlich werden nephropathologische Präparate aus der ganzen Bundesrepublik konsiliarpathologisch mit begutachtet.
Ca. 5 größere spezialisierte Nephropathologien gibt es in Deutschland.
Nachgefragt bei …
… bei Prof. Dr. Kerstin Amann, Leiterin der Nephropathologie am Uniklinikum Erlangen:
Die Nierenpathologie ist ein sehr vielseitiges Fachgebiet. Welche Erkrankungen untersuchen Sie in Ihrer täglichen Arbeit?
KA: Wir untersuchen an Gewebeproben Erkrankungen der Niere selbst – onkologische und nichtonkologische. Darüber hinaus zeigt Nierengewebe auch Veränderungen bei Erkrankungen an anderen Stellen im Körper, wie Stoffwechselstörungen, Lebererkrankungen, Bluterkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und Gefäßentzündungen. Die Nephropathologie ist zudem unverzichtbar bei Organtransplantationen, v.a. der Niere und des Pankreas. Jede dieser Erkrankungen kann sich unter dem Mikroskop anders darstellen, und es braucht viel klinische und pathologische Erfahrung, um sie zu erkennen, richtig zu interpretieren und zu beschreiben. Das hilft den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, die richtige Diagnose zu stellen und die beste Behandlung für die Betroffenen zu finden. Die Untersuchungen in der Nephropathologie sind zudem besonders wertvoll, da sie oft Frühsymptome erkennen können, bevor andere klinische Anzeichen auftreten.
Bei der Behandlung onkologischer Erkrankungen herrscht eine große Dynamik. Wie äußert sich das bei Nierentumoren?
KA: Als ich studiert habe, gab es 4 Typen von Nierentumoren. In der aktuellen WHO-Klassifikation von 2022 werden 22 verschiedene Entitäten von Nierentumoren und über 20 Mischtypen, seltene und molekulare Typen mit spezifischen Mutationen beschrieben. Alle 2 bis 3 Jahre wird die WHO-Klassifikation für Nierentumoren überarbeitet, um neue Erkenntnisse zu berücksichtigen – eine rasante Entwicklung. Grund dafür sind die neuen diagnostischen Verfahren. Dass es Unterschiede in den Tumoren gibt, haben wir früher schon gesehen. Aber die Technologien von heute geben uns die Möglichkeit, gemeinsam mit Fachleuten auf der ganzen Welt zu forschen, Alleinstellungsmerkmale, Mutationen, molekulare Unterschiede zu finden und die Klassifikation weiterzuschreiben. Wir Nephropathologinnen und -pathologen sind eine treibende Kraft der experimentellen und klinischen Tumorforschung geworden. Unsere Hauptaufgabe ist allerdings weiterhin, die fast 50 Tumortypen im Alltag dann auch präzise pathologisch zu befunden, um Menschen zu helfen.
KA: Auch der Bereich systemischer Erkrankungen mit Nierenbeteiligung liegt in Ihrem Zuständigkeitsbereich. Ist hier die Entwicklung ähnlich dynamisch?
Dieser Bereich ist noch viel umfassender als der Onkologische. Ja, auch hier herrscht aktuell eine enorme Dynamik, man kann schon von Euphorie unter den Nierenärzten sprechen. Viele neue Therapien versprechen die Behandlung von Nierenerkrankungen und insbesondere der chronischen Niereninsuffizienz grundlegend zu verändern und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu verbessern. Ein interessantes Beispiel ist die Dialyse: 2022 benötigten 86.000 Menschen in Deutschland diese lebenserhaltende Maßnahme – das ist der niedrigste Wert seit zehn Jahren, trotz steigender Diagnosezahlen. Neue Therapien, die den Nierenfunktionsverlust signifikant verzögern, könnten in Zukunft zu einer Stabilisierung oder einem weiteren Rückgang der Dialysezahlen beitragen. Das ist eine großartige Nachricht für Betroffene. Ähnliche Erfolge und Durchbrüche gibt es auch bei anderen Erkrankungen: In den hochrangigen Fachzeitschriften finden Sie heute in jeder Ausgabe 2 bis 3 Beiträge aus der Nephrologie – das gab’s noch nie. Die Nephrologie, einschließlich der Nephropathologie, erlebt gerade die spannendste Phase der letzten 50 Jahre, nachdem es jahrzehntelang keine substanziellen Verbesserungen gab. Unsere Rolle als spezialisierte Pathologen und Pathologinnen – und das ist das Schöne – ist heute differenzierter und komplexer, aber auch spannender und bedeutender als je zuvor.
KA: Warum gibt es bei so viel Arbeit nur eine Handvoll Nephropathologinnen und -pathologen an wenigen Standorten in Deutschland?
Technisch gesehen kann nicht jeder Standort Nephropathologie anbieten: Man braucht die Elektronenmikroskopie, das ist nach wie vor der Goldstandard in der Nierenpathologie – eine teure Methode, die ihre Besonderheiten hat. Darüber hinaus ist die Spezialisierung aufwändig und dauert lange. Neben der Pathologie-Facharztausbildung braucht man ein großes klinisches Verständnis, sollte also auch klinisch tätig gewesen sein. Denn bereits die klinische Expertise erlaubt es, die Richtung einer Nierenerkrankung zu erkennen. Diese zeitintensive Tätigkeit in Klinik und Pathologie schreckt viele Nachwuchspathologinnen und -pathologen ab, so dass wir Nachwuchssorgen haben. Ich freue mich, dass im Rahmen der diesjährigen DGP-Jahrestagung im Juni in Leipzig darüber diskutiert werden soll, wie wir spezialisierte Pathologie – nicht nur Nephropathologie – künftig in Deutschland sicherstellen wollen.
Zitat
Prof. Dr. Kerstin Amann, Leiterin der Nephropathologie am Uniklinikum Erlangen:
„In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Pathologie oft auf die Tumordiagnostik reduziert, was den Fortschritten in der Krebstherapie und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit geschuldet ist. Dieses Bild verzerrt jedoch die Vielfalt unseres Fachgebiets erheblich. Tatsächlich erstreckt sich unser Tätigkeitsfeld weit über die Tumorpathologie hinaus. Es ist von großer Bedeutung, insbesondere für den pathologischen Nachwuchs, dass sich diese einseitige Wahrnehmung wandelt. Den Anfang müssen wir in unserer eigenen Fachgemeinschaft machen, beginnend bei unseren Kongressen. Ich begrüße es daher sehr, dass die nichtonkologische Pathologie auf der diesjährigen DGP-Jahrestagung im Juni in Leipzig eine prominentere Rolle einnehmen wird."
Ansprechpartnerin für Medienanfragen
Beatrix Zeller, Tel: +49 30 25760 727
geschaeftsstelle@pathologie-dgp.de
https://www.pathologie-dgp.de/die-dgp/monatsthemen/?tx_news_pi1%5Baction%5D=deta...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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