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12.05.2025 11:00

Schnellere Erholung von COVID-19 durch gezielten Einsatz von hochdosiertem Vitamin B3 im Darm

Frederike Buhse Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen

    Placebokontrollierte klinische Studie an 900 COVID-19-Patientinnen und Patienten zeigt Erfolg eines neuen patentgeschützten Präparats des Exzellenzclusters PMI in Kiel /Innovative Nahrungsergänzung stellt bei COVID-19 die körperliche Leistungsfähigkeit signifikant schneller wieder her / Zum ersten Mal wird nachgewiesen, dass eine gezielte Freisetzung der Vitamin-B3-Form Nicotinamid aus CICR-NAM-Tabletten das Darmmikrobiom bei COVID-19 beeinflusst: ein neuer Weg, um COVID-19 zu bekämpfen und die Folgen der Erkrankung zu mindern / Eine nachgeordnete Untersuchung zeigt, dass Risikopatienten, die gut auf die Intervention mit Vitamin B3 ansprachen, auch weniger Post-COVID-Symptome entwickeln.

    ++ Bitte beachten Sie die Sperrfrist 12. Mai 2025, 11 Uhr MESZ. ++

    Viele Patientinnen und Patienten leiden durch ihre COVID-19-Erkrankung nicht nur unter Atemwegssymptomen, sondern auch unter einer deutlich verringerten körperlichen Leistungsfähigkeit. Eine am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, entwickelte und patentgeschützte Tablette (CICR-NAM) setzt Nicotinamid, eine Form von Vitamin B3, gezielt im Darm frei. Die Gabe von CICR-NAM zeigte nun in einer großen Studie (COVit-2) mit 900 COVID-19-Patientinnen und -Patienten einen statistisch signifikanten Effekt: Mit CICR-NAM erreichten die Erkrankten innerhalb von zwei Wochen schneller wieder ihre normale körperliche Leistungsfähigkeit im Alltag als mit einem Placebo. Diese Ergebnisse veröffentlichte das Team des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) am 12.05.2025 in der renommierten Fachzeitschrift Nature Metabolism. Aufgrund seiner ausgebauten Strukturen für Datenmanagement und -integration kann der Cluster große Studien wie COVit-2 in kurzer Zeit durchführen.
    Innovative Tablette setzt Nicotinamid gezielt im Darm frei

    Vorangegangene Forschung hatte bereits gezeigt, dass im Stoffwechsel von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 und anderen Virusinfekten während der akuten Phase der Erkrankung ein erhöhter Bedarf an Energieträgern entsteht. Eine der Vorstufen für Stoffwechselfaktoren im Energiesystem der Zellen ist Vitamin B3.

    Darüber hinaus ist bekannt, dass COVID-19 das Darmmikrobiom negativ verändert. Hier setzt die neue CICR-NAM-Tablette (controlled-ileocolonic-release nicotinamide) aus Kiel an: Sie setzt Nicotinamid gezielt im letzten Abschnitt des Dünndarms und im Dickdarm frei. Dadurch kann das Nicotinamid dort das Darmmikrobiom positiv beeinflussen, den Vitaminmangel ausgleichen und bestimmte Stoffwechselprozesse verstärken.

    „Mit diesen Ergebnissen ist ein Durchbruch erzielt worden. Eine vollständig auf molekularer Ernährung basierende Intervention kann tatsächlich den Verlauf einer schweren Infektionserkrankung wie COVID-19 beeinflussen“, sagt Professor Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I und des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB) am UKSH, Campus Kiel, und klinischer Leiter der Studie. „Damit ist ein neues anti-entzündliches Prinzip durch gezielte Beeinflussung des Mikrobioms etabliert worden“.

    „Nicotinamid aus herkömmlichen Tabletten wird bereits im Magen und Dünndarm vom Körper aufgenommen, bevor es das Darmmikrobiom erreichen kann“, erläutert Dr. Georg Wätzig, Koordinator der Translationalen Forschung am IKMB, der die Entwicklung der CICR-NAM-Tabletten geleitet und die COVit-2-Studie koordiniert hat. „Mit dieser Studie haben wir einen neuen Ansatz erfolgreich getestet, bei dem Vitamin B3 zunächst geschützt und dann erst im Darm freigesetzt wird.“

    Erfolg in großer placebokontrollierter Studie

    In der COVit-2-Studie untersuchte das Team 900 frisch an COVID-19 Erkrankte in ganz Deutschland, von denen jeweils die Hälfte nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) für vier Wochen zwei Nicotinamid-Tabletten (je 500 mg CICR-NAM und herkömmliches Nicotinamid) oder identisch aussehende Placebo-Tabletten einnahm. Die Studie war doppelt verblindet, d.h. weder die Patientinnen und Patienten noch die Mitglieder des Studienteams wussten, wer in welcher Gruppe war. Die Patientinnen und Patienten wurden engmaschig in Telefoninterviews zu ihrem Krankheitsverlauf befragt. Viele schickten auch regelmäßig Stuhlproben ein, sodass die Zusammensetzung ihres Darmmikrobioms gemeinsam mit dem klinischen Verlauf untersucht werden konnte.

    Die Ergebnisse der COVit-2-Studie zeigen, dass die mit Nicotinamid versorgten Erkrankten mit einem Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe, z.B. Raucher oder Personen mit Vorerkrankungen der Lunge, nach zwei Wochen signifikant häufiger wieder ihre normale körperliche Leistungsfähigkeit zurückerlangt hatten als Patienten aus der Placebo-Gruppe. Auch die Fähigkeit zur Bewältigung des normalen Alltags war in der Nicotinamid-Gruppe nach zwei Wochen signifikant besser.

    Auch wenn langfristigere Krankheitsfolgen wie Long-COVID und Post-COVID nicht im Fokus der Studie standen, beobachteten die Forschenden bei der Nachbefragung nach sechs Monaten dennoch einen vielversprechenden Trend: Patientinnen und Patienten, die ein höheres Risiko für Post-COVID hatten und auf Nicotinamid ansprachen, zeigten weniger Post-COVID-Symptome.

    Positiver Effekt durch Mikrobiombeeinflussung
    In der Studie haben die Forschenden außerdem die im Darm lebende Mikrobengemeinschaft genauer untersucht. „Das Mikrobiom von COVID-19-Erkrankten zeigt noch gut zwei Wochen nach Erkrankungsbeginn eine Art Notfallstoffwechsel, bei dem der Körper offensichtlich versucht, die bekannten Defizite bei wichtigen Stoffwechselfaktoren durch die Hochregulierung anderer Stoffwechselprozesse auszugleichen. In der Studiengruppe mit Nicotinamid haben wir diese Veränderungen nicht beobachtet – wahrscheinlich, weil der Mangel durch die Gabe von Nicotinamid behoben werden konnte. Zeitgleich beobachteten wir in diesen Fällen eine schnellere körperliche Erholung. Die positive Beeinflussung des Mikrobioms hängt offenbar mit der schnelleren Erholung zusammen“, erklärt Professor Philip Rosenstiel, Direktor des IKMB, der die Mikrobiomuntersuchungen geleitet hat. „Damit haben wir erstmals gezeigt, dass die Beeinflussung des Mikrobioms, in diesem Fall durch eine Nährstoffergänzung, einen positiven Effekt bei einer Virusinfektion haben kann. Das ist ein wichtiger Meilenstein in der klinischen Forschung“, so Rosenstiel weiter.

    Entwicklung basiert auf langjähriger Entzündungsforschung im DFG-Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation

    Die Entwicklung des Präparats CICR-NAM basiert auf langjähriger Forschungsarbeit von Mitgliedern des Exzellenzclusters PMI. Schon 2012 zeigte ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Rosenstiel und Professor Josef Penninger, derzeit wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig, in Nature, dass ein Mangel von Nicotinamid und verwandten Substanzen im Darm bei Mäusen die Entzündungsneigung erhöht. Außerdem verändert der Mangel das Mikrobiom nachteilig.

    Der Exzellenzcluster PMI ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund aus rund 400 forschenden Ärztinnen und Ärzten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an acht wissenschaftlichen und klinischen Einrichtungen in Schleswig-Holstein. Er wird langjährig durch die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und steht derzeit in der Verlängerungsbegutachtung. PMI-Forschungsprojekte zur Bekämpfung chronisch-entzündlicher Erkrankungen umfassen weitere bereits gestartete klinische Studien, z.B. bei Colitis ulcerosa.

    Das UKSH ist eines der führenden Zentren zur Erforschung von chronischen Entzündungserkrankungen und bietet auch entsprechende Behandlungsangebote in den Exzellenzzentren für Entzündungsmedizin (Comprehensive Centers for Inflammation Medicine) an. In diesem Zusammenhang sind große Kohorten zu COVID-19 (u.a. COVIDOM zur Erforschung des Post-COVID-Syndroms) ebenso angelegt worden wie auch zu post-entzündlichen Folgen anderer Viruserkrankungen wie z.B. der Grippe.

    „Die Wirksamkeit des speziell verkapselten Vitamins B3 bei einer so schweren Infektionskrankheit wie COVID-19 eröffnet völlig neue Einsichten und Behandlungswege der Entzündungshemmung“ stellt Professor Joachim Thiery fest, Dekan der Medizinischen Fakultät und Vorstand für Forschung und Lehre des UKSH, Campus Kiel. „Ich gratuliere Herrn Professor Schreiber stellvertretend für alle Beteiligten der Studie zu diesem großen wissenschaftlichen und klinischen Erfolg. Mein Dank gilt auch den beteiligten Patientinnen und Patienten. Ohne deren Mitwirkung wäre dieser Meilenstein einer Präzisionsmedizin für jeden Einzelnen nicht erreicht worden“, sagt Professor Thiery.

    Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 400 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum).

    Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.

    Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen
    Wissenschaftliche Geschäftsstelle
    Postanschrift: Christian-Albrechts-Platz 4, D-24118 Kiel
    Telefon: (0431) 880-4850, Telefax: (0431) 880-4894

    Pressekontakt:
    Frederike Buhse
    Telefon: (0431) 880 4682
    E-Mail: fbuhse@uv.uni-kiel.de
    https://precisionmedicine.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schreiber
    Klinik für Innere Medizin I und Institut für Klinische Molekularbiologie, UKSH
    0431/500-15101
    s.schreiber@mucosa.de

    Prof. Dr. Philip Rosenstiel
    Institut für Klinische Molekularbiologie, UKSH
    0431/500-15111
    p.rosenstiel@mucosa.de

    Prof. Dr. Matthias Laudes
    Klinik für Innere Medizin I und Institut für Diabetologie und klinische Stoffwechselforschung, UKSH
    0431/500-22217
    matthias.laudes@uksh.de

    Dr. Georg Wätzig
    Institut für Klinische Molekularbiologie, UKSH
    0431/500-15107
    g.waetzig@mucosa.de


    Originalpublikation:

    Schreiber S,* Waetzig GH,* et al: Nicotinamide modulates gut microbial metabolic potential and accelerates recovery in mild-to-moderate COVID-19. Nature Metabolism (2025), DOI: 10.1038/s42255-025-01290-1.
    * Geteilte Erstautorenschaft.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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