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19.03.2025 09:00

Kinder & Jugendliche aus der Ukraine sprechen inzwischen gut Deutsch, fühlen sich aber der Schule nur bedingt zugehörig

Dr. Christian Fiedler Pressestelle
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

    Unter den mehr als einer Million Ukrainerinnen und Ukrainern, die seit Februar 2022 in Deutschland Schutz gefunden haben, befinden sich etwa 357.000 Minderjährige. Einen Teil von ihnen, die 11- bis 17-Jährigen, hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer Zusatzbefragung des BiB/FReDA-Projektes „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“ nun erstmals selbst zu ihrer Lebenssituation befragt. Die Untersuchung erhebt wichtige Informationen zum Zugehörigkeitsgefühl zur Schule, zu Freizeitaktivitäten, zur Lebenszufriedenheit und zu den Bleibeabsichten von ukrainischen Kindern und Jugendlichen.

    Deutliche Steigerung der Sprachkompetenz

    Zum Befragungszeitpunkt im Sommer 2024 besuchten fast alle Kinder und Jugendlichen den regulären Unterricht. Lediglich 9 Prozent nahmen für manche Schulfächer eine spezielle Klasse für Geflüchtete in Anspruch, nur 6 Prozent saßen ausschließlich in solchen Klassen. Außerdem gaben 33 Prozent der Befragten an, an einem ukrainischen Online-Unterricht teilzunehmen. Unmittelbar nach Ankunft in Deutschland hatte noch rund ein Drittel spezifische Klassen für Geflüchtete besucht. „Zwischenzeitlich konnten nahezu alle Kinder und Jugendliche in Regelklassen wechseln“, fasst Dr. Ludovica Gambaro, Mitautorin der BiB-Studie, das Ergebnis zusammen. Dies spiegelt sich auch in den Sprachkenntnissen wider: Während bei ihrer Ankunft mehr als 92 Prozent keine Deutschkenntnisse besaßen, sprach im Sommer 2024 mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Schülerinnen und Schüler nach eigenen Angaben gut oder sehr gut Deutsch; weitere 35 Prozent beurteilten ihre Deutschkenntnisse als nicht gut, aber auch nicht schlecht.

    Gefühl der Schulzugehörigkeit hängt auch von den Zukunftsplänen ab

    Ein Schulbesuch kann sich stabilisierend auf Kinder und Jugendliche auswirken. „Schülerinnen und Schüler, die sich an ihrer Schule akzeptiert und unterstützt fühlen, zeigen eine höhere Lernmotivation und ein höheres Selbstbewusstsein“, weiß Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Mitautorin der Studie und Direktorin des BiB. Deshalb sei die Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls zur Schule ein wichtiger Baustein zur Integration in Deutschland. Der Großteil der befragten Minderjährigen aus der Ukraine zeigt bislang aber nur ein relativ geringes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Schule. Im Vergleich dazu hatten Jugendliche aus Syrien oder Afghanistan etwa zwei Jahre nach Ankunft in Deutschland ein überdurchschnittliches Schulzugehörigkeitsgefühl. „Vielen Schulen ist es demnach noch nicht gelungen, neu zugewanderte Kinder und Jugendliche aus der Ukraine so in den Schulalltag zu integrieren, dass sich ein Großteil in der Schule wohl fühlt und dort gute soziale Kontakte knüpfen kann“, erklärt Spieß. Insbesondere ältere Schülerinnen und Schüler haben ein geringeres Schulzugehörigkeitsgefühl. Dagegen fühlen sich die befragten Kinder und Jugendlichen, die ihre Zukunft langfristig in Deutschland sehen, ihrer Schule stärker verbunden. Dies trifft auch auf Befragte zu, die sich mittlerweile bessere Deutschkenntnisse angeeignet haben.

    Sport, Musik und Kunst sind die häufigsten Freizeitaktivitäten

    Außerschulische Aktivitäten bieten gute Gelegenheiten, um nach der Schule mit Gleichaltrigen zusammenzukommen und sich auszutauschen. Wie aus der Untersuchung hervorgeht, nehmen zwei Drittel (64 Prozent) der Kinder und Jugendlichen an mindestens einer außerschulischen Aktivität teil. Mit Abstand am beliebtesten ist dabei Sport, gefolgt von Kunst und Musik. Bei den Mädchen werden künstlerisch-musische Angebote sogar genauso häufig genutzt wie sportliche. Jugendgruppen werden etwas seltener besucht, nämlich von knapp unter zehn Prozent. Rund 35 Prozent der befragten Minderjährigen gaben an, dass sie keiner dieser Freizeitaktivitäten nachgehen. Wenig überraschend ist der Befund, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mit besseren Deutschkenntnissen häufiger Freizeitangebote nutzen, auch wenn Sprachbarrieren hierbei meist geringer sind als in der Schule.

    Kinder zeigen höhere Lebenszufriedenheit als ihre Eltern

    Die Messung der allgemeinen Lebenszufriedenheit gilt als sehr gutes Maß für die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen. Auf einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) gaben die Befragten im Mittel einen Wert von 7,3 an – etwas mehr als 50 Prozent nannten Werte von 8 und höher. Allerdings berichten auch 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen geringe Zufriedenheitswerte von 6 oder niedriger. Dies sind mehrheitlich ältere Jugendliche, solche mit Rückkehrabsicht und jene, deren enge Freunde alle in der Ukraine leben. Insgesamt zeigen sich bei Kindern und Jugendlichen jedoch tendenziell höhere Werte in der Lebenszufriedenheit als bei Erwachsenen. Die Teilnahme an außerschulischen Freizeitaktivitäten, Freundschaften in Deutschland und gute Sprachkenntnisse stehen in engem Zusammenhang mit einer höheren Zufriedenheit. Außerdem zeigen Minderjährige höhere Werte in der Lebenszufriedenheit, wenn sie mit beiden Elternteilen in Deutschland leben.

    Mehr als ein Drittel will in Deutschland bleiben, viele sind noch unentschlossen

    Die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen hängt eng zusammen mit Bleibe- oder Rückkehrwünschen. Mehr als ein Drittel der 11- bis 17-Jährigen gab an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen, nahezu ebenso viele sind noch unentschlossen. 12 Prozent möchten noch einige Jahre bleiben, weitere 18 Prozent zumindest bis zum Ende des Krieges. Anders ist die Verteilung bei den befragten Eltern: Von ihnen haben sich rund 20 Prozent noch nicht entschieden, während 50 Prozent für immer in Deutschland bleiben möchten. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Eltern diese Frage anders beurteilen können als Kinder, so ist dieser Unterschied dennoch von Bedeutung, wie Gambaro findet: „Wenn die Unsicherheit von Kindern beim Verbleib größer ist als bei den Eltern, dann erschwert das ihre Lebenssituation und das ‚Ankommen‘ in Deutschland.“

    Über die Studie

    Die Studie basiert auf der vierten Welle der „BiB/FReDA-Befragung: Geflüchtete aus der Ukraine“, welche zwischen März und Juni 2024 2.926 erwachsene Ukrainerinnen und Ukrainer befragt hat. Zudem wurden in dieser Welle erstmals auch deren Kinder befragt. Diese zusätzliche Stichprobe von knapp 500 minderjährigen Kindern und Jugendlichen, die in den ersten vier Monaten mit ihren Eltern nach Kriegsausbruch nach Deutschland gekommen sind, besteht zu etwa gleichen Teilen aus Mädchen und Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren. 71 Prozent der Befragten haben die Fragen online beantwortet, mehrheitlich auf Ukrainisch. Um repräsentative Aussagen zu erhalten, werden bei den Analysen Gewichte verwendet.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Ludovica Gambaro Ludovica.Gambaro@bib.bund.de
    Prof. Dr. C. Katharina Spieß C.Katharina.Spiess@bib.bund.de


    Originalpublikation:

    Gambaro, Ludovica; Spieß, C. Katharina; Daelen, Anna; Ette, Andreas (2025): Geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. In: BiB.Aktuell 2/2025


    Weitere Informationen:

    http://www.bib.bund.de/Publikation/2025/BiB-Aktuell-2025-2


    Bilder

    Entwicklung der Sprachkenntnisse ukrainischer Kinder und Jugendlicher im Alter von 11 bis 17 Jahren seit ihrer Ankunft in Deutschland (in Prozent)
    Entwicklung der Sprachkenntnisse ukrainischer Kinder und Jugendlicher im Alter von 11 bis 17 Jahren ...

    Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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