idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.05.2025 11:00

Mit Abnehmspritzen gegen Alzheimer-Demenz?

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren könnten nach einer neuen Studie das Alzheimer-Risiko senken. Ähnliches hatten auch schon andere Erhebungen gezeigt. Allerdings handelt es sich nicht um randomisierte Studien, weshalb die Deutsche Gesellschaft für Neurologie im Hinblick auf Empfehlungen zur Alzheimer-Prophylaxe zurückhaltend ist. Dafür seien mehr Daten erforderlich. Eine vergleichbar hohe Reduktion des Demenzrisikos könne ebenso durch Lebensstilmodifikationen erreicht werden – und zwar mit deutlich weniger Kosten, nebenwirkungsfrei und vor allem nachhaltig. Denn was nach Absetzen der „Abnehmspritze“ im Hinblick auf das Demenzrisiko passiert, ist bisher nicht erforscht.

    Bei den Abnehmspritzen handelt es sich um sogenannte GLP-1-Rezeptoragonisten, die derzeit für die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 (in Kombination mit Antidiabetika) und von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) zugelassen sind. Doch auch bei der letzteren Indikation bezahlen die Krankenkassen die Therapie in der Regel nicht, auch, weil es andere nachhaltigere Wege gibt, um Körpergewicht zu reduzieren. „Diese sind aber mit Verzicht und Anstrengung verbunden, weshalb sich die Abnehmspritzen derzeit großer Beliebtheit erfreuen, und zwar auch bei Menschen, die weder unter Diabetes noch unter Adipositas leiden, sondern die einfach nur ein paar Kilo Gewicht verlieren wollen“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Den Einsatz als Lifestyle-Medikament sieht die neurologische Fachgesellschaft kritisch, obwohl sich Hinweise mehren, dass GLP-1-Rezeptoragonisten und andere moderne Diabetes-Medikamente wie sogenannte SGLT2-Inhibitoren das Risiko für Alzheimer senken könnten.

    Das zeigte kürzlich eine sogenannte Zielversuchsemulationsstudie [1]. In dieser Studienart wird versucht, mit Daten aus Beobachtungsstudien eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zu simulieren. Zugrunde gelegt wurden elektronische Gesundheitsdaten aus Florida, aus denen zwischen 2014 und 2023 Personen über 50 Jahre mit einem Diabetes Typ 2 und ohne Hinweis auf eine vorbestehende Alzheimer-Erkrankung ermittelt wurden. Diese wurden dann in drei Kohorten unterteilt: Erstens jene, die GLP-1-Rezeptoragonisten vs. andere Glukose-reduzierende Medikamente erhielten (33.358 Personen, Durchschnittsalter 65 Jahre, 55,3 % waren weiblich). Zweitens jene, die SGLT2-Inhibitoren vs. andere Glukose-reduzierende Medikamente erhielten (34.185 Personen, Durchschnittsalter 65,8, 49,3 % weiblich), und, drittens, eine Kohorte bestehend aus 24.117 Patientinnen und Patienten (Durchschnittsalter 63,8, 51,7 % weiblich), in der GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren im Hinblick auf das Alzheimer-Risiko verglichen wurden. Im Ergebnis zeigte sich, dass sowohl die mit GLP-1-Rezeptoragonisten als auch die mit SGLT2-Inhibitoren Behandelten ein signifikant geringeres Alzheimer-Risiko aufwiesen als jene, die mit anderen Glukose-senkenden Medikamenten behandelt worden waren. Es gab im Hinblick auf die vor Alzheimer schützende Wirkung keinen Unterschied zwischen den GLP-1-Rezeptoragonisten und den SGLT2-Inhibitoren. Ein aktuelles Review [2] hingegen zeigte nur für GLP-1-Rezeptoragonisten eine statistisch signifikante Verringerung des Demenz-Risikos.

    Was sind die Ursachen für diese erstaunliche (Neben-)Wirkung der neuen Diabetes-Medikamente? „Den genauen Mechanismus kennt man nicht, aber es gibt viele Hypothesen: Zum einen könnten die Medikamente, die beide ähnliche Signalwege aktivieren, die Neuroinflammation hemmen, die auch bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielt. Ebenso könnte ihre positive Wirkung auf die Gefäßgesundheit den vor Alzheimer schützenden Effekt mit sich bringen – Hirn- und Gefäßgesundheit hängen eng miteinander zusammen“, erklärt Prof. Berlit.

    Wie der Experte weiter ausführt, mehren sich die Hinweise, dass insbesondere die Abnehmspritzen vor Demenz schützen könnten [3, 4], dennoch bleibt er vorsichtig: „Es handelt sich um retrospektiv gewonnene Daten, keine kontrollierten randomisierten Studien. Die Ergebnisse aus laufenden Phase-3-Studien zu den GLP-1-Rezeptor-Agonisten müssen wir abwarten. Die möglichen Risiken einer Langzeittherapie sind auch noch nicht vollständig geklärt.“ Bekannte Nebenwirkungen seien Magen-Darm-Beschwerden, Hypotonie, Synkopen, Arthritis, Nephrolithiasis, interstitielle Nephritis und arzneimittelinduzierte Pankreatitis [5].

    Die DGN empfiehlt eine gesunde Lebensführung mit Fokus auf Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte sowie die Korrektur von Seh- und Hörstörungen. „Mit diesen Präventionsmaßnahmen kann das Demenzrisiko um bis zu 45 % gesenkt werden [6] – und das ganz ohne Nebenwirkungen“, betont Berlit.

    Der Experte gibt noch eine weitere Limitation der Abnehmspritzen zu bedenken: Sie bekämpfen nicht die Ursache des Problems (Fehlernährung und Bewegungsmangel), sondern das Symptom und müssen entsprechend als Dauertherapie eingenommen werden. Denn, wenn sie abgesetzt werden, ist es wahrscheinlich, dass die Behandelten schnell wieder ihr Ausgangsgewicht erreichen. „Eine aus Wissenschaftssicht spannende Frage ist, was dann im Hinblick auf das Demenzrisiko passiert. Es gibt mehrere Studien [7, 8], die zeigen, dass relevante Gewichtsveränderungen, übrigens in beide Richtungen, im höheren Alter die Demenzentstehung nach 5 und mehr Jahren begünstigen könnten.“

    [1] Tang H, Donahoo WT, DeKosky ST et al. GLP-1RA and SGLT2i Medications for Type 2 Diabetes and Alzheimer Disease and Related Dementias. JAMA Neurol. 2025 May 1;82(5):439-449. doi: 10.1001/jamaneurol.2025.0353. PMID: 40193118; PMCID: PMC11976648.

    [2] Seminer A, Mulihano A, O'Brien C et al. Cardioprotective Glucose-Lowering Agents and Dementia Risk: A Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA Neurol. 2025 May 1;82(5):450-460. doi: 10.1001/jamaneurol.2025.0360. PMID: 40193122; PMCID: PMC11976645.

    [3] Wang W, Wang Q, Qi X et al. Associations of semaglutide with first-time diagnosis of Alzheimer's disease in patients with type 2 diabetes: Target trial emulation using nationwide real-world data in the US. Alzheimers Dement. 2024 Dec;20(12):8661-8672. doi: 10.1002/alz.14313. Epub 2024 Oct 24. PMID: 39445596; PMCID: PMC11667504.

    [4] De Giorgi R, Koychev I, Adler Al et al. 12-month neurological and psychiatric outcomes of semaglutide use for type 2 diabetes: a propensity-score matched cohort study. EClinicalMedicine. 2024 Jul 10;74:102726. doi: 10.1016/j.eclinm.2024.102726. PMID: 39764175; PMCID: PMC11701436.

    [5] Xie Y, Choi T, Al-Aly Z. Mapping the effectiveness and risks of GLP-1 receptor agonists. Nat Med. 2025 Mar;31(3):951-962. doi: 10.1038/s41591-024-03412-w. Epub 2025 Jan 20. Erratum in: Nat Med. 2025 Mar;31(3):1038. doi: 10.1038/s41591-025-03542-9. PMID: 39833406.
    [6] Livingston G, Huntley J, Liu KY et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet. 2024 Aug 10;404(10452):572-628. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0. Epub 2024 Jul 31. PMID: 39096926.

    [7] Park S, Jeon SM, Jung SY et al. Effect of late-life weight change on dementia incidence: a 10-year cohort study using claim data in Korea. BMJ Open. 2019 May 20;9(5):e021739. doi: 10.1136/bmjopen-2018-021739. PMID: 31110079; PMCID: PMC6530413.

    [8] Lee CM, Woodward M, Batty GD et al. Association of anthropometry and weight change with risk of dementia and its major subtypes: A meta-analysis consisting 2.8 million adults with 57 294 cases of dementia. Obes Rev. 2020 Apr;21(4):e12989. doi: 10.1111/obr.12989. Epub 2020 Jan 3. PMID: 31898862; PMCID: PMC7079047.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    Pressesprecher: Prof. Dr. Peter Berlit
    Leiterin der DGN-Pressestelle: Dr. Bettina Albers
    Tel.: +49(0)174 2165629
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 13.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. Daniela Berg
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Dr. Sven Meuth
    Past-Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Budapester Str. 7/9, 10787 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).