idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Erste gesamtdeutsche Analyse zu kommunalen Kooperationen der etablierten Parteien mit der AfD
Die vielbeschworene Brandmauer, also die Ablehnung von Kooperationen mit der AfD, erweist sich in ostdeutschen Kreisen als ähnlich stabil wie in westdeutschen. Dieser Befund überrascht – lagen die Wahlergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl im Osten doch fast doppelt so hoch wie im Westen. In Kreistagen und Stadträten wurden in den Jahren 2019 bis 2024 bundesweit rund 81 Prozent der von der AfD eingebrachten Anträge abgelehnt. Im Durchschnitt gab es dabei nur einen geringen Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Auffällig ist jedoch, dass in ländlichen Regionen Ostdeutschlands tendenziell häufiger mit der AfD kooperiert wurde als in ländlichen Gebieten Westdeutschlands. Dies zeigt die erste flächendeckende Analyse zum Zustand der Brandmauer auf kommunaler Ebene, die Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) jetzt vorgelegt haben.
Die Studie von Daniel Ziblatt, Wolfgang Schroeder und Florian Bochert erfasst erstmals systematisch für alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte die Anzahl und die Formen der Kooperationen zwischen AfD und etablierten Parteien. Dazu haben die Forscher 11.053 Sitzungen von Kreistagen und Stadträten zwischen Mitte 2019 und Mitte 2024 analysiert. Berücksichtigt haben sie ausschließlich direkte Kooperationen mit der AfD, das heißt Fälle, in denen andere Parteien Anträgen der AfD zugestimmt haben.
Im untersuchten Zeitraum stellte die AfD insgesamt 4.968 inhaltliche Anträge, von denen 934 die Zustimmung anderer Parteien fanden. Damit kam es in etwa 19 Prozent der Fälle zu einer direkten Kooperation mit der AfD (siehe Tabelle 1). In rund 81 Prozent der Fälle hielt die Brandmauer jedoch – die AfD-Anträge fanden nicht die Unterstützung der anderen Parteien. In 177 von 347 Kreisen kam es sogar zu keiner einzigen Kooperation (in 82 dieser Kreise hatte die AfD jedoch auch keinen Antrag gestellt).
Insgesamt gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Dennoch fällt auf, dass in ländlichen Räumen Ostdeutschlands tendenziell häufiger mit der AfD kooperiert wurde als in eher städtisch geprägten Räumen: In Landkreisen in Ostdeutschland gab es 26,9 Prozent Kooperation, in kreisfreien Städten nur 16 Prozent. In Westdeutschland zeigt sich dieser Unterschied zwischen Stadt und Land nicht.
In absoluten Zahlen gab es die meisten Kooperationen in Hessen (203), Sachsen (124) und Sachsen-Anhalt (129). Im Landkreis Fulda, in Dresden und in Frankfurt am Main wurde die Brandmauer mit über 40 Kooperationen vergleichsweise häufig durchbrochen (siehe Abbildung 2). Allerdings gab es hier auch deutlich mehr Sitzungen und Anträge pro Jahr als in anderen Kreisen. Deshalb ist es aussagekräftiger, die Kooperationen ins Verhältnis zur Anzahl der eingereichten Anträge zu stellen. Gemessen an diesem Verhältnis fanden die meisten Kooperationen in Sachsen-Anhalt (27 Prozent), Rheinland-Pfalz (24,7 Prozent) und Hessen (24,3 Prozent) statt. Kreise, in denen die AfD stark vertreten oder besonders aktiv ist, zeigten nicht zwangsläufig die meisten Kooperationen mit der Partei. Vielmehr sind es einzelne Kreise im gesamten Bundesgebiet, die durch viele Kooperationen auffallen.
Besonders häufig stimmten Kleinstparteien und Wählerverbände Anträgen der AfD zu, gefolgt von der FDP und der CDU. Keine der etablierten Parteien hält die Brandmauer durchgehend erfolgreich aufrecht. Selbst die Linke kooperierte in bestimmten Fällen mit der AfD. In den ostdeutschen Kreisen waren es häufig nicht die auf Bundesebene umstrittenen Themen, bei denen die AfD Kooperationen erzielte, sondern administrative oder infrastrukturelle Themen wie etwa Verkehrsprojekte. In den westdeutschen Kreisen hingegen kam es deutlich öfter zu Kooperationen bei strittigen Themen wie Asyl und COVID-19.
Die Studie ist als WZB Discussion Paper erschienen und als Link unter Originalpublikation verfügbar.
Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt, Florian Bochert: Hält die Brandmauer? Eine gesamtdeutsche Analyse: Wer unterstützt die AfD in den deutschen Kreistagen (2019-2024). WZB Discussion Paper SP V 2025-501, März 2025
Wolfgang Schroeder ist Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professor an der Universität Kassel.
Daniel Ziblatt ist am WZB Direktor der Abteilung Transformationen der Demokratie und Eaton-Professor für Regierungswissenschaften an der Harvard Universität.
Florian Bochert ist studentischer Mitarbeiter am WZB.
Prof. Dr. Wolfgang Schroeder
E-mail: wolfgang.schroeder@wzb.eu
Claudia Roth
Stellvertretende Leiterin Kommunikation
E-mail: claudia.roth@wzb.eu
Tel.: 030 - 25491 510
https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2025/v25-501.pdf
http://Tabelle 1:
https://wzb.eu/files/image/sv/k/Tabelle1_DP_SP%20V%202025-501_Brandmauer.png
http://Abbildung 2:
https://wzb.eu/files/image/sv/k/Abbildung2_DP_SP%20V%202025-501_Brandmauer.PNG
http://Grafik (Landkarte):
https://datawrapper.dwcdn.net/8v2gM/4/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Gesellschaft, Politik
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).