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19.03.2025 10:59

"Bei so vielen Verkehrstoten müssen wir Klartext reden"

Sabine Letz RIFS Presse und Kommunikation
Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

    Das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten deutlich zu senken, liegt nach wie vor in weiter Ferne. Das zeigen die jüngsten Statistiken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Berichtet wird darüber meist sehr distanziert und formelhaft. Jetzt zeigt ein neuer Leitfaden des Centre for Development and Environment der Universität Bern, des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Wien und des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) wie Sprache dazu beitragen könnte, das Bewusstsein für mehr Verkehrssicherheit zu erhöhen.

    Bern, Potsdam, Wien, 19. März 2025.
    2780 Menschen sind im vergangenen Jahr im Straßenverkehr in Deutschland "ums Leben gekommen" – so hat es das Statistische Bundesamt Ende Februar 2025 mitgeteilt. Ähnlich distanziert berichteten die Medien über die Zahl von Verkehrstoten. Wenn ein Mensch im Verkehr stirbt, dann beschreibt man das üblicherweise so: Er erlag seinen Verletzungen, sie zog sich tödliche Verletzungen zu.

    Eine kritische Auseinandersetzung mit Formulierungen dieser Art liefert der nun veröffentlichte Leitfaden "Unfallsprache – Sprachunfall". Fachleute aus Linguistik und Sozialwissenschaften des des Centre for Development and Environment der Universität Bern, des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Wien und des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) Potsdam sowie Expertinnen und Experten von Polizei, Mobilitätsplanung und Medien haben zahlreiche Unfallberichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz analysiert. Ihr Befund: Verkehrsunfälle werden meist als schicksalhafte Ereignisse beschrieben. Und fast immer erscheinen sie als isolierte Einzelereignisse.

    „Die Art, wie wir über Unfälle sprechen, prägt unser Verständnis von Verantwortung und Prävention", sagt Sprachwissenschaftler Hugo Caviola, der das Projekt geleitet hat. „Polizei und Medien berichten aber oft nur knapp und formelhaft über Verkehrsunfälle, die dadurch als unvermeidlich wahrgenommen werden." Der am Leitfaden beteiligte RIFS-Wissenschaftler Dirk von Schneidemesser ergänzt: „Was nicht erwähnt wird, ist genauso wichtig wie das, was gesagt wird. Nur etwa fünf Prozent der Unfallberichte nennen eine Statistik – und ohne diesen Kontext wirken Kollisionen wie Einzelfälle. Doch bei über 2.500 Toten und insgesamt mehr als 280.000 Verletzten pro Jahr ist klar: Das ist kein Zufall, sondern ein systemisches Problem. Lösungen gibt es längst – sie müssen nur Priorität bekommen."

    Ein Leitfaden für eine präzisere Sprache

    Der Leitfaden richtet sich insbesondere an Polizei und Medien. Er soll aber auch dazu beitragen, die Verantwortung aller für die Verkehrssicherheit sprachlich sichtbar zu machen.

    Dazu gibt er fünf Empfehlungen:

    • Unfälle nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen. Beispiel: "A und B kollidierten" statt "Es kam zum Unfall."
    • Alle beteiligten Personen und deren Handlungen benennen. Beispiel: "Fußgängerin von Velofahrer angefahren" statt "Fußgängerin angefahren".
    • Die Perspektiven der Beteiligten klar kennzeichnen. Beispiel: "Der Autofahrer erklärte, er habe die Fußgängerin übersehen." statt "Der Autofahrer übersah die Fußgängerin."
    • Den Ermittlungsstand transparent machen. Beispiel: "Wie schnell die Autofahrerin unterwegs war, ist nicht bekannt." statt "Die Hintergründe des Unfalls sind Gegenstand der Ermittlungen."
    • Einzelereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen. Beispiel: "Das ist die vierte Kollision auf dieser Kreuzung in diesem Jahr."

    „Eine präzisere Sprache kann helfen, Verkehrsunfälle als Teil eines veränderbaren Systems zu begreifen – und nicht als schicksalhafte Einzelfälle“, so Hugo Caviola. „Denn bei so vielen Verkehrstoten müssen wir Klartext reden.“

    Der Leitfaden liegt in drei Versionen vor: als ausführliches PDF, als Kurzfassung sowie als Übersichtsblatt – sowohl digital als auch gedruckt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Schweiz: Centre for Development and Environment der Universität Bern
    Hugo Caviola
    E-Mail: hugo.caviola@unibe.ch
    Tel.: +41 61 921 21 71

    Österreich: Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien
    Martin Reisigl
    E-Mail: Martin.Reisigl@univie.ac.at
    Tel. +43 1 4277 41712

    Deutschland: Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam
    Dirk von Schneidemesser
    E-Mail: Dirk.von.Schneidemesser@rifs-potsdam.de
    Tel.: +49 331 6264 22430


    Originalpublikation:

    Hugo Caviola, Martin Reisigl, Andrea Sedlaczek, Felix Schindler, Dirk von Schneidemesser, Michael Wirz, Immo Janssen: Unfallsprache – Sprachunfall, 2025.


    Weitere Informationen:

    http://Zum Leitfaden: https://sprachkompass.ch/themen/verkehr/sprachunfall-unfallsprache
    http://Zum Artikel: https://www.rifs-potsdam.de/de/news/bei-so-vielen-verkehrstoten-muessen-wir-klar...
    http://Zum Forschungsprojekt "Sprachkompass": https://sprachkompass.ch/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Sprache / Literatur, Verkehr / Transport
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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