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Wie und wo endet das Leben von Schiffen? Bisher still an südostasiatischen Stränden. Die DSM-Wissenschaftlerin Anja Binkofski erforscht, welche Chancen ein modernes und nachhaltiges Schiffsrecycling in Norddeutschland bieten könnte. Die Hongkong Konvention, deren Inkrafttreten am 26. Juni 2025 im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven feierlich begangen wird, verspricht weltweit nachhaltigere Bedingungen des Schiffsrecyclings.
Ein halb ausgeschlachteter Schiffsrumpf rostet im flachen Wasser, in dem Ölpfützen in allen Regenbogenfarben schimmern. Einrichtung, Elektronik und nützliches Gut wurden bereits verkauft – ein riesiger Absatzmarkt sorgt dafür, dass die Existenz vieler Familien daran hängt. Vor dem toten Koloss hämmern Arbeiter an den Überresten, schneiden mit einfachen Werkzeugen Metallplatten aus dem Schiffsskelett heraus – so lange, bis das hochhausgroße Ungetüm schrumpft.
Eine schier unlösbare Aufgabe, wenn man die winzigen Arbeiter vor der gigantischen Kulisse betrachtet. Was wie eine dystopische Szenerie wirkt, ist Realität in Bangladesch und Indien. Die Tiedestrände dort sind die Schiffsfriedhöfe der Welt. 80 Prozent der Ozeanriesen nehmen auf ihrer letzten Fahrt Kurs auf diese Länder.
Über die Geburt von Schiffen weiß man vieles. Taufen sind prestigeträchtige Ereignisse, die öffentlich gefeiert werden. Der Tod der schwimmenden Riesen passiert jedoch zumeist still – und vor allem schmutzig – in Südostasien. Anja Binkofski, Doktorandin am DSM, kennt die dunklen Seiten dieses Geschäfts. „Bei Springfluten werden die Schiffe in Indien oder Bangladesch auf den Strand gefahren und dort händisch von den Arbeitern abgebaut. Die Menschen dort haben oft keine Schutzkleidung, sind nicht vor den giftigen Stoffen geschützt, die ungehindert ins Meer gelangen, und werden zudem schlecht bezahlt. Hinzu kommt, dass die Entsorgung europäischer Schiffe auf diese Art illegal ist“, sagt Binkofski. Klammheimlich würden die Schiffe umgeflaggt, um deren Herkunft zu verschleiern. Die Eigner entgehen so einem legalen Abwracken in einer europäischen Werft, wo sie weniger Geld für den Schiffsverkauf bekommen.
Obwohl die Meeresgiganten in Europa gebaut werden und bis zu 30 Jahre über die Ozeane fahren, endet ihr Lebenszyklus an südostasiatischen Stränden. „In Deutschland erhielt gerade die erste Werft eine Genehmigung, Schiffe zu recyceln, andere Werften warten noch auf ihre Zertifizierung. Hohe Lohnkosten, Umweltauflagen und fehlende rechtliche Regelungen sind Gründe für die erschwerte Umsetzung. Bisher durften Schiffe in Reparaturwerften nur zu 75 Prozent rückgebaut werden, sobald es um die letzten 25 Prozent ging, griffen Regelungen der Abfallwirtschaft“, weiß die Forscherin. Sie will nun herausfinden, welche Möglichkeiten es gibt, Schiffe in Deutschland zurückzubauen – speziell in Norddeutschland.
Die studierte Kulturwissenschaftlerin beschäftigte sich bereits in ihrer Masterarbeit mit dem Meeresspiegelanstieg auf den Halligen und untersuchte die Zukunftsplanung von Küstenbewohnern. In ihrer Promotion fragt sie, ob es für das „Stahlland“ Deutschland eine Chance sein könnte, die hier gebauten Kolosse auch wieder zurückzubauen. „Würde man den in Schiffen verbauten Stahl recyceln, könnten 80 bis 90 Prozent der Emissionen eingespart werden. Denn die Herstellung von Stahl ist sehr energieaufwendig“, fand eine Studie des ZMT (Leibniz-Zentrum für Maritime Tropenforschung) 2023 heraus.
Eine Wende könnte die Hongkong-Konvention bringen, die am 26. Juni 2025 in Kraft tritt. Die Hongkong Konvention fordert umweltfreundliche Standards beim Schiffsrecycling sowie faire Arbeitsbedingungen weltweit. Giftige Farbpartikel, Ölreste und weitere Chemikalien sollen dann nirgendwo mehr unkontrolliert ins Wasser gelangen oder sich im Sand ablagern. Ein Gefahrstoffinventar (IHM), welches für Schiffe unter EU-Flagge schon seit 2019 vorgeschrieben ist, soll für mehr Transparenz beim zu entsorgenden Material sorgen, während bessere Löhne und sicherere Arbeitsbedingungen geschaffen werden sollen. Doch die wichtigste Frage bleibt: Wer kontrolliert die Einhaltung? Ein weiteres Manko: Die Hongkong-Konvention ist zwar ein politisches Schwergewicht, jedoch nicht rechtlich bindend.
„Mich interessiert, inwieweit Werften in Niedersachsen, Bremen und Bremerhaven das Schiffsrecycling umsetzen könnten“, sagt die 28-Jährige. Mit einer intelligenten Kreislaufwirtschaft könnte das Schiffsrecycling sogar eine Chance für strukturschwache Regionen sein und auftragslosen Werften eine Wiedergeburt bescheren. „In Bremerhaven gibt es eine Werft, die darüber nachdenkt. In Niedersachsen zwei und eine weitere Firma in Stralsund. Bislang sind die vertraglichen Regelungen jedoch komplex, und die Unsicherheit bei den Firmen ist groß. Recycelter Stahl ist bisher nicht großflächig in die Kreislaufwirtschaft integriert“, erklärt Binkofski, die in Bremen studiert hat.
In einer Zeit, in der immer mehr Menschen aus Industrieländern ihren Urlaub auf Kreuzfahrtschiffen verbringen und Waren über den Seeweg in die Supermärkte gelangen, sollte bewusster über das Ende von Schiffen nachgedacht werden. Zumal Schiffe immer größer gebaut werden: Das derzeit größte Containerschiff misst beeindruckende 400 Meter in der Länge.
Deutschland will nachhaltiges und umweltfreundliches Schiffsrecycling betreiben – doch was bedeutet das genau? Diese Frage stellt sich Binkofski. „Idealerweise sollte beim Schiffbau der Rückbau gleich mitgedacht werden. Was bedeutet das für das Material? Wie kann nachhaltiges Abwracken aussehen? Welche Chancen ergeben sich für Werften, beispielsweise in Bremerhaven, und welche Hürden gibt es bei der Umsetzung?“ Firmen testen bereits neue Technologien, die helfen könnten – und hoffentlich recycelten Stahl in die Kreislaufwirtschaft integrieren.
Binkofski steht im Austausch mit verschiedenen norddeutschen Unternehmen der maritimen Branche und blickt gespannt auf das Inkrafttreten der Hongkong-Konvention im Juni. Sie könnte weltweit wichtige Signale setzen – wenn ihre Umsetzung gelingt.
Anja Binkofski
a.binkofski@dsm.museum
https://www.maritimes-cluster.de/maritimer-kalender/der-nationale-festakt-zum-in...
Anja Binkofski schaut Schiffsmodelle in der Ausstellung an.
Annica Müllenberg
DSM / Annica Müllenberg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Kulturwissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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